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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Bald mußte aber die russische Negierung doch wohl in dem
Zusammenleben jener Schriftsteller mit dem Verurtheilten, so wie
überhaupt in der Vereinigung mehrerer hochgebildeten jungen Polen in
Petersburg eine Gefahr finden; denn sie ertheilte Befehl, die letzte¬
ren mehr zu zerstreuen und sie in's Innere des Reiches zu senden.
Mickiewicz mit mehreren seiner Unglücksgefährten kam nach Odessa
und machte von da aus eine Reise in die Steppen der Krim. Der
südliche Himmel und die orientalische Natur regten die Kraft seiner
Phantasie und seine patriotischen Gefühle mächtig an, und in jener
Zeit dichtete er an den Ufern des schwarzen Meeres jenen unter
dem Namen "Sonnette aus der Krim" bekannten Cyclus von Ge¬
dichten, welche die ganze Geschmeidigkeit seines Genies zeigen.
Sie athmen den wahrsten, tief innersten Schmerz, die feurigste Va¬
terlandsliebe und die höchste Poesie, und sind, was der Merkwür¬
digkeit wegen nicht unerwähnt bleiben mag, von Mirza-Kaptschi-
Basha, einem Freunde des Dichters in'ö Persische übersetzt worden.
Im Jahre 1626 ward er von Odessa wieder nach Moskau ge¬
schickt und verblieb daselbst auf höheren Befehl im Gefolge des
General-Gouverneurs Fürsten Galitzin, unter dessen und anderer
russischen Großen Patronate seine Sonnette gedruckt wurden. Mit
Galitzin kam er dann auch wieder nach Se. Petersburg zurück, wo
er durch sein fließendes Jmprvvisationstalent, eine in reichem Maße
ihm zustehende Gabe, die Zahl seiner Bewunderer und Freunde
vermehrte. Noch mehr aber geschah dies durch seine große, mehr¬
fach in's Deutsche übertragene, historische Dichtung Konrad Wal-
lenrod, die er im Jahre 1828 in Se. Petersburg veröffentlichte.
Der Stoff dieser Dichtung ist gleich dem deS oben besprochenen
Gedichtes Grazina, den Kämpfen Lithauens gegen die zur Un¬
terjochung Polens eindringenden Ritter des deutschen Ordens
entlehnt. Aber hier ist die Handlung von einem erhabenen Ge¬
sichtspunkte aus erfaßt und mit noch größerem sprachlichen Reich¬
thum dargestellt worden. Sodann ist auch der Stempel der Per¬
sönlichkeit, den die früheren Erzeugnisse des Dichters in so hohem
Grade trugen, verschwunden und eine weitere, großartigere An¬
schauung ist an deren Stelle getreten. Der eigentliche Stoff ist
nur ein durchsichtiger Schleier, durch den hindurch die trauernde
Gestalt des unterdrückten Vaterlandes in all ihrer Schönheit hervor-


Bald mußte aber die russische Negierung doch wohl in dem
Zusammenleben jener Schriftsteller mit dem Verurtheilten, so wie
überhaupt in der Vereinigung mehrerer hochgebildeten jungen Polen in
Petersburg eine Gefahr finden; denn sie ertheilte Befehl, die letzte¬
ren mehr zu zerstreuen und sie in's Innere des Reiches zu senden.
Mickiewicz mit mehreren seiner Unglücksgefährten kam nach Odessa
und machte von da aus eine Reise in die Steppen der Krim. Der
südliche Himmel und die orientalische Natur regten die Kraft seiner
Phantasie und seine patriotischen Gefühle mächtig an, und in jener
Zeit dichtete er an den Ufern des schwarzen Meeres jenen unter
dem Namen „Sonnette aus der Krim" bekannten Cyclus von Ge¬
dichten, welche die ganze Geschmeidigkeit seines Genies zeigen.
Sie athmen den wahrsten, tief innersten Schmerz, die feurigste Va¬
terlandsliebe und die höchste Poesie, und sind, was der Merkwür¬
digkeit wegen nicht unerwähnt bleiben mag, von Mirza-Kaptschi-
Basha, einem Freunde des Dichters in'ö Persische übersetzt worden.
