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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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es e n (Lernbegieriger): Mickiewicz warTheilnehmer derselben. Nach¬
dem dieser übrigens seine Studien beendet hatte, war er an daS
Gymnasium zu Kowno in Lithauen als Professor der lateinischen
und polnischen Sprache und Literatur gesandt worden. In dem am
Zusammenflusse des Riemen und der Wille recht hübsch gelegenen
Orte verlebte er, wie er- selbst sagte, die zwei glücklichsten Jahre
(1^20 und 1821) seines Lebens. Schon seine ersten auf der Uni¬
versität geschriebenen Dichtungen, meist Liebesgedichte an Maria,
die er in Warschauer und Lemberger Zeitschriften hatte einrücken
lassen, hatten allgemeinen Beifall gefunden. Hier nun begeistert
von der schönen äußeren Umgebung, und sanft gewiegt von der
Nuhe eines grünen, lachenden Blüthenthales, das die Einwohner
der Stadt noch heute Mickiewicz's Thal nennen, erzeugte er viele
Gedichte und veröffentlichte dieselben 1822 in Wilna in zwei Bän¬
den, welche das Gedicht Grazina, die beiden ersten (der Reihe
des Erscheinens nach; er nannte sie den zweiten und vierten) Theile
der Dziady (die Todtenfeier) wie sehr viele Balladen enthielt.
Diese in Form und Gedanken neuen Poesien wurden überall in
seinem Vaterlande, besonders aber von der ganzen polnischen Jugend
mit ungewöhnlichem Enthusiasmus ausgenommen. Noch lebte der
Dichter in dem ersten Freudenrausche dieses Erfolges, als er plötz¬
lich auf einen von Wilna ausgegangenen Befehl von den Behör¬
den in Kowno arretirt und nach der Hauptstadt Wilna geführt
wurde, wo die Fesseln seiner harrten.

Ehe wir aber den Dichter in die Gefangenschaft begleiten,
wollen wir erst ein Wort über seine ersten Poesien sagen. Ob¬
gleich er in den Balladen, was die Form betraf, Goethe und Bür¬
ger nachgeahmt, so war er doch in der Wahl der Stosse durchaus
selbständig, indem er sie fast alle aus den im Munde deö Volkes
lebenden Sagen nahm. Es liegt in dieser ganzen Reihe von Lie¬
dern, die größten Theils träumerischen, schwermüthigen, zärtlichen
Inhalts sind, von denen einige aber auch eine kräftige und beißende
Scityre enthalten, ein eigenthümlicher Hauch nationalen Lebens,
dessen Hauptreiz alle Uebersetzungen nur schwächen, der aber, --
und das will viel sagen -- selbst in den Uebertragungen noch nicht
ganz verschwunden ist. Die meisten von ihnen sind mehr oder min¬
der gelungen übersetzt worden; wir verweisen daher nur auf einige


es e n (Lernbegieriger): Mickiewicz warTheilnehmer derselben. Nach¬
dem dieser übrigens seine Studien beendet hatte, war er an daS
Gymnasium zu Kowno in Lithauen als Professor der lateinischen
und polnischen Sprache und Literatur gesandt worden. In dem am
Zusammenflusse des Riemen und der Wille recht hübsch gelegenen
Orte verlebte er, wie er- selbst sagte, die zwei glücklichsten Jahre
(1^20 und 1821) seines Lebens. Schon seine ersten auf der Uni¬
versität geschriebenen Dichtungen, meist Liebesgedichte an Maria,
die er in Warschauer und Lemberger Zeitschriften hatte einrücken
lassen, hatten allgemeinen Beifall gefunden. Hier nun begeistert
von der schönen äußeren Umgebung, und sanft gewiegt von der
Nuhe eines grünen, lachenden Blüthenthales, das die Einwohner
der Stadt noch heute Mickiewicz's Thal nennen, erzeugte er viele
Gedichte und veröffentlichte dieselben 1822 in Wilna in zwei Bän¬
den, welche das Gedicht Grazina, die beiden ersten (der Reihe
des Erscheinens nach; er nannte sie den zweiten und vierten) Theile
der Dziady (die Todtenfeier) wie sehr viele Balladen enthielt.
Diese in Form und Gedanken neuen Poesien wurden überall in
seinem Vaterlande, besonders aber von der ganzen polnischen Jugend
mit ungewöhnlichem Enthusiasmus ausgenommen. Noch lebte der
Dichter in dem ersten Freudenrausche dieses Erfolges, als er plötz¬
lich auf einen von Wilna ausgegangenen Befehl von den Behör¬
den in Kowno arretirt und nach der Hauptstadt Wilna geführt
wurde, wo die Fesseln seiner harrten.

