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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Umstand hervor, daß sie mit den wenigen Mitteln, vie ihr aus ihren
schönen Tagen übrig geblieben sind, noch so zu wirken versteht, daß
ihre Mängel dadurch versteckt werden, aber die Pasta hat nie eine
besonders große Stimme gehabt; das war's, was sie groß machte,
das, was sie bewundernswerth machte, das hatte sie durch unendli¬
chen Fleiß und durch ein besonderes Genie der Natur abgezwungen.
Nicht das Einzelne, sondern die Ganzheit in jeder ihrer Leistungen
war es, waS man anstaunte.

Vor einem Publikum, welches seine Hauptaufmerksamkeit auf
die materielle Qualität der Stimme richtet, hatte die Pasta immer
einen schweren Stand; daher kam es auch, daß diese Sängerin in
Mailand auf der großen Bühne der Scala niemals besondere Er¬
folge feierte, während sie bei nördlicheren Nationen den Kelch des
Enthusiasmus bis an den Rand füllte. Das Mailänder Publikum,
welches mit Recht als das competenteste in ganz Italien gilt, hat
der Malibran bei weitem den Vorzug vor der Pasta gegeben. Und
doch hatte die Pasta nie jene Ungleichheit in ihren Leistungen wie
die Malibran. Die Malibran überließ sich ganz ihrer augenblick¬
lichen Eingebung, sie war immer die Künstlerin des Moments und
in ein und derselben Rolle war sie an einem Tag" erhaben und an
dem andern mittelmäßig. Das Talent der Pasta erhebt sich selten
über seine Durchschnittsbildung , aber es sinkt auch nie unter die¬
selbe; bei ihr ist Alles Studium und Ueberlegung, und dieser Gleich¬
mäßigkeit ihrer Kraft ist es zuzuschreiben, warum sie in England,
Frankreich und Deutschland, überhaupt im Norden, mehr Bewunde¬
rung fand, als in ihrem eigenen Vaterlande.

Ich hatte oft Gelegenheit, mit der Pasta zu musiciren; es ist
eigenthümlich, daß diese Künstlerin es nicht mehr liebt, allein und
für sich selbst Musik zu machen; eS ist gewissermaßen, als hätten
ihre mühevollen Studien sie abgestumpft gegen den Reiz musikali¬
scher Schwärmerei. Aber sür ihre Freunde ist sie immer bereit zu
singen. Jeden Abend vor dem völligen Erlöschen des Tages, in der
Stunde, wo die blaue Färbung der Luft allmälig in ein rärhsel-
hastes Grau übergeht, bestiegen wir die Barken des friedlichen
Sees. Unsere Donna del Lago hatte eine kleine Flotille; ein kleiner
Nachen, mit chinesischem Lack bemalt, wurde von ihr selbst regiert,
ein Ruder in jeder Hand fuhr sie uns übrigen immer voran. In


Umstand hervor, daß sie mit den wenigen Mitteln, vie ihr aus ihren
schönen Tagen übrig geblieben sind, noch so zu wirken versteht, daß
ihre Mängel dadurch versteckt werden, aber die Pasta hat nie eine
besonders große Stimme gehabt; das war's, was sie groß machte,
das, was sie bewundernswerth machte, das hatte sie durch unendli¬
chen Fleiß und durch ein besonderes Genie der Natur abgezwungen.
Nicht das Einzelne, sondern die Ganzheit in jeder ihrer Leistungen
war es, waS man anstaunte.

Vor einem Publikum, welches seine Hauptaufmerksamkeit auf
die materielle Qualität der Stimme richtet, hatte die Pasta immer
einen schweren Stand; daher kam es auch, daß diese Sängerin in
Mailand auf der großen Bühne der Scala niemals besondere Er¬
folge feierte, während sie bei nördlicheren Nationen den Kelch des
Enthusiasmus bis an den Rand füllte. Das Mailänder Publikum,
welches mit Recht als das competenteste in ganz Italien gilt, hat
der Malibran bei weitem den Vorzug vor der Pasta gegeben. Und
doch hatte die Pasta nie jene Ungleichheit in ihren Leistungen wie
die Malibran. Die Malibran überließ sich ganz ihrer augenblick¬
lichen Eingebung, sie war immer die Künstlerin des Moments und
in ein und derselben Rolle war sie an einem Tag« erhaben und an
dem andern mittelmäßig. Das Talent der Pasta erhebt sich selten
über seine Durchschnittsbildung , aber es sinkt auch nie unter die¬
selbe; bei ihr ist Alles Studium und Ueberlegung, und dieser Gleich¬
mäßigkeit ihrer Kraft ist es zuzuschreiben, warum sie in England,
Frankreich und Deutschland, überhaupt im Norden, mehr Bewunde¬
rung fand, als in ihrem eigenen Vaterlande.