Im Jahre 1626 ward er von Odessa wieder nach Moskau ge¬
schickt und verblieb daselbst auf höheren Befehl im Gefolge des
General-Gouverneurs Fürsten Galitzin, unter dessen und anderer
russischen Großen Patronate seine Sonnette gedruckt wurden. Mit
Galitzin kam er dann auch wieder nach Se. Petersburg zurück, wo
er durch sein fließendes Jmprvvisationstalent, eine in reichem Maße
ihm zustehende Gabe, die Zahl seiner Bewunderer und Freunde
vermehrte. Noch mehr aber geschah dies durch seine große, mehr¬
fach in's Deutsche übertragene, historische Dichtung Konrad Wal-
lenrod, die er im Jahre 1828 in Se. Petersburg veröffentlichte.
Der Stoff dieser Dichtung ist gleich dem deS oben besprochenen
Gedichtes Grazina, den Kämpfen Lithauens gegen die zur Un¬
terjochung Polens eindringenden Ritter des deutschen Ordens
entlehnt. Aber hier ist die Handlung von einem erhabenen Ge¬
sichtspunkte aus erfaßt und mit noch größerem sprachlichen Reich¬
thum dargestellt worden. Sodann ist auch der Stempel der Per¬
sönlichkeit, den die früheren Erzeugnisse des Dichters in so hohem
Grade trugen, verschwunden und eine weitere, großartigere An¬
schauung ist an deren Stelle getreten. Der eigentliche Stoff ist
nur ein durchsichtiger Schleier, durch den hindurch die trauernde
Gestalt des unterdrückten Vaterlandes in all ihrer Schönheit hervor-


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[0560] Bald mußte aber die russische Negierung doch wohl in dem Zusammenleben jener Schriftsteller mit dem Verurtheilten, so wie überhaupt in der Vereinigung mehrerer hochgebildeten jungen Polen in Petersburg eine Gefahr finden; denn sie ertheilte Befehl, die letzte¬ ren mehr zu zerstreuen und sie in's Innere des Reiches zu senden. Mickiewicz mit mehreren seiner Unglücksgefährten kam nach Odessa und machte von da aus eine Reise in die Steppen der Krim. Der südliche Himmel und die orientalische Natur regten die Kraft seiner Phantasie und seine patriotischen Gefühle mächtig an, und in jener Zeit dichtete er an den Ufern des schwarzen Meeres jenen unter dem Namen „Sonnette aus der Krim" bekannten Cyclus von Ge¬ dichten, welche die ganze Geschmeidigkeit seines Genies zeigen. Sie athmen den wahrsten, tief innersten Schmerz, die feurigste Va¬ terlandsliebe und die höchste Poesie, und sind, was der Merkwür¬ digkeit wegen nicht unerwähnt bleiben mag, von Mirza-Kaptschi- Basha, einem Freunde des Dichters in'ö Persische übersetzt worden. Im Jahre 1626 ward er von Odessa wieder nach Moskau ge¬ schickt und verblieb daselbst auf höheren Befehl im Gefolge des General-Gouverneurs Fürsten Galitzin, unter dessen und anderer russischen Großen Patronate seine Sonnette gedruckt wurden. Mit Galitzin kam er dann auch wieder nach Se. Petersburg zurück, wo er durch sein fließendes Jmprvvisationstalent, eine in reichem Maße ihm zustehende Gabe, die Zahl seiner Bewunderer und Freunde vermehrte. Noch mehr aber geschah dies durch seine große, mehr¬ fach in's Deutsche übertragene, historische Dichtung Konrad Wal- lenrod, die er im Jahre 1828 in Se. Petersburg veröffentlichte. Der Stoff dieser Dichtung ist gleich dem deS oben besprochenen Gedichtes Grazina, den Kämpfen Lithauens gegen die zur Un¬ terjochung Polens eindringenden Ritter des deutschen Ordens entlehnt. Aber hier ist die Handlung von einem erhabenen Ge¬ sichtspunkte aus erfaßt und mit noch größerem sprachlichen Reich¬ thum dargestellt worden. Sodann ist auch der Stempel der Per¬ sönlichkeit, den die früheren Erzeugnisse des Dichters in so hohem Grade trugen, verschwunden und eine weitere, großartigere An¬ schauung ist an deren Stelle getreten. Der eigentliche Stoff ist nur ein durchsichtiger Schleier, durch den hindurch die trauernde Gestalt des unterdrückten Vaterlandes in all ihrer Schönheit hervor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/560>, abgerufen am 23.07.2024.