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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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ahmten Schönheitssinn zeigte, der das gewöhnliche Leben zum poetischen
Genusse zu steigern weiß, so lernte ich sie in spätern, stillern Tagen
in ihrer Künstlernatur erst recht begreifen, und ich glaube, daß trotz
dem, was die Berliner Kritiker in neuester Zeit über diese wunder¬
bare Frau geschrieben, ein beleuchtendes Wort nicht zu viel sein dürste.

Der Tod der Malibran und das Abtreten der Pasta haben die
Bühnen Italiens ihrer größten Muster beraubt. Weder die Ungher
noch die Persiani sind mit jenen Beiden in eine Linie zu stellen.
Die reizende, höchst ausgebildete Stimme und Methode der Persiani
ergreift im Concertsaal; auf der Bühne entbehrt sie allen tragischen
Ausdruck, wozu diese Sängerin schon durch ihre schmächtige, unbe¬
deutende Gestalt sich nicht eignet. Mit größerer Leidenschaft begabt
ist die Ungher, ihr aber fehlte selbst in ihrer besten Zeit jene plasti¬
sche Ruhe, welche der Kunst ihre höchste Schönheit verleiht. Die
Grisi, die jetzt in Paris und London so gefeiert wird, ist bei allen
ihren schönen Eigenthümlichkeiten doch nur ein Gemisch Malibrani-
scher und Pasta'scher Copie, die Originalität fehlt ihr gänzlich. Ich
habe Italien durchstreift und kenne die besten Kräfte seiner Büh¬
nen; aus eigener Erfahrung darf ich daher behaupten, daß das
heutige Italien nur sehr wenig Talente besitzt, welche zu großen
Hoffnungen veranlassen, hauptsächlich deshalb, weil ihnen die großen
Vorbilder fehlen. Abgesehen von der wunderbaren Gesangsme-
thode der Pasta ist sie als tragische Schauspielerin so großartig,
daß ihr Spiel in dein Gemüthe einer jugendlichen Künstlerin eine
entscheidende Umwälzung hervorbringen, ihr Talent reifen und ihr
Verständniß lichter machen muß. Die Pasta ist aus jener seltenen
und kostbaren Schule, welche weder in Italien, noch in Frankreich
und noch viel weniger in Deutschland seitdem ersetzt wurde. Man
hat mich versichert, daß Talma, dieser tragische Halbgott, keine Vor¬
stellung der Pasta in Paris versäumt hat, wenn er nämlich nicht
selbst an demselben Abend spielte. Ich weiß nicht, welche Rolle es
war, in welcher die Pasta zum ersten Mal in Paris auftrat; Talma
ward von ihr so entzückt, daß er ausrief: "dieses Kind zeigt mir
plötzlich und mit Einem Male, was ich seit zwanzig Jahren verge¬
bens suchte." Der Beifall Tellina's war nur der Ausdruck des ge¬
stimmten Publikums. Die Darstellungen der Pasta tragen ein un¬
nachahmliches Gepräge. Die Berliner Kritiker heben besonders den


ahmten Schönheitssinn zeigte, der das gewöhnliche Leben zum poetischen
Genusse zu steigern weiß, so lernte ich sie in spätern, stillern Tagen
in ihrer Künstlernatur erst recht begreifen, und ich glaube, daß trotz
dem, was die Berliner Kritiker in neuester Zeit über diese wunder¬
bare Frau geschrieben, ein beleuchtendes Wort nicht zu viel sein dürste.

Der Tod der Malibran und das Abtreten der Pasta haben die
Bühnen Italiens ihrer größten Muster beraubt. Weder die Ungher
noch die Persiani sind mit jenen Beiden in eine Linie zu stellen.
Die reizende, höchst ausgebildete Stimme und Methode der Persiani
ergreift im Concertsaal; auf der Bühne entbehrt sie allen tragischen
Ausdruck, wozu diese Sängerin schon durch ihre schmächtige, unbe¬
deutende Gestalt sich nicht eignet. Mit größerer Leidenschaft begabt
ist die Ungher, ihr aber fehlte selbst in ihrer besten Zeit jene plasti¬
sche Ruhe, welche der Kunst ihre höchste Schönheit verleiht. Die
Grisi, die jetzt in Paris und London so gefeiert wird, ist bei allen
ihren schönen Eigenthümlichkeiten doch nur ein Gemisch Malibrani-
scher und Pasta'scher Copie, die Originalität fehlt ihr gänzlich. Ich
habe Italien durchstreift und kenne die besten Kräfte seiner Büh¬
nen; aus eigener Erfahrung darf ich daher behaupten, daß das
heutige Italien nur sehr wenig Talente besitzt, welche zu großen
Hoffnungen veranlassen, hauptsächlich deshalb, weil ihnen die großen
Vorbilder fehlen. Abgesehen von der wunderbaren Gesangsme-
thode der Pasta ist sie als tragische Schauspielerin so großartig,
daß ihr Spiel in dein Gemüthe einer jugendlichen Künstlerin eine
entscheidende Umwälzung hervorbringen, ihr Talent reifen und ihr
Verständniß lichter machen muß. Die Pasta ist aus jener seltenen
und kostbaren Schule, welche weder in Italien, noch in Frankreich
und noch viel weniger in Deutschland seitdem ersetzt wurde. Man
hat mich versichert, daß Talma, dieser tragische Halbgott, keine Vor¬
stellung der Pasta in Paris versäumt hat, wenn er nämlich nicht
selbst an demselben Abend spielte. Ich weiß nicht, welche Rolle es
war, in welcher die Pasta zum ersten Mal in Paris auftrat; Talma
ward von ihr so entzückt, daß er ausrief: „dieses Kind zeigt mir
plötzlich und mit Einem Male, was ich seit zwanzig Jahren verge¬
bens suchte." Der Beifall Tellina's war nur der Ausdruck des ge¬
stimmten Publikums. Die Darstellungen der Pasta tragen ein un¬
nachahmliches Gepräge. Die Berliner Kritiker heben besonders den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/64>, abgerufen am 23.07.2024.