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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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der vorzüglichsten, wie z. B. Switezianka (Undine des See
Switez bei Kowno); Lilie (der Lilien); Powrot Taty (des
Vaters Rückkehr); Dudarz (der Schalmeispieler). Mehr zu nen¬
nen oder gar, wie wir so sehr versucht dazu waren, eine Ueber-
tragung einiger zu geben, verbietet uns Raum und Anlage dieses
Aussatzes.

In dem Gedichte Grazina hat sich Mickiewicz in einen wei¬
teren und höheren Kreis der poetischen Begeisterung aufgeschwungen.
Er ward hier zum Geschichtsmaler, indem er sich einer ursprüng¬
lichen, wild-heidnisch kriegerischen Sage seiner Heimath bemächtigte.
Der Lithauische Herzog Litaror, dessen Gemahlin Grazina ist,
führt gegen die aus Preußen eindringenden deutschen Ritter einen
hartnäckigen Krieg. Er fällt im Kampfe und seine Gattin, in
seine Gewänder gehüllt und mit seinen Waffen angethan, rächt
seinen Tod im Blute der Feinde. Dies ist der einfache Inhalt
eines Gedichtes, in welchem Mickiewicz alle Schönheiten eines
kräftigen Styles und einer eben so erhabenen, wie begeisterten Ein¬
bildungskraft entfaltet hat. Es enthält daher Stellen von einer
Energie, wie sie in den Bruchstücken der alten Skaldensänge sich
findet; man glaubt wahrlich zuweilen Stücke aus der skandinavi¬
schen Edda oder aus den alten Kriegeöliedern jener Helden zu lesen,
die "sanken und sich freuten und starben."

In den D z iadyk) bewegt sich der Dichter zwar auch wiederum
in einer Reihe von Anschauungen und Gedanken, die längstver¬
flossenen Zeiten angehören; und dies ist vielleicht ein kleiner Man¬
gel, weil seine Gedichte dadurch nur einem kleineren Leserkreis ver¬
trauter werden. Er offenbart aber in denselben den unserem Jahrhun¬
dert eigenthümlichen Geist der Analyse der Leidenschaften, den Geist der
tiefen psychologischen Forschung in einem hohen Grade. Er ist
nicht mehr der durch seinen Ungestüm fortreißende Maler einer
äußerlich sich darstellenden Wirklichkeit, sondern er ist ein in sich
selbst versunkener Träumer, dessen Auge nach innen gekehrt ist, um



*) Dieses Wort bedeutet im Lithauischen ein zu Ehren der Todten ge¬
feiertes Volksfest; und in diesem Sinne hat es der Dichter gebraucht; seine
Anm. d. Verf. wörtliche Bedeutung ist "die Ahnen."

der vorzüglichsten, wie z. B. Switezianka (Undine des See
Switez bei Kowno); Lilie (der Lilien); Powrot Taty (des
Vaters Rückkehr); Dudarz (der Schalmeispieler). Mehr zu nen¬
nen oder gar, wie wir so sehr versucht dazu waren, eine Ueber-
tragung einiger zu geben, verbietet uns Raum und Anlage dieses
Aussatzes.

In dem Gedichte Grazina hat sich Mickiewicz in einen wei¬
teren und höheren Kreis der poetischen Begeisterung aufgeschwungen.
Er ward hier zum Geschichtsmaler, indem er sich einer ursprüng¬
lichen, wild-heidnisch kriegerischen Sage seiner Heimath bemächtigte.
Der Lithauische Herzog Litaror, dessen Gemahlin Grazina ist,
führt gegen die aus Preußen eindringenden deutschen Ritter einen
hartnäckigen Krieg. Er fällt im Kampfe und seine Gattin, in
seine Gewänder gehüllt und mit seinen Waffen angethan, rächt
seinen Tod im Blute der Feinde. Dies ist der einfache Inhalt
eines Gedichtes, in welchem Mickiewicz alle Schönheiten eines
kräftigen Styles und einer eben so erhabenen, wie begeisterten Ein¬
bildungskraft entfaltet hat. Es enthält daher Stellen von einer
Energie, wie sie in den Bruchstücken der alten Skaldensänge sich
findet; man glaubt wahrlich zuweilen Stücke aus der skandinavi¬
schen Edda oder aus den alten Kriegeöliedern jener Helden zu lesen,
die „sanken und sich freuten und starben."

