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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Kolakowski, Sobolewski und andre seiner Studiengcfährten und
Universitätsfreunde, deren Namen alle er in dem dritten Theil seiner
"Dziady" der Unsterblichkeit geweiht hat. Preisgegeben der ver¬
zehrenden Langeweile eines Gefängnisses, umringt von Spionen,
feiler Bestechung und Drohung, umlagert von all jenem Apparat
physischer und moralischer Leiden, welchen die russische Regierung
ihre politischen Gefangenen unterwirft, fühlte Mickiewicz die einge¬
borene Liebe zur Freiheit und zu seinem Vaterlande immer größer
und stärker werden und fortan ward sie das vorherrschende, leuch¬
tende und erwärmende Element seiner Gesänge. Die Untersuchung
blieb ohne eigentliches Resultat; denn man konnte keine entschei¬
denden Beweise einer Verschwörung auffinden. Die Betheiligten
wurden jedoch sämmtlich aus längere Zeit aus Polen verwiesen und
ihnen ihr Aufenthaltsort in Rußland angewiesen. Mit ihnen kam
auch Mickiewiez Anfangs nach Se. Petersburg und stand dort
unter Aufsicht der hohen Polizei. Hier unter dem Auge des knu-
tengewaltigen Czar (wie Mickiewicz ihn in den Dziady nennt),
mitten unter einem seit Jahrhunderten in stummer, gehorsamer
Knechtschaft gebeugten Volke, hier warf der stolze Dichter,
gleichsam als Kampfhandschuh gegen die materielle Uebermacht, je¬
nen Hymnus hin, der von der Dwina bis an die Oder wider¬
hallte und zwanzig Millionen Herzen stärker pochen machte. Die
"Ode an die Jugend," deren letzte prophetische Worte am 30. No¬
vember 1830 von unbekannter Hand an das Warschauer Rathhaus
geschrieben, von der Begeisterung der Volksmasse tausendstimmig
wiederholt und als ein glückliches Vorzeichen angesehen winden,
giebt übrigens einen schlagenden Beweis von der Blindheit der
Censur. Die russische Behörde erblickte nämlich in diesem vom
Hauch der Freiheit durchwehten, begeisterten Stücke keine politische
Beziehung, sondern hielt die Ode nur für eine außerordentliche
kühne Neuerung in literarischer Beziehung. Die Polen dagegen
betrachten dieselbe als. eine von Mickiewicz's gelungensten Pro-
ductionen. Und die Russen selbst entflammten sich an solchen, an
solchem Orte ausgesprochenen Worten. Puschkin, der bekannte rus¬
sische Dichter, und die nachher wegen politischer Umtriebe nach
Sibirien verbannten Schriftsteller, Bestuscheff und Nylejeff wurden
die Bewunderer und Freunde deS polnischen Sängers.


Kolakowski, Sobolewski und andre seiner Studiengcfährten und
Universitätsfreunde, deren Namen alle er in dem dritten Theil seiner
„Dziady" der Unsterblichkeit geweiht hat. Preisgegeben der ver¬
zehrenden Langeweile eines Gefängnisses, umringt von Spionen,
feiler Bestechung und Drohung, umlagert von all jenem Apparat
physischer und moralischer Leiden, welchen die russische Regierung
ihre politischen Gefangenen unterwirft, fühlte Mickiewicz die einge¬
borene Liebe zur Freiheit und zu seinem Vaterlande immer größer
und stärker werden und fortan ward sie das vorherrschende, leuch¬
tende und erwärmende Element seiner Gesänge. Die Untersuchung
blieb ohne eigentliches Resultat; denn man konnte keine entschei¬
denden Beweise einer Verschwörung auffinden. Die Betheiligten
wurden jedoch sämmtlich aus längere Zeit aus Polen verwiesen und
ihnen ihr Aufenthaltsort in Rußland angewiesen. Mit ihnen kam
auch Mickiewiez Anfangs nach Se. Petersburg und stand dort
unter Aufsicht der hohen Polizei. Hier unter dem Auge des knu-
tengewaltigen Czar (wie Mickiewicz ihn in den Dziady nennt),
mitten unter einem seit Jahrhunderten in stummer, gehorsamer
Knechtschaft gebeugten Volke, hier warf der stolze Dichter,