Ich hatte oft Gelegenheit, mit der Pasta zu musiciren; es ist
eigenthümlich, daß diese Künstlerin es nicht mehr liebt, allein und
für sich selbst Musik zu machen; eS ist gewissermaßen, als hätten
ihre mühevollen Studien sie abgestumpft gegen den Reiz musikali¬
scher Schwärmerei. Aber sür ihre Freunde ist sie immer bereit zu
singen. Jeden Abend vor dem völligen Erlöschen des Tages, in der
Stunde, wo die blaue Färbung der Luft allmälig in ein rärhsel-
hastes Grau übergeht, bestiegen wir die Barken des friedlichen
Sees. Unsere Donna del Lago hatte eine kleine Flotille; ein kleiner
Nachen, mit chinesischem Lack bemalt, wurde von ihr selbst regiert,
ein Ruder in jeder Hand fuhr sie uns übrigen immer voran. In


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[0065] Umstand hervor, daß sie mit den wenigen Mitteln, vie ihr aus ihren schönen Tagen übrig geblieben sind, noch so zu wirken versteht, daß ihre Mängel dadurch versteckt werden, aber die Pasta hat nie eine besonders große Stimme gehabt; das war's, was sie groß machte, das, was sie bewundernswerth machte, das hatte sie durch unendli¬ chen Fleiß und durch ein besonderes Genie der Natur abgezwungen. Nicht das Einzelne, sondern die Ganzheit in jeder ihrer Leistungen war es, waS man anstaunte. Vor einem Publikum, welches seine Hauptaufmerksamkeit auf die materielle Qualität der Stimme richtet, hatte die Pasta immer einen schweren Stand; daher kam es auch, daß diese Sängerin in Mailand auf der großen Bühne der Scala niemals besondere Er¬ folge feierte, während sie bei nördlicheren Nationen den Kelch des Enthusiasmus bis an den Rand füllte. Das Mailänder Publikum, welches mit Recht als das competenteste in ganz Italien gilt, hat der Malibran bei weitem den Vorzug vor der Pasta gegeben. Und doch hatte die Pasta nie jene Ungleichheit in ihren Leistungen wie die Malibran. Die Malibran überließ sich ganz ihrer augenblick¬ lichen Eingebung, sie war immer die Künstlerin des Moments und in ein und derselben Rolle war sie an einem Tag« erhaben und an dem andern mittelmäßig. Das Talent der Pasta erhebt sich selten über seine Durchschnittsbildung , aber es sinkt auch nie unter die¬ selbe; bei ihr ist Alles Studium und Ueberlegung, und dieser Gleich¬ mäßigkeit ihrer Kraft ist es zuzuschreiben, warum sie in England, Frankreich und Deutschland, überhaupt im Norden, mehr Bewunde¬ rung fand, als in ihrem eigenen Vaterlande. Ich hatte oft Gelegenheit, mit der Pasta zu musiciren; es ist eigenthümlich, daß diese Künstlerin es nicht mehr liebt, allein und für sich selbst Musik zu machen; eS ist gewissermaßen, als hätten ihre mühevollen Studien sie abgestumpft gegen den Reiz musikali¬ scher Schwärmerei. Aber sür ihre Freunde ist sie immer bereit zu singen. Jeden Abend vor dem völligen Erlöschen des Tages, in der Stunde, wo die blaue Färbung der Luft allmälig in ein rärhsel- hastes Grau übergeht, bestiegen wir die Barken des friedlichen Sees. Unsere Donna del Lago hatte eine kleine Flotille; ein kleiner Nachen, mit chinesischem Lack bemalt, wurde von ihr selbst regiert, ein Ruder in jeder Hand fuhr sie uns übrigen immer voran. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/65>, abgerufen am 23.07.2024.