Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

feurigen Zügen die letzten Zuckungen seines verbindenden Vaterlandes
malte.

Von hier begab sich der Dichter endlich mit seinen andern
Landsleuten nach Frankreich, in dessen Hauptstadt er lange Zeit in
Stillschweigen verharrte. Im Kreise der Verbannten war daS Erb¬
übel Polens, Zwietracht, ausgebrochen; die Ausgewanderten bildeten
verschiedene Parteien, welche einander mit Heftigkeit angriffen und
von denen eine jede den berühmten Dichter der "Dziadv" in ihren
Reihen zu zählen behauptete. Endlich aber brach Mickiewicz sein
Stillschweigen und gab in einem erhabenen Liede der Versöhnung
und des Friedens einen neuen Beweis seiner schönen Seele. Er
veröffentlichte im Jahre 1832 das berühmte Werk: "Die Bücher
des polnischen Volkes und der polnischen Pilgerschaft."")
Unbeschreiblich ist der tiefe Eindruck, den dieses Werk nicht allein
auf den ganzen polnischen Volksstamm, sondern auch auf daS übrige
theilnehmende Europa gemacht hat. Es erschienen davon 1833
eine deutsche und eine französische Uebersetzung; letztere rührte von
dem geistreichen Grafen v. Montalembert her und wir entlehnen
dem merkwürdigen Vorworte, das derselbe seiner Uebersetzung voran¬
geschickt, die folgende durchaus wahre Charakteristik der Mickiewicz-
schen Schrift: "Dieses Buch," heißt es, "ist die erste Offenbarung
einer ganz neuen geistigen Richtung, die Mickiewicz eingeschlagen.
Er entsagt darin den äußeren Formen der Poesie, um in einer der
biblischen Sprache nachgebildeten, volksthümlichen Prosa seinen
Landsleuten die hervorstechende Misston deutlich zu machen, die, nach
seiner Ansicht, Polen in der Vergangenheit, wie in der Zukunft
Europas -von Gott angewiesen worden. Er predigt ihnen darin,
wie sie ihr erhabenes Unglück heiligen sollen durch ein unerschütter-



Anm. d. Werf.
*) Eine interessante, den Geist der Zeit charakterisirende, literarische Er¬
scheinung däucht uns das Zusammentreffen dieses Buches mit zwei andern
Werken, die um dieselbe Zeit, in ähnlichem Styl und mit gleicher, freilich nach
der Individualität der Verfasser verschieden nüancirter, historisch-philosophischer
Tendenz geschrieben wurden. Wir meinen das in Deutschland nur wenig be¬
kannte, aber sehr bedeutende Werk des tiefsinnigen Theosophcn Vallanche,
das unter dem Titel IIeI>aI kurz vor dem Mickiewicz'schen erschien und die
darauf veröffentlichten p-n-olss <>'un n'v^ut von Lamennais.
37"

feurigen Zügen die letzten Zuckungen seines verbindenden Vaterlandes
malte.

Von hier begab sich der Dichter endlich mit seinen andern
Landsleuten nach Frankreich, in dessen Hauptstadt er lange Zeit in
Stillschweigen verharrte. Im Kreise der Verbannten war daS Erb¬
übel Polens, Zwietracht, ausgebrochen; die Ausgewanderten bildeten
verschiedene Parteien, welche einander mit Heftigkeit angriffen und
von denen eine jede den berühmten Dichter der „Dziadv" in ihren
Reihen zu zählen behauptete. Endlich aber brach Mickiewicz sein
Stillschweigen und gab in einem erhabenen Liede der Versöhnung
und des Friedens einen neuen Beweis seiner schönen Seele. Er
veröffentlichte im Jahre 1832 das berühmte Werk: „Die Bücher
des polnischen Volkes und der polnischen Pilgerschaft."»)
Unbeschreiblich ist der tiefe Eindruck, den dieses Werk nicht allein
auf den ganzen polnischen Volksstamm, sondern auch auf daS übrige
theilnehmende Europa gemacht hat. Es erschienen davon 1833
eine deutsche und eine französische Uebersetzung; letztere rührte von
dem geistreichen Grafen v. Montalembert her und wir entlehnen
dem merkwürdigen Vorworte, das derselbe seiner Uebersetzung voran¬
geschickt, die folgende durchaus wahre Charakteristik der Mickiewicz-
schen Schrift: „Dieses Buch," heißt es, „ist die erste Offenbarung
einer ganz neuen geistigen Richtung, die Mickiewicz eingeschlagen.
Er entsagt darin den äußeren Formen der Poesie, um in einer der
biblischen Sprache nachgebildeten, volksthümlichen Prosa seinen
Landsleuten die hervorstechende Misston deutlich zu machen, die, nach
seiner Ansicht, Polen in der Vergangenheit, wie in der Zukunft
Europas -von Gott angewiesen worden. Er predigt ihnen darin,
wie sie ihr erhabenes Unglück heiligen sollen durch ein unerschütter-