gleichsam als Kampfhandschuh gegen die materielle Uebermacht, je¬
nen Hymnus hin, der von der Dwina bis an die Oder wider¬
hallte und zwanzig Millionen Herzen stärker pochen machte. Die
„Ode an die Jugend," deren letzte prophetische Worte am 30. No¬
vember 1830 von unbekannter Hand an das Warschauer Rathhaus
geschrieben, von der Begeisterung der Volksmasse tausendstimmig
wiederholt und als ein glückliches Vorzeichen angesehen winden,
giebt übrigens einen schlagenden Beweis von der Blindheit der
Censur. Die russische Behörde erblickte nämlich in diesem vom
Hauch der Freiheit durchwehten, begeisterten Stücke keine politische
Beziehung, sondern hielt die Ode nur für eine außerordentliche
kühne Neuerung in literarischer Beziehung. Die Polen dagegen
betrachten dieselbe als. eine von Mickiewicz's gelungensten Pro-
ductionen. Und die Russen selbst entflammten sich an solchen, an
solchem Orte ausgesprochenen Worten. Puschkin, der bekannte rus¬
sische Dichter, und die nachher wegen politischer Umtriebe nach
Sibirien verbannten Schriftsteller, Bestuscheff und Nylejeff wurden
die Bewunderer und Freunde deS polnischen Sängers.


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[0559] Kolakowski, Sobolewski und andre seiner Studiengcfährten und Universitätsfreunde, deren Namen alle er in dem dritten Theil seiner „Dziady" der Unsterblichkeit geweiht hat. Preisgegeben der ver¬ zehrenden Langeweile eines Gefängnisses, umringt von Spionen, feiler Bestechung und Drohung, umlagert von all jenem Apparat physischer und moralischer Leiden, welchen die russische Regierung ihre politischen Gefangenen unterwirft, fühlte Mickiewicz die einge¬ borene Liebe zur Freiheit und zu seinem Vaterlande immer größer und stärker werden und fortan ward sie das vorherrschende, leuch¬ tende und erwärmende Element seiner Gesänge. Die Untersuchung blieb ohne eigentliches Resultat; denn man konnte keine entschei¬ denden Beweise einer Verschwörung auffinden. Die Betheiligten wurden jedoch sämmtlich aus längere Zeit aus Polen verwiesen und ihnen ihr Aufenthaltsort in Rußland angewiesen. Mit ihnen kam auch Mickiewiez Anfangs nach Se. Petersburg und stand dort unter Aufsicht der hohen Polizei. Hier unter dem Auge des knu- tengewaltigen Czar (wie Mickiewicz ihn in den Dziady nennt), mitten unter einem seit Jahrhunderten in stummer, gehorsamer Knechtschaft gebeugten Volke, hier warf der stolze Dichter, gleichsam als Kampfhandschuh gegen die materielle Uebermacht, je¬ nen Hymnus hin, der von der Dwina bis an die Oder wider¬ hallte und zwanzig Millionen Herzen stärker pochen machte. Die „Ode an die Jugend," deren letzte prophetische Worte am 30. No¬ vember 1830 von unbekannter Hand an das Warschauer Rathhaus geschrieben, von der Begeisterung der Volksmasse tausendstimmig wiederholt und als ein glückliches Vorzeichen angesehen winden, giebt übrigens einen schlagenden Beweis von der Blindheit der Censur. Die russische Behörde erblickte nämlich in diesem vom Hauch der Freiheit durchwehten, begeisterten Stücke keine politische Beziehung, sondern hielt die Ode nur für eine außerordentliche kühne Neuerung in literarischer Beziehung. Die Polen dagegen betrachten dieselbe als. eine von Mickiewicz's gelungensten Pro- ductionen. Und die Russen selbst entflammten sich an solchen, an solchem Orte ausgesprochenen Worten. Puschkin, der bekannte rus¬ sische Dichter, und die nachher wegen politischer Umtriebe nach Sibirien verbannten Schriftsteller, Bestuscheff und Nylejeff wurden die Bewunderer und Freunde deS polnischen Sängers.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/559>, abgerufen am 23.07.2024.