In den D z iadyk) bewegt sich der Dichter zwar auch wiederum
in einer Reihe von Anschauungen und Gedanken, die längstver¬
flossenen Zeiten angehören; und dies ist vielleicht ein kleiner Man¬
gel, weil seine Gedichte dadurch nur einem kleineren Leserkreis ver¬
trauter werden. Er offenbart aber in denselben den unserem Jahrhun¬
dert eigenthümlichen Geist der Analyse der Leidenschaften, den Geist der
tiefen psychologischen Forschung in einem hohen Grade. Er ist
nicht mehr der durch seinen Ungestüm fortreißende Maler einer
äußerlich sich darstellenden Wirklichkeit, sondern er ist ein in sich
selbst versunkener Träumer, dessen Auge nach innen gekehrt ist, um



*) Dieses Wort bedeutet im Lithauischen ein zu Ehren der Todten ge¬
feiertes Volksfest; und in diesem Sinne hat es der Dichter gebraucht; seine
Anm. d. Verf. wörtliche Bedeutung ist „die Ahnen."
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[0556] der vorzüglichsten, wie z. B. Switezianka (Undine des See Switez bei Kowno); Lilie (der Lilien); Powrot Taty (des Vaters Rückkehr); Dudarz (der Schalmeispieler). Mehr zu nen¬ nen oder gar, wie wir so sehr versucht dazu waren, eine Ueber- tragung einiger zu geben, verbietet uns Raum und Anlage dieses Aussatzes. In dem Gedichte Grazina hat sich Mickiewicz in einen wei¬ teren und höheren Kreis der poetischen Begeisterung aufgeschwungen. Er ward hier zum Geschichtsmaler, indem er sich einer ursprüng¬ lichen, wild-heidnisch kriegerischen Sage seiner Heimath bemächtigte. Der Lithauische Herzog Litaror, dessen Gemahlin Grazina ist, führt gegen die aus Preußen eindringenden deutschen Ritter einen hartnäckigen Krieg. Er fällt im Kampfe und seine Gattin, in seine Gewänder gehüllt und mit seinen Waffen angethan, rächt seinen Tod im Blute der Feinde. Dies ist der einfache Inhalt eines Gedichtes, in welchem Mickiewicz alle Schönheiten eines kräftigen Styles und einer eben so erhabenen, wie begeisterten Ein¬ bildungskraft entfaltet hat. Es enthält daher Stellen von einer Energie, wie sie in den Bruchstücken der alten Skaldensänge sich findet; man glaubt wahrlich zuweilen Stücke aus der skandinavi¬ schen Edda oder aus den alten Kriegeöliedern jener Helden zu lesen, die „sanken und sich freuten und starben." In den D z iadyk) bewegt sich der Dichter zwar auch wiederum in einer Reihe von Anschauungen und Gedanken, die längstver¬ flossenen Zeiten angehören; und dies ist vielleicht ein kleiner Man¬ gel, weil seine Gedichte dadurch nur einem kleineren Leserkreis ver¬ trauter werden. Er offenbart aber in denselben den unserem Jahrhun¬ dert eigenthümlichen Geist der Analyse der Leidenschaften, den Geist der tiefen psychologischen Forschung in einem hohen Grade. Er ist nicht mehr der durch seinen Ungestüm fortreißende Maler einer äußerlich sich darstellenden Wirklichkeit, sondern er ist ein in sich selbst versunkener Träumer, dessen Auge nach innen gekehrt ist, um *) Dieses Wort bedeutet im Lithauischen ein zu Ehren der Todten ge¬ feiertes Volksfest; und in diesem Sinne hat es der Dichter gebraucht; seine Anm. d. Verf. wörtliche Bedeutung ist „die Ahnen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/556>, abgerufen am 23.07.2024.