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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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streitig machte. Alle jene Verlegenheiten, die wir oben beschrieben,
all die Kämpfe, die daraus entstehen, England hat sie periodisch,
fast von Jahr zu Jahr durchzumachen gehabt. Dieser Staat, einst
das classische Land des Reichthums und der Industrie, ward nun auch
der classische Boden deö Pauperismus und des Aufstandes und um
jene zu retten, mußte man sobald als möglich diese bekämpfen und
ihnen hemmende Schranken setzen. Man wählte anfangs daS ein¬
fachste und scheinbar gerechteste Mittel; den Retchen ward auferlegt,
für die Bedürfnisse der Armen zu sorgen und die Mildthätigkeit
ward aus einer Tugend des Privatlebens und des freien Willens,
indem sie Gegenstand eines Gesetzes wurde, eine öffentliche Verpflich¬
tung, eine heilige Schuld, eine Steuer. Aber dadurch ward die
Lage nur um ein Element verwickelter und die Milvherztgkeit, die
Gott nur für die wirklichen Leiden in'S Menschenherz gelegt, war
hier in den meisten Fällen zu einer, auf Unkosten der menschlichen
Würde, der Trägheit gegebenen Belohnung herabgesunken. Wenn
sie so ausgeübt wird, kann die Mildthätigkeit dem öffentlichen Elend
keinesweges abhelfen, weil sie dem Laster, woraus jenes entsteht,
von einem Tage zum andern leben hilft und die Arbeit, durch die
allein das Elend verringert werden kann, unnütz macht. Ja man
kann sogar behaupten, daß eine solche Wohlthätigkeit all ihren mo¬
ralischen Werth verliert, indem sie sich zu einer Beraubung von
Gütern hergiebt, aus deren Früchte lediglich die wirkliche Ohnmacht
und Kraftlosigkeit ein Recht hat; sie vergißt, daß, wenn ihr Name
im Gesetze Gottes sich geschrieben findet, das Wort Arbeit ebenfalls
darin steht, und zwar, als eine menschliche Stiftung in der Mitte
zwischen Gebet und Schuld sich findet.

Unter der Herrschaft dieses neuen Mittels konnte also, in Folge
der Natur desselben, Englands ökonomische Lage keine bessere wer¬
den; im Gegentheil wurden die Nachtheile desselben nur bald fühl¬
bar und man sah bald, daß dieses Heilmittel nur eine auflösende
Kraft habe und seinerseits wieder bekämpft werden müsse. In der
That hatte auch die Armentare zwar auf der einen Seite den Fa¬
brikanten und Manufacturisten einige geringe Erleichterung gewährt,
hatte aber auf der andern Seite die ackerbauenden Producenten, auf
denen sie vorzüglich lastete, erdrückt und der kleine Grundbesitz lag
unter dem Gewicht einer willkürlichen Steuer, welche ihm oft die


streitig machte. Alle jene Verlegenheiten, die wir oben beschrieben,
all die Kämpfe, die daraus entstehen, England hat sie periodisch,
fast von Jahr zu Jahr durchzumachen gehabt. Dieser Staat, einst
das classische Land des Reichthums und der Industrie, ward nun auch
der classische Boden deö Pauperismus und des Aufstandes und um
jene zu retten, mußte man sobald als möglich diese bekämpfen und
ihnen hemmende Schranken setzen. Man wählte anfangs daS ein¬
fachste und scheinbar gerechteste Mittel; den Retchen ward auferlegt,
für die Bedürfnisse der Armen zu sorgen und die Mildthätigkeit
ward aus einer Tugend des Privatlebens und des freien Willens,
indem sie Gegenstand eines Gesetzes wurde, eine öffentliche Verpflich¬
tung, eine heilige Schuld, eine Steuer. Aber dadurch ward die
Lage nur um ein Element verwickelter und die Milvherztgkeit, die
Gott nur für die wirklichen Leiden in'S Menschenherz gelegt, war
hier in den meisten Fällen zu einer, auf Unkosten der menschlichen
Würde, der Trägheit gegebenen Belohnung herabgesunken. Wenn
sie so ausgeübt wird, kann die Mildthätigkeit dem öffentlichen Elend
keinesweges abhelfen, weil sie dem Laster, woraus jenes entsteht,
von einem Tage zum andern leben hilft und die Arbeit, durch die
allein das Elend verringert werden kann, unnütz macht. Ja man
kann sogar behaupten, daß eine solche Wohlthätigkeit all ihren mo¬
ralischen Werth verliert, indem sie sich zu einer Beraubung von
Gütern hergiebt, aus deren Früchte lediglich die wirkliche Ohnmacht
und Kraftlosigkeit ein Recht hat; sie vergißt, daß, wenn ihr Name
im Gesetze Gottes sich geschrieben findet, das Wort Arbeit ebenfalls
darin steht, und zwar, als eine menschliche Stiftung in der Mitte
zwischen Gebet und Schuld sich findet.