Ehe wir aber den Dichter in die Gefangenschaft begleiten,
wollen wir erst ein Wort über seine ersten Poesien sagen. Ob¬
gleich er in den Balladen, was die Form betraf, Goethe und Bür¬
ger nachgeahmt, so war er doch in der Wahl der Stosse durchaus
selbständig, indem er sie fast alle aus den im Munde deö Volkes
lebenden Sagen nahm. Es liegt in dieser ganzen Reihe von Lie¬
dern, die größten Theils träumerischen, schwermüthigen, zärtlichen
Inhalts sind, von denen einige aber auch eine kräftige und beißende
Scityre enthalten, ein eigenthümlicher Hauch nationalen Lebens,
dessen Hauptreiz alle Uebersetzungen nur schwächen, der aber, —
und das will viel sagen — selbst in den Uebertragungen noch nicht
ganz verschwunden ist. Die meisten von ihnen sind mehr oder min¬
der gelungen übersetzt worden; wir verweisen daher nur auf einige


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[0555] es e n (Lernbegieriger): Mickiewicz warTheilnehmer derselben. Nach¬ dem dieser übrigens seine Studien beendet hatte, war er an daS Gymnasium zu Kowno in Lithauen als Professor der lateinischen und polnischen Sprache und Literatur gesandt worden. In dem am Zusammenflusse des Riemen und der Wille recht hübsch gelegenen Orte verlebte er, wie er- selbst sagte, die zwei glücklichsten Jahre (1^20 und 1821) seines Lebens. Schon seine ersten auf der Uni¬ versität geschriebenen Dichtungen, meist Liebesgedichte an Maria, die er in Warschauer und Lemberger Zeitschriften hatte einrücken lassen, hatten allgemeinen Beifall gefunden. Hier nun begeistert von der schönen äußeren Umgebung, und sanft gewiegt von der Nuhe eines grünen, lachenden Blüthenthales, das die Einwohner der Stadt noch heute Mickiewicz's Thal nennen, erzeugte er viele Gedichte und veröffentlichte dieselben 1822 in Wilna in zwei Bän¬ den, welche das Gedicht Grazina, die beiden ersten (der Reihe des Erscheinens nach; er nannte sie den zweiten und vierten) Theile der Dziady (die Todtenfeier) wie sehr viele Balladen enthielt. Diese in Form und Gedanken neuen Poesien wurden überall in seinem Vaterlande, besonders aber von der ganzen polnischen Jugend mit ungewöhnlichem Enthusiasmus ausgenommen. Noch lebte der Dichter in dem ersten Freudenrausche dieses Erfolges, als er plötz¬ lich auf einen von Wilna ausgegangenen Befehl von den Behör¬ den in Kowno arretirt und nach der Hauptstadt Wilna geführt wurde, wo die Fesseln seiner harrten. Ehe wir aber den Dichter in die Gefangenschaft begleiten, wollen wir erst ein Wort über seine ersten Poesien sagen. Ob¬ gleich er in den Balladen, was die Form betraf, Goethe und Bür¬ ger nachgeahmt, so war er doch in der Wahl der Stosse durchaus selbständig, indem er sie fast alle aus den im Munde deö Volkes lebenden Sagen nahm. Es liegt in dieser ganzen Reihe von Lie¬ dern, die größten Theils träumerischen, schwermüthigen, zärtlichen Inhalts sind, von denen einige aber auch eine kräftige und beißende Scityre enthalten, ein eigenthümlicher Hauch nationalen Lebens, dessen Hauptreiz alle Uebersetzungen nur schwächen, der aber, — und das will viel sagen — selbst in den Uebertragungen noch nicht ganz verschwunden ist. Die meisten von ihnen sind mehr oder min¬ der gelungen übersetzt worden; wir verweisen daher nur auf einige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/555>, abgerufen am 23.07.2024.