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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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durchstreifte Steppe wäre, da doch jetzt wenigstens eine Staffel künf¬
tiger Cultur dafür gelegt ist. Ueberhaupt ist Rußland, wie wir
glauben und wie manche weitere Stelle dieses Briefes darthun wird,
für Europa und besonders für Deutschland nicht so zu fürchten als
Manche meinen. Es ist durchaus nicht innerlich stark genug, um
jemals der Unabhängigkeit einer der andern Großmächte gefährlich
zu werden, und in der Reihe derselben nimmt es mit Recht in jeder
Beziehung nur den letzten Rang ein. Preußen z. B. das kaum
den fünften Theil von Rußlands Bevölkerung besitzt, ist bei Weitem
mächtiger als dieses und braucht einem Kampf mit ihm gar nicht
zu scheuen. Denn Preußen besitzt alle jene Prinzipien einer mora¬
lischen Macht, die heutigen Tages allein den Ausschlag geben; Ru߬
land dagegen fehlen diese bisher noch ganz. Ein ehrgeiziger, kriege¬
rischer Fürst auf Preußens Throne könnte der Ruhe Europas weit
gefährlicher werden, als ein russischer Kaiser, weil ersterer sich auf
seine ganz Deutschland wie eine Kette durchziehende, von einem
Geiste durchdrungene, militärisch eingeübte Bevölkerung stützen könnte.
Was aber wäre Rußlands Stütze? Die Bewohner seiner uner¬
meßlich weit hingedehnten Provinzen sind zwar tapfer, d. h. sie ste¬
hen im Feuer unerschütterlich da, aber ihnen fehlt alles zusammen¬
haltende Gefühl, jeder Aufschwung, den Ehre, Nationalität oder
Religion einem Heere verleihen.

Im Bewußtsein nun dieser innern Haltlosigkeit und Schwäche
seines Reiches, "dieses auf thönernen Füßen ruhenden Erzkolosses,"
geht das Hauptbestrcben des jetzigen Kaisers dahin, die heterogenen
Bestandtheile, welche das von seinen Vorgängern auf Rußlands
Throne ihm überkommene, in Bezug auf Nationalität wahrhaft chao¬
tische Reich bilden, in eine national-russische Einheit zu verschmelzen.
Es ist dies eine würdige Aufgabe für einen von edlem Ehrgeiz er¬
füllten Regenten, und wenn es ihm gelingt, sie zu Ende zu bringen,
so wird er sich nicht allein in der Geschichte seines Vaterlandes, son¬
dern auch in den Annalen der europäischen Gesittung überhaupt ei¬
nen ehrenwerthen, hervorragenden Platz erworben haben. Bisher
hat er mit der ihm eigenen Energie, freilich oft nur auf gewaltsam
zerstörendem Wege, alle Hindernisse, die sich seinen constituirenden
Maßregeln entgegenstellten, hinwegzuräumen gewußt, so daß die
früher ganz lose und blos äußerlich an einander geketteten Elemente


durchstreifte Steppe wäre, da doch jetzt wenigstens eine Staffel künf¬
tiger Cultur dafür gelegt ist. Ueberhaupt ist Rußland, wie wir
glauben und wie manche weitere Stelle dieses Briefes darthun wird,
für Europa und besonders für Deutschland nicht so zu fürchten als
Manche meinen. Es ist durchaus nicht innerlich stark genug, um
jemals der Unabhängigkeit einer der andern Großmächte gefährlich
zu werden, und in der Reihe derselben nimmt es mit Recht in jeder
Beziehung nur den letzten Rang ein. Preußen z. B. das kaum
den fünften Theil von Rußlands Bevölkerung besitzt, ist bei Weitem
mächtiger als dieses und braucht einem Kampf mit ihm gar nicht
zu scheuen. Denn Preußen besitzt alle jene Prinzipien einer mora¬
lischen Macht, die heutigen Tages allein den Ausschlag geben; Ru߬
land dagegen fehlen diese bisher noch ganz. Ein ehrgeiziger, kriege¬
rischer Fürst auf Preußens Throne könnte der Ruhe Europas weit
gefährlicher werden, als ein russischer Kaiser, weil ersterer sich auf
seine ganz Deutschland wie eine Kette durchziehende, von einem
Geiste durchdrungene, militärisch eingeübte Bevölkerung stützen könnte.
Was aber wäre Rußlands Stütze? Die Bewohner seiner uner¬
meßlich weit hingedehnten Provinzen sind zwar tapfer, d. h. sie ste¬
hen im Feuer unerschütterlich da, aber ihnen fehlt alles zusammen¬
haltende Gefühl, jeder Aufschwung, den Ehre, Nationalität oder
Religion einem Heere verleihen.

