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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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eine jammervolle Weise von derselben ausgebeutet, sind diese
Auswanderungen aus einer Lebensfrage für das Wohl der Mensch¬
heit, zu der sie bei geschickter Leitung werden konnten, zu einem
Gegenstande gemeiner Selbstsucht und unwürdiger Blutsaugerei her-
abgesunken. Vom dringendsten Bedürfniß aus ihrem Vaterlande
vertrieben, haben diese Auswanderer das Elend, vor dem sie flohen,
nur an andern Orten wiedergefunden und England, Deutschland
und die Schweiz haben in Folge dieser nutzlosen Emigrationen un¬
zählbare Schaaren ihrer kräftigsten Jugend sich zerstreuen und jam¬
mervoll untergehen sehen. Wenn trotz so vieler Prüfungen und
Täuschungen die Auswanderungen noch nicht aufgehört haben, wenn
täglich neue Schaaren sich anschicken, die Verlornen Spuren ihrer
Vorgänger aufzusuchen, so liegt die Ursache, außer in mannig¬
fachen religiös-politischen Verhältnissen, deren Besprechung uns
hier zu weit abwärts führen würde, besonders in den unvermeid¬
lichen Folgen der fast überall eingetretenen Uebervöllcnmg, welche
nach außen hin sich Luft machen muß. ES ist also die Emigration
eine Nothwendigkeit unserer Zeit geworden, welche eben darum
eine höhere Fürsorge erheischt; sie ist eine neue Bewegung deö ge¬
sellschaftlichen Körpers, welche aber, wenn sie ihren Zweck erreichen
soll, geregelten und bestimmten Gesetzen unterworfen werden muß.
Es reicht über die Grenzen dieses Aussatzes und aufrichtig gestan¬
den, auch über die persönliche Befähigung des Verfassers hinaus,
diese Gesetze hier zu formuliren und hinzustellen, so wie dies über¬
haupt eine der schwierigsten Aufgaben unsrer Zeit sein möchte.
Aber wenn man das Ziel sich klar macht, das man mit den Emi¬
grationen erreichen will, so müssen die Gesetze derselben dem Geiste
einigermaßen vorschweben. Die Auswanderungen sollen, nach meiner
unmaßgeblichen Ansicht aber, einen doppelten Zweck erreiche". Sie
sollen zugleich den Ländern, von denen sie ausgehen und denen, wo
sie hin kommen, nützen, indem sie zwischen beiden Beziehungen an¬
knüpfen welche den Bedürfnissen eines jeden derselben entsprechen.
Beide Länder müssen daher durch neue Handels-Combinationen
mit einander verbunden und es muß auf der Basis ihrer gegensei¬
tigen Producte eine regelmäßige Bewegung von Beziehungen und
Austauschen in den Gang gebracht werden. Vor Allem aber muß
das Paterland der Auswanderer dafür sorgen, daß, indem es die


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eine jammervolle Weise von derselben ausgebeutet, sind diese
Auswanderungen aus einer Lebensfrage für das Wohl der Mensch¬
heit, zu der sie bei geschickter Leitung werden konnten, zu einem
Gegenstande gemeiner Selbstsucht und unwürdiger Blutsaugerei her-
abgesunken. Vom dringendsten Bedürfniß aus ihrem Vaterlande
vertrieben, haben diese Auswanderer das Elend, vor dem sie flohen,
nur an andern Orten wiedergefunden und England, Deutschland
und die Schweiz haben in Folge dieser nutzlosen Emigrationen un¬
zählbare Schaaren ihrer kräftigsten Jugend sich zerstreuen und jam¬
mervoll untergehen sehen. Wenn trotz so vieler Prüfungen und
Täuschungen die Auswanderungen noch nicht aufgehört haben, wenn
täglich neue Schaaren sich anschicken, die Verlornen Spuren ihrer
Vorgänger aufzusuchen, so liegt die Ursache, außer in mannig¬
fachen religiös-politischen Verhältnissen, deren Besprechung uns
hier zu weit abwärts führen würde, besonders in den unvermeid¬
lichen Folgen der fast überall eingetretenen Uebervöllcnmg, welche
nach außen hin sich Luft machen muß. ES ist also die Emigration
eine Nothwendigkeit unserer Zeit geworden, welche eben darum
eine höhere Fürsorge erheischt; sie ist eine neue Bewegung deö ge¬
sellschaftlichen Körpers, welche aber, wenn sie ihren Zweck erreichen
soll, geregelten und bestimmten Gesetzen unterworfen werden muß.
