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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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munlich, einen Paß zu einer Reise in's Ausland, behufs der Wie¬
derherstellung seiner Gesundheit, zu erlangen. Seine russischen
Freunde und Gönner hatten ihn bewegen wollen, sich einer Ge¬
sandtschaft attachiren zu lassen und es war einen Augenblick die
Rede davon gewesen, daß er, mit einem officiellen Charakter be¬
kleidet, nach Brasilien, oder, wie es dann hieß, nach Turin ge¬
schickt werden solle. Der Dichter aber wußte diese goldenen Fesseln
von sich fern zu halten und schätzte eS für ein höheres Glück, einen
Reisepaß zu erhalten, als ein Diplom. Vor seiner Abreise ward
ihm von seinen zahlreichen Bewunderern in Rußland noch ein
schöner silberner Becher, auf dem die Namen der Geber eingegra-
ben waren, als Andenken überreicht. Erfreut und ergriffen von
dieser Huldigung, improvisirte der Dichter einige Strophen, die man
am Ende des dritten Theiles der Dziady finden kann.

Wir haben von seiner Reise und dem wichtigsten Erlebniß der¬
selben, so wie daß Mickiewicz sich zur Zeit deS Ausbruches der
Juli-Revolution in Italien befand, schon oben erzählt. Als er die
erste Nachricht von diesem Weltereigniß erhielt, fühlte er sich von
traurigen, todeöbangen Ahnungen ergriffen. Er sah voraus, daß
auch sein unterdrücktes Vaterland sich für die Freiheit erheben, daß
es aber im Kampfe für dieselbe unterliegen werde. An dieser
Stimmung schrieb er jene schöne Elegie "An eine polnische Mutter/'
in der er prophetische Thränen über das traurige Geschick seiner
Nation vergießt, das er in düsteren, Unheil weissagenden Worten
schildert.

Das heldenmüthige Polen protestirte gegen dieses Orakel der
Cassandra, indem es zu den Waffen griff. Die Protestation war
blutig und dauerte zehn Monate. Aber ach! Der vaterlandslie¬
bende Sänger hatte nur allzuwohl gezeigt, daß die Alten nicht Un¬
recht hatten, wenn sie ihre Dichter mit dem Worte v.ete8 (Seher)
benannten und ihnen einen Blick in die Zukunft beimaßen.

Nach dem Falle von Warschau hielt sich Mickiewicz eine Zeit
lang in Dresden auf. Dort entwarf er den dritten Theil der
"Dziady" und übersetzte daselbst den Giaur von Byron, so wie
er auch mehrere kleinere Gedichte damals verfaßte, von denen be¬
sonders Die Schanze von Ordon zu nennen ist, worin er mit


munlich, einen Paß zu einer Reise in's Ausland, behufs der Wie¬
derherstellung seiner Gesundheit, zu erlangen. Seine russischen
Freunde und Gönner hatten ihn bewegen wollen, sich einer Ge¬
sandtschaft attachiren zu lassen und es war einen Augenblick die
Rede davon gewesen, daß er, mit einem officiellen Charakter be¬
kleidet, nach Brasilien, oder, wie es dann hieß, nach Turin ge¬
schickt werden solle. Der Dichter aber wußte diese goldenen Fesseln
von sich fern zu halten und schätzte eS für ein höheres Glück, einen
Reisepaß zu erhalten, als ein Diplom. Vor seiner Abreise ward
ihm von seinen zahlreichen Bewunderern in Rußland noch ein
schöner silberner Becher, auf dem die Namen der Geber eingegra-
ben waren, als Andenken überreicht. Erfreut und ergriffen von
dieser Huldigung, improvisirte der Dichter einige Strophen, die man
am Ende des dritten Theiles der Dziady finden kann.

