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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Mächte eigentlich ungehindert geschehen lassend, könnten sie dadurch
ein Anderes, die Wiederherstellung der polnischen Nationalität, wenn
auch nur nach den Bestimmungen des Wiener Congresses, erlangen;
so wie anderer Seits Nußland Letzteres von selbst thun und freiwil¬
lig den bisher eingeschlagenen falschen und verderblichen Weg ver¬
lassen sollte. Denn Polen, so wie es mit den andern, nicht ur¬
sprünglich russischen Provinzen geschieht, seiner Nationalität in Reli¬
gion und Sprache zu berauben, wird Rußland nie gelingen. Es
konnte durch sein numerisches Uebergewicht im Zusammentreffen mit,
den inneren Gebrechen des Polnischen Aufstands, denselben erdrücken
und hält eben dadurch auch jede neue, rein materielle Schilderhebung
nieder. Aber eine Jnsurrettio", welche durch die fortwährende An¬
tastung der beiden Palladien Polens, seiner Religion und seiner
Sprache, hervorgerufen würde, hätte gerade in diesen Elementen eine
belebende Kraft, die den Kanonen nicht erläge. Polen ist in seiner
ganzen Geschichte zu eigenthümlich national und zu durchdrungen Vom
katholisch-christlichen Geiste, als daß es sich je, gleich den andern rus¬
sisch gewordenen Landstrichen, in eine fremde Nationalität, in einen
ketzerischen Glauben verschmelzen konnte. Polen's Aar hat in seiner
großen Vergangenheit Secrs einen zu hohen Schwung genommen,
als daß er sich vor dem zweiköpfigen russischen beugen könnte; der
Glanz einer Krone, welche auf dem Haupte eines Casimir, eines
Sobiesky saß, kann vor dem Kaiserdiadem nicht erbleichen. Wohl
aber können sie beide brüderlich um ein Haupt sich schlingen; wohl
können beide Nationen neben einander die schöne Bahn der Civili¬
sation im allgemein christlichen Sinne betreten. Andrer Seits aber
möge man in Europa bedenken, daß eS Rußlands eigentliche Auf¬
gabe ist, jenem Welttheil, aus dem dereinst die ersten Anfänge der
Cultur kamen, jetzt ein Träger der europäisch-christlichen Bildung zu
werden. Man vergesse nicht, daß ohne die Bestrebungen Rußlands
jener ganze, weite, seiner Macht unterworfene Länderstrich eine Wü¬
stenei, eine von wilden, räuberischen, einander blutig aufreibenden Horden



Anm. d. Red.
*) Warum nicht gar? Wir ehren und theilen die Sympathien unseres
verehrten Herrn Corrcspondencen für das unglückliche Polen; seinen, politi¬
schen Combinationen können wir jedoch nicht beistimmen.

Mächte eigentlich ungehindert geschehen lassend, könnten sie dadurch
ein Anderes, die Wiederherstellung der polnischen Nationalität, wenn
auch nur nach den Bestimmungen des Wiener Congresses, erlangen;
so wie anderer Seits Nußland Letzteres von selbst thun und freiwil¬
lig den bisher eingeschlagenen falschen und verderblichen Weg ver¬
lassen sollte. Denn Polen, so wie es mit den andern, nicht ur¬
sprünglich russischen Provinzen geschieht, seiner Nationalität in Reli¬
gion und Sprache zu berauben, wird Rußland nie gelingen. Es
konnte durch sein numerisches Uebergewicht im Zusammentreffen mit