Es reicht über die Grenzen dieses Aussatzes und aufrichtig gestan¬
den, auch über die persönliche Befähigung des Verfassers hinaus,
diese Gesetze hier zu formuliren und hinzustellen, so wie dies über¬
haupt eine der schwierigsten Aufgaben unsrer Zeit sein möchte.
Aber wenn man das Ziel sich klar macht, das man mit den Emi¬
grationen erreichen will, so müssen die Gesetze derselben dem Geiste
einigermaßen vorschweben. Die Auswanderungen sollen, nach meiner
unmaßgeblichen Ansicht aber, einen doppelten Zweck erreiche». Sie
sollen zugleich den Ländern, von denen sie ausgehen und denen, wo
sie hin kommen, nützen, indem sie zwischen beiden Beziehungen an¬
knüpfen welche den Bedürfnissen eines jeden derselben entsprechen.
Beide Länder müssen daher durch neue Handels-Combinationen
mit einander verbunden und es muß auf der Basis ihrer gegensei¬
tigen Producte eine regelmäßige Bewegung von Beziehungen und
Austauschen in den Gang gebracht werden. Vor Allem aber muß
das Paterland der Auswanderer dafür sorgen, daß, indem es die


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[0579] eine jammervolle Weise von derselben ausgebeutet, sind diese Auswanderungen aus einer Lebensfrage für das Wohl der Mensch¬ heit, zu der sie bei geschickter Leitung werden konnten, zu einem Gegenstande gemeiner Selbstsucht und unwürdiger Blutsaugerei her- abgesunken. Vom dringendsten Bedürfniß aus ihrem Vaterlande vertrieben, haben diese Auswanderer das Elend, vor dem sie flohen, nur an andern Orten wiedergefunden und England, Deutschland und die Schweiz haben in Folge dieser nutzlosen Emigrationen un¬ zählbare Schaaren ihrer kräftigsten Jugend sich zerstreuen und jam¬ mervoll untergehen sehen. Wenn trotz so vieler Prüfungen und Täuschungen die Auswanderungen noch nicht aufgehört haben, wenn täglich neue Schaaren sich anschicken, die Verlornen Spuren ihrer Vorgänger aufzusuchen, so liegt die Ursache, außer in mannig¬ fachen religiös-politischen Verhältnissen, deren Besprechung uns hier zu weit abwärts führen würde, besonders in den unvermeid¬ lichen Folgen der fast überall eingetretenen Uebervöllcnmg, welche nach außen hin sich Luft machen muß. ES ist also die Emigration eine Nothwendigkeit unserer Zeit geworden, welche eben darum eine höhere Fürsorge erheischt; sie ist eine neue Bewegung deö ge¬ sellschaftlichen Körpers, welche aber, wenn sie ihren Zweck erreichen soll, geregelten und bestimmten Gesetzen unterworfen werden muß. Es reicht über die Grenzen dieses Aussatzes und aufrichtig gestan¬ den, auch über die persönliche Befähigung des Verfassers hinaus, diese Gesetze hier zu formuliren und hinzustellen, so wie dies über¬ haupt eine der schwierigsten Aufgaben unsrer Zeit sein möchte. Aber wenn man das Ziel sich klar macht, das man mit den Emi¬ grationen erreichen will, so müssen die Gesetze derselben dem Geiste einigermaßen vorschweben. Die Auswanderungen sollen, nach meiner unmaßgeblichen Ansicht aber, einen doppelten Zweck erreiche». Sie sollen zugleich den Ländern, von denen sie ausgehen und denen, wo sie hin kommen, nützen, indem sie zwischen beiden Beziehungen an¬ knüpfen welche den Bedürfnissen eines jeden derselben entsprechen. Beide Länder müssen daher durch neue Handels-Combinationen mit einander verbunden und es muß auf der Basis ihrer gegensei¬ tigen Producte eine regelmäßige Bewegung von Beziehungen und Austauschen in den Gang gebracht werden. Vor Allem aber muß das Paterland der Auswanderer dafür sorgen, daß, indem es die 38 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/579>, abgerufen am 23.07.2024.