Wir haben von seiner Reise und dem wichtigsten Erlebniß der¬
selben, so wie daß Mickiewicz sich zur Zeit deS Ausbruches der
Juli-Revolution in Italien befand, schon oben erzählt. Als er die
erste Nachricht von diesem Weltereigniß erhielt, fühlte er sich von
traurigen, todeöbangen Ahnungen ergriffen. Er sah voraus, daß
auch sein unterdrücktes Vaterland sich für die Freiheit erheben, daß
es aber im Kampfe für dieselbe unterliegen werde. An dieser
Stimmung schrieb er jene schöne Elegie „An eine polnische Mutter/'
in der er prophetische Thränen über das traurige Geschick seiner
Nation vergießt, das er in düsteren, Unheil weissagenden Worten
schildert.

Das heldenmüthige Polen protestirte gegen dieses Orakel der
Cassandra, indem es zu den Waffen griff. Die Protestation war
blutig und dauerte zehn Monate. Aber ach! Der vaterlandslie¬
bende Sänger hatte nur allzuwohl gezeigt, daß die Alten nicht Un¬
recht hatten, wenn sie ihre Dichter mit dem Worte v.ete8 (Seher)
benannten und ihnen einen Blick in die Zukunft beimaßen.

Nach dem Falle von Warschau hielt sich Mickiewicz eine Zeit
lang in Dresden auf. Dort entwarf er den dritten Theil der
„Dziady" und übersetzte daselbst den Giaur von Byron, so wie
er auch mehrere kleinere Gedichte damals verfaßte, von denen be¬
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[0562] munlich, einen Paß zu einer Reise in's Ausland, behufs der Wie¬ derherstellung seiner Gesundheit, zu erlangen. Seine russischen Freunde und Gönner hatten ihn bewegen wollen, sich einer Ge¬ sandtschaft attachiren zu lassen und es war einen Augenblick die Rede davon gewesen, daß er, mit einem officiellen Charakter be¬ kleidet, nach Brasilien, oder, wie es dann hieß, nach Turin ge¬ schickt werden solle. Der Dichter aber wußte diese goldenen Fesseln von sich fern zu halten und schätzte eS für ein höheres Glück, einen Reisepaß zu erhalten, als ein Diplom. Vor seiner Abreise ward ihm von seinen zahlreichen Bewunderern in Rußland noch ein schöner silberner Becher, auf dem die Namen der Geber eingegra- ben waren, als Andenken überreicht. Erfreut und ergriffen von dieser Huldigung, improvisirte der Dichter einige Strophen, die man am Ende des dritten Theiles der Dziady finden kann. Wir haben von seiner Reise und dem wichtigsten Erlebniß der¬ selben, so wie daß Mickiewicz sich zur Zeit deS Ausbruches der Juli-Revolution in Italien befand, schon oben erzählt. Als er die erste Nachricht von diesem Weltereigniß erhielt, fühlte er sich von traurigen, todeöbangen Ahnungen ergriffen. Er sah voraus, daß auch sein unterdrücktes Vaterland sich für die Freiheit erheben, daß es aber im Kampfe für dieselbe unterliegen werde. An dieser Stimmung schrieb er jene schöne Elegie „An eine polnische Mutter/' in der er prophetische Thränen über das traurige Geschick seiner Nation vergießt, das er in düsteren, Unheil weissagenden Worten schildert. Das heldenmüthige Polen protestirte gegen dieses Orakel der Cassandra, indem es zu den Waffen griff. Die Protestation war blutig und dauerte zehn Monate. Aber ach! Der vaterlandslie¬ bende Sänger hatte nur allzuwohl gezeigt, daß die Alten nicht Un¬ recht hatten, wenn sie ihre Dichter mit dem Worte v.ete8 (Seher) benannten und ihnen einen Blick in die Zukunft beimaßen. Nach dem Falle von Warschau hielt sich Mickiewicz eine Zeit lang in Dresden auf. Dort entwarf er den dritten Theil der „Dziady" und übersetzte daselbst den Giaur von Byron, so wie er auch mehrere kleinere Gedichte damals verfaßte, von denen be¬ sonders Die Schanze von Ordon zu nennen ist, worin er mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/562>, abgerufen am 23.07.2024.