Unter der Herrschaft dieses neuen Mittels konnte also, in Folge
der Natur desselben, Englands ökonomische Lage keine bessere wer¬
den; im Gegentheil wurden die Nachtheile desselben nur bald fühl¬
bar und man sah bald, daß dieses Heilmittel nur eine auflösende
Kraft habe und seinerseits wieder bekämpft werden müsse. In der
That hatte auch die Armentare zwar auf der einen Seite den Fa¬
brikanten und Manufacturisten einige geringe Erleichterung gewährt,
hatte aber auf der andern Seite die ackerbauenden Producenten, auf
denen sie vorzüglich lastete, erdrückt und der kleine Grundbesitz lag
unter dem Gewicht einer willkürlichen Steuer, welche ihm oft die


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[0573] streitig machte. Alle jene Verlegenheiten, die wir oben beschrieben, all die Kämpfe, die daraus entstehen, England hat sie periodisch, fast von Jahr zu Jahr durchzumachen gehabt. Dieser Staat, einst das classische Land des Reichthums und der Industrie, ward nun auch der classische Boden deö Pauperismus und des Aufstandes und um jene zu retten, mußte man sobald als möglich diese bekämpfen und ihnen hemmende Schranken setzen. Man wählte anfangs daS ein¬ fachste und scheinbar gerechteste Mittel; den Retchen ward auferlegt, für die Bedürfnisse der Armen zu sorgen und die Mildthätigkeit ward aus einer Tugend des Privatlebens und des freien Willens, indem sie Gegenstand eines Gesetzes wurde, eine öffentliche Verpflich¬ tung, eine heilige Schuld, eine Steuer. Aber dadurch ward die Lage nur um ein Element verwickelter und die Milvherztgkeit, die Gott nur für die wirklichen Leiden in'S Menschenherz gelegt, war hier in den meisten Fällen zu einer, auf Unkosten der menschlichen Würde, der Trägheit gegebenen Belohnung herabgesunken. Wenn sie so ausgeübt wird, kann die Mildthätigkeit dem öffentlichen Elend keinesweges abhelfen, weil sie dem Laster, woraus jenes entsteht, von einem Tage zum andern leben hilft und die Arbeit, durch die allein das Elend verringert werden kann, unnütz macht. Ja man kann sogar behaupten, daß eine solche Wohlthätigkeit all ihren mo¬ ralischen Werth verliert, indem sie sich zu einer Beraubung von Gütern hergiebt, aus deren Früchte lediglich die wirkliche Ohnmacht und Kraftlosigkeit ein Recht hat; sie vergißt, daß, wenn ihr Name im Gesetze Gottes sich geschrieben findet, das Wort Arbeit ebenfalls darin steht, und zwar, als eine menschliche Stiftung in der Mitte zwischen Gebet und Schuld sich findet. Unter der Herrschaft dieses neuen Mittels konnte also, in Folge der Natur desselben, Englands ökonomische Lage keine bessere wer¬ den; im Gegentheil wurden die Nachtheile desselben nur bald fühl¬ bar und man sah bald, daß dieses Heilmittel nur eine auflösende Kraft habe und seinerseits wieder bekämpft werden müsse. In der That hatte auch die Armentare zwar auf der einen Seite den Fa¬ brikanten und Manufacturisten einige geringe Erleichterung gewährt, hatte aber auf der andern Seite die ackerbauenden Producenten, auf denen sie vorzüglich lastete, erdrückt und der kleine Grundbesitz lag unter dem Gewicht einer willkürlichen Steuer, welche ihm oft die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/573>, abgerufen am 23.07.2024.