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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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der ganzen nächtlichen Expedition. So durchstrichen wir beinahe
eine deutsche Meile, jeder seine Dame führend, stützend und aufmun.
lernt; aber die Müdigkeit nahm bald überHand. Glücklicher Weise
hatte man die Vorsicht gebraucht, auf einem gewissen Punkte Esel
zu bestellen. Die Damen vertrauten sich dem Schritte dieser interes-
santen Vierfüßler ,an und wir hatten nun die Aussicht, wie jener
Münchhausen dreizehn Meilen in vierzehn Tagen zurückzulegen. Der
Weg war für die vierfüßigen Thiere nicht minder schwierig, als für
die zweifüßigen. Zwei oder drei Personen mußten jeden Esel um¬
ringen, ihm mit Stockschlägen zureden; bald jenen von vorn bei dem
Zaume fassen, bald diesen von hinten stoßen, um nur die Bestien
vorwärts zu bewegen. Endlich sah man ein, daß man auf diese
Weise nicht weiter kommen konnte und mußte sich wieder entschlie¬
ßen, die eigenen Muskeln in Bewegung zu setzen, und gewiß hat
manche Dame in diesem Augenblick gefunden, daß der Herr, der zu
Hause in der Wohnung zurückgeblieben, weit leichter zu beneiden,
als zu verspotten war. Madame Pasta klomm wie ein Eichhörnchen,
sie lachte uns alle aus. Diejenigen von uns, welche keinen innern
Beruf fühlten, ihrem Beispiele zu folgen, mußten sich doch dazu ent¬
schließen, um wenigstens die Ehre ihrer Nationalfarben zu retten,
denn es waren Italiener, Deutsche, Engländer, Franzosen und Gott
weiß, was noch für Menschen unter uns. Wir glichen auf dieser
Wallfahrt so ziemlich jenen Pilgern von Mekka, die immer zwei
Schritte vorwärts und einen Schritt rückwärts machen. Vier volle
Stunden verstrichen; der Mond verschwand allmälig. Weiße Wolken
zogen am Himmel auf und bald konnten wir bemerken, daß die
Sonne nicht Lust hatte zu warten, bis wir auf der Spitze des Ber¬
ges sie mit unserer Bewunderung beehren würden. Gegen acht Uhr
Morgens kamen wir endlich bei den Mauern eines alten Klosters an,
welches jene Vergesspitze krönt. Die Sonne war weit näher ihrem
Zenith als jenem Fleck am Horizont, auf welchem wir sie zu er¬
tappen die Prätension gehabt hatten. Um uns einigermaßen zu trösten,
machte uns unsere liebenswürdige Führerin eine wahrhaft poetische
Beschreibung von dem, was wir verloren. Mehr als zwölf Mal
hatte Madame Pasta allein, bisweilen in Gesellschaft rüstigerer Ar¬
gonauten diese Alpenfahrt gemacht ; wir aber mußten uns den Mund
abwischen, der ohnehin von dem vielen Steigen ausgetrocknet und


der ganzen nächtlichen Expedition. So durchstrichen wir beinahe
eine deutsche Meile, jeder seine Dame führend, stützend und aufmun.
lernt; aber die Müdigkeit nahm bald überHand. Glücklicher Weise
hatte man die Vorsicht gebraucht, auf einem gewissen Punkte Esel
zu bestellen. Die Damen vertrauten sich dem Schritte dieser interes-
santen Vierfüßler ,an und wir hatten nun die Aussicht, wie jener
Münchhausen dreizehn Meilen in vierzehn Tagen zurückzulegen. Der
Weg war für die vierfüßigen Thiere nicht minder schwierig, als für
die zweifüßigen. Zwei oder drei Personen mußten jeden Esel um¬
ringen, ihm mit Stockschlägen zureden; bald jenen von vorn bei dem
Zaume fassen, bald diesen von hinten stoßen, um nur die Bestien
vorwärts zu bewegen. Endlich sah man ein, daß man auf diese
Weise nicht weiter kommen konnte und mußte sich wieder entschlie¬
ßen, die eigenen Muskeln in Bewegung zu setzen, und gewiß hat
manche Dame in diesem Augenblick gefunden, daß der Herr, der zu
Hause in der Wohnung zurückgeblieben, weit leichter zu beneiden,
als zu verspotten war. Madame Pasta klomm wie ein Eichhörnchen,
sie lachte uns alle aus. Diejenigen von uns, welche keinen innern
Beruf fühlten, ihrem Beispiele zu folgen, mußten sich doch dazu ent¬
schließen, um wenigstens die Ehre ihrer Nationalfarben zu retten,
denn es waren Italiener, Deutsche, Engländer, Franzosen und Gott
weiß, was noch für Menschen unter uns. Wir glichen auf dieser
Wallfahrt so ziemlich jenen Pilgern von Mekka, die immer zwei
Schritte vorwärts und einen Schritt rückwärts machen. Vier volle
Stunden verstrichen; der Mond verschwand allmälig. Weiße Wolken
zogen am Himmel auf und bald konnten wir bemerken, daß die
Sonne nicht Lust hatte zu warten, bis wir auf der Spitze des Ber¬
ges sie mit unserer Bewunderung beehren würden. Gegen acht Uhr
Morgens kamen wir endlich bei den Mauern eines alten Klosters an,
welches jene Vergesspitze krönt. Die Sonne war weit näher ihrem
Zenith als jenem Fleck am Horizont, auf welchem wir sie zu er¬
tappen die Prätension gehabt hatten. Um uns einigermaßen zu trösten,
machte uns unsere liebenswürdige Führerin eine wahrhaft poetische
Beschreibung von dem, was wir verloren. Mehr als zwölf Mal
hatte Madame Pasta allein, bisweilen in Gesellschaft rüstigerer Ar¬
gonauten diese Alpenfahrt gemacht ; wir aber mußten uns den Mund
abwischen, der ohnehin von dem vielen Steigen ausgetrocknet und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/61>, abgerufen am 23.07.2024.