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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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schimmert, und worin es an Andentungen der neuesten Schicksale
Polens unter fremder Herrschaft nicht fehlt. In Polen brachte da¬
her "Conrad Wallenrod" einen tiefen, lebhaften Eindruck hervor.
Das Gedicht war bald zu einem Nationalepos geworden und über¬
all konnte man die schönsten Stellen desselben aus dem Munde des
Volkes, hören. Die kraftvollsten Verse, welche Rache und Haß ge¬
gen den Unterdrücker lehrten, wurden von Jung und Alt auswendig
gelernt; die wehmüthigen und ergreifenden Lieder Alf's und Alto-
na's wurden in den vornehmsten Salons, wie in den ärmsten
Hütten gesungen. Diese letzteren Stücke waren nämlich von Maria
Przymanowöka, einer berühmten Pianistin, in Musik gesetzt worden.

Um diese Zeit schrieb Micktewicz auch das schöne Gedicht
Farhs, eine glühende, stürmisch hinreißende Dichtung, gleich dem
Araberroß, dessen pfeilschnellen Lauf sie schildert, und eben so kräftig
in ihrer Farbengebung und im Ausdruck, als Byron's Mazeppa.
Dieses Gedicht war es auch, das der Dichter selbst bei der im
Eingang erzählten Bekanntschaft mit dem Bildhauer David in
Weimar diesem in französische Prosa übersetzte; er'S Deutsche über¬
trug es Spazier.

Merkwürdiger Weise hatte zwar die russische Censur die
eigentliche patriotische Tendenz des "Conrcid Wallenrod" ver¬
kannt und der Veröffentlichung der Dichtung nicht das geringste
Hinderniß in den Weg gestellt. Als aber durch die feurige Auf¬
nahme , die dem Werke von Seiten der gesammten polnischen Be¬
völkerung ward, den russischen Behörden ein ziemlich unerfreu¬
liches Licht über ihren Mißgriff aufging, hielt es Mickiewicz für
gerathen, sich neuen Verfolgungen, die seiner zu harren schienen,
zu entziehen. Denn daß die Regierung ihm nicht eben günstig ge¬
sinnt sei, bewies nur zu deutlich der Umstand, daß trotz wiederhol¬
ten Ansuchens das Ministerium des Unterrichts ihm die Erlaubniß
zur Herausgabe einer historisch-philosophischen Zeitschrift, die unter
dem Namen "Iris" erscheinen sollte, hartnäckig verweigerte. Er
benutzte daher die dadurch gesteigerte Theilnahme an seinem Loose,
welche ihm mehrere, schon durch seine Gedichte für ihn begeisterte
hochstehende Russen bezeugten, zur Ausführung eines andern
Planes. Durch die Verwendung dieser Freunde, besonders des
Dichters Jukosskoi, eines Lehrers des Großfürsten, gelang es ihm


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schimmert, und worin es an Andentungen der neuesten Schicksale
Polens unter fremder Herrschaft nicht fehlt. In Polen brachte da¬
her „Conrad Wallenrod" einen tiefen, lebhaften Eindruck hervor.
Das Gedicht war bald zu einem Nationalepos geworden und über¬
all konnte man die schönsten Stellen desselben aus dem Munde des
Volkes, hören. Die kraftvollsten Verse, welche Rache und Haß ge¬
gen den Unterdrücker lehrten, wurden von Jung und Alt auswendig
gelernt; die wehmüthigen und ergreifenden Lieder Alf's und Alto-
na's wurden in den vornehmsten Salons, wie in den ärmsten
Hütten gesungen. Diese letzteren Stücke waren nämlich von Maria
Przymanowöka, einer berühmten Pianistin, in Musik gesetzt worden.

Um diese Zeit schrieb Micktewicz auch das schöne Gedicht
Farhs, eine glühende, stürmisch hinreißende Dichtung, gleich dem
Araberroß, dessen pfeilschnellen Lauf sie schildert, und eben so kräftig
in ihrer Farbengebung und im Ausdruck, als Byron's Mazeppa.
Dieses Gedicht war es auch, das der Dichter selbst bei der im
Eingang erzählten Bekanntschaft mit dem Bildhauer David in
Weimar diesem in französische Prosa übersetzte; er'S Deutsche über¬
trug es Spazier.

Merkwürdiger Weise hatte zwar die russische Censur die
eigentliche patriotische Tendenz des „Conrcid Wallenrod" ver¬
kannt und der Veröffentlichung der Dichtung nicht das geringste
Hinderniß in den Weg gestellt. Als aber durch die feurige Auf¬
nahme , die dem Werke von Seiten der gesammten polnischen Be¬
völkerung ward, den russischen Behörden ein ziemlich unerfreu¬
liches Licht über ihren Mißgriff aufging, hielt es Mickiewicz für
gerathen, sich neuen Verfolgungen, die seiner zu harren schienen,
zu entziehen. Denn daß die Regierung ihm nicht eben günstig ge¬
sinnt sei, bewies nur zu deutlich der Umstand, daß trotz wiederhol¬
ten Ansuchens das Ministerium des Unterrichts ihm die Erlaubniß
zur Herausgabe einer historisch-philosophischen Zeitschrift, die unter
dem Namen „Iris" erscheinen sollte, hartnäckig verweigerte. Er
benutzte daher die dadurch gesteigerte Theilnahme an seinem Loose,
welche ihm mehrere, schon durch seine Gedichte für ihn begeisterte
hochstehende Russen bezeugten, zur Ausführung eines andern
Planes. Durch die Verwendung dieser Freunde, besonders des
Dichters Jukosskoi, eines Lehrers des Großfürsten, gelang es ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/561>, abgerufen am 23.07.2024.