Im Bewußtsein nun dieser innern Haltlosigkeit und Schwäche
seines Reiches, „dieses auf thönernen Füßen ruhenden Erzkolosses,"
geht das Hauptbestrcben des jetzigen Kaisers dahin, die heterogenen
Bestandtheile, welche das von seinen Vorgängern auf Rußlands
Throne ihm überkommene, in Bezug auf Nationalität wahrhaft chao¬
tische Reich bilden, in eine national-russische Einheit zu verschmelzen.
Es ist dies eine würdige Aufgabe für einen von edlem Ehrgeiz er¬
füllten Regenten, und wenn es ihm gelingt, sie zu Ende zu bringen,
so wird er sich nicht allein in der Geschichte seines Vaterlandes, son¬
dern auch in den Annalen der europäischen Gesittung überhaupt ei¬
nen ehrenwerthen, hervorragenden Platz erworben haben. Bisher
hat er mit der ihm eigenen Energie, freilich oft nur auf gewaltsam
zerstörendem Wege, alle Hindernisse, die sich seinen constituirenden
Maßregeln entgegenstellten, hinwegzuräumen gewußt, so daß die
früher ganz lose und blos äußerlich an einander geketteten Elemente


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[0459] durchstreifte Steppe wäre, da doch jetzt wenigstens eine Staffel künf¬ tiger Cultur dafür gelegt ist. Ueberhaupt ist Rußland, wie wir glauben und wie manche weitere Stelle dieses Briefes darthun wird, für Europa und besonders für Deutschland nicht so zu fürchten als Manche meinen. Es ist durchaus nicht innerlich stark genug, um jemals der Unabhängigkeit einer der andern Großmächte gefährlich zu werden, und in der Reihe derselben nimmt es mit Recht in jeder Beziehung nur den letzten Rang ein. Preußen z. B. das kaum den fünften Theil von Rußlands Bevölkerung besitzt, ist bei Weitem mächtiger als dieses und braucht einem Kampf mit ihm gar nicht zu scheuen. Denn Preußen besitzt alle jene Prinzipien einer mora¬ lischen Macht, die heutigen Tages allein den Ausschlag geben; Ru߬ land dagegen fehlen diese bisher noch ganz. Ein ehrgeiziger, kriege¬ rischer Fürst auf Preußens Throne könnte der Ruhe Europas weit gefährlicher werden, als ein russischer Kaiser, weil ersterer sich auf seine ganz Deutschland wie eine Kette durchziehende, von einem Geiste durchdrungene, militärisch eingeübte Bevölkerung stützen könnte. Was aber wäre Rußlands Stütze? Die Bewohner seiner uner¬ meßlich weit hingedehnten Provinzen sind zwar tapfer, d. h. sie ste¬ hen im Feuer unerschütterlich da, aber ihnen fehlt alles zusammen¬ haltende Gefühl, jeder Aufschwung, den Ehre, Nationalität oder Religion einem Heere verleihen. Im Bewußtsein nun dieser innern Haltlosigkeit und Schwäche seines Reiches, „dieses auf thönernen Füßen ruhenden Erzkolosses," geht das Hauptbestrcben des jetzigen Kaisers dahin, die heterogenen Bestandtheile, welche das von seinen Vorgängern auf Rußlands Throne ihm überkommene, in Bezug auf Nationalität wahrhaft chao¬ tische Reich bilden, in eine national-russische Einheit zu verschmelzen. Es ist dies eine würdige Aufgabe für einen von edlem Ehrgeiz er¬ füllten Regenten, und wenn es ihm gelingt, sie zu Ende zu bringen, so wird er sich nicht allein in der Geschichte seines Vaterlandes, son¬ dern auch in den Annalen der europäischen Gesittung überhaupt ei¬ nen ehrenwerthen, hervorragenden Platz erworben haben. Bisher hat er mit der ihm eigenen Energie, freilich oft nur auf gewaltsam zerstörendem Wege, alle Hindernisse, die sich seinen constituirenden Maßregeln entgegenstellten, hinwegzuräumen gewußt, so daß die früher ganz lose und blos äußerlich an einander geketteten Elemente

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/459>, abgerufen am 01.07.2024.