Anm. d. Werf.
*) Eine interessante, den Geist der Zeit charakterisirende, literarische Er¬
scheinung däucht uns das Zusammentreffen dieses Buches mit zwei andern
Werken, die um dieselbe Zeit, in ähnlichem Styl und mit gleicher, freilich nach
der Individualität der Verfasser verschieden nüancirter, historisch-philosophischer
Tendenz geschrieben wurden. Wir meinen das in Deutschland nur wenig be¬
kannte, aber sehr bedeutende Werk des tiefsinnigen Theosophcn Vallanche,
das unter dem Titel IIeI>aI kurz vor dem Mickiewicz'schen erschien und die
darauf veröffentlichten p-n-olss <>'un n'v^ut von Lamennais.
37»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0563" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267180"/>
            <p xml:id="ID_1545" prev="#ID_1544"> feurigen Zügen die letzten Zuckungen seines verbindenden Vaterlandes<lb/>
malte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1546" next="#ID_1547"> Von hier begab sich der Dichter endlich mit seinen andern<lb/>
Landsleuten nach Frankreich, in dessen Hauptstadt er lange Zeit in<lb/>
Stillschweigen verharrte. Im Kreise der Verbannten war daS Erb¬<lb/>
übel Polens, Zwietracht, ausgebrochen; die Ausgewanderten bildeten<lb/>
verschiedene Parteien, welche einander mit Heftigkeit angriffen und<lb/>
von denen eine jede den berühmten Dichter der &#x201E;Dziadv" in ihren<lb/>
Reihen zu zählen behauptete. Endlich aber brach Mickiewicz sein<lb/>
Stillschweigen und gab in einem erhabenen Liede der Versöhnung<lb/>
und des Friedens einen neuen Beweis seiner schönen Seele. Er<lb/>
veröffentlichte im Jahre 1832 das berühmte Werk: &#x201E;Die Bücher<lb/>
des polnischen Volkes und der polnischen Pilgerschaft."»)<lb/>
Unbeschreiblich ist der tiefe Eindruck, den dieses Werk nicht allein<lb/>
auf den ganzen polnischen Volksstamm, sondern auch auf daS übrige<lb/>
theilnehmende Europa gemacht hat. Es erschienen davon 1833<lb/>
eine deutsche und eine französische Uebersetzung; letztere rührte von<lb/>
dem geistreichen Grafen v. Montalembert her und wir entlehnen<lb/>
dem merkwürdigen Vorworte, das derselbe seiner Uebersetzung voran¬<lb/>
geschickt, die folgende durchaus wahre Charakteristik der Mickiewicz-<lb/>
schen Schrift: &#x201E;Dieses Buch," heißt es, &#x201E;ist die erste Offenbarung<lb/>
einer ganz neuen geistigen Richtung, die Mickiewicz eingeschlagen.<lb/>
Er entsagt darin den äußeren Formen der Poesie, um in einer der<lb/>
biblischen Sprache nachgebildeten, volksthümlichen Prosa seinen<lb/>
Landsleuten die hervorstechende Misston deutlich zu machen, die, nach<lb/>
seiner Ansicht, Polen in der Vergangenheit, wie in der Zukunft<lb/>
Europas -von Gott angewiesen worden. Er predigt ihnen darin,<lb/>
wie sie ihr erhabenes Unglück heiligen sollen durch ein unerschütter-</p><lb/>
            <note xml:id="FID_41" place="foot"> *) Eine interessante, den Geist der Zeit charakterisirende, literarische Er¬<lb/>
scheinung däucht uns das Zusammentreffen dieses Buches mit zwei andern<lb/>
Werken, die um dieselbe Zeit, in ähnlichem Styl und mit gleicher, freilich nach<lb/>
der Individualität der Verfasser verschieden nüancirter, historisch-philosophischer<lb/>
Tendenz geschrieben wurden. Wir meinen das in Deutschland nur wenig be¬<lb/>
kannte, aber sehr bedeutende Werk des tiefsinnigen Theosophcn Vallanche,<lb/>
das unter dem Titel IIeI&gt;aI kurz vor dem Mickiewicz'schen erschien und die<lb/>
darauf veröffentlichten p-n-olss &lt;&gt;'un n'v^ut von Lamennais.</note><lb/>
            <note type="byline"> Anm. d. Werf.</note><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 37»</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0563] feurigen Zügen die letzten Zuckungen seines verbindenden Vaterlandes malte. Von hier begab sich der Dichter endlich mit seinen andern Landsleuten nach Frankreich, in dessen Hauptstadt er lange Zeit in Stillschweigen verharrte. Im Kreise der Verbannten war daS Erb¬ übel Polens, Zwietracht, ausgebrochen; die Ausgewanderten bildeten verschiedene Parteien, welche einander mit Heftigkeit angriffen und von denen eine jede den berühmten Dichter der „Dziadv" in ihren Reihen zu zählen behauptete. Endlich aber brach Mickiewicz sein Stillschweigen und gab in einem erhabenen Liede der Versöhnung und des Friedens einen neuen Beweis seiner schönen Seele. Er veröffentlichte im Jahre 1832 das berühmte Werk: „Die Bücher des polnischen Volkes und der polnischen Pilgerschaft."») Unbeschreiblich ist der tiefe Eindruck, den dieses Werk nicht allein auf den ganzen polnischen Volksstamm, sondern auch auf daS übrige theilnehmende Europa gemacht hat. Es erschienen davon 1833 eine deutsche und eine französische Uebersetzung; letztere rührte von dem geistreichen Grafen v. Montalembert her und wir entlehnen dem merkwürdigen Vorworte, das derselbe seiner Uebersetzung voran¬ geschickt, die folgende durchaus wahre Charakteristik der Mickiewicz- schen Schrift: „Dieses Buch," heißt es, „ist die erste Offenbarung einer ganz neuen geistigen Richtung, die Mickiewicz eingeschlagen. Er entsagt darin den äußeren Formen der Poesie, um in einer der biblischen Sprache nachgebildeten, volksthümlichen Prosa seinen Landsleuten die hervorstechende Misston deutlich zu machen, die, nach seiner Ansicht, Polen in der Vergangenheit, wie in der Zukunft Europas -von Gott angewiesen worden. Er predigt ihnen darin, wie sie ihr erhabenes Unglück heiligen sollen durch ein unerschütter- Anm. d. Werf. *) Eine interessante, den Geist der Zeit charakterisirende, literarische Er¬ scheinung däucht uns das Zusammentreffen dieses Buches mit zwei andern Werken, die um dieselbe Zeit, in ähnlichem Styl und mit gleicher, freilich nach der Individualität der Verfasser verschieden nüancirter, historisch-philosophischer Tendenz geschrieben wurden. Wir meinen das in Deutschland nur wenig be¬ kannte, aber sehr bedeutende Werk des tiefsinnigen Theosophcn Vallanche, das unter dem Titel IIeI>aI kurz vor dem Mickiewicz'schen erschien und die darauf veröffentlichten p-n-olss <>'un n'v^ut von Lamennais. 37»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/563
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/563>, abgerufen am 23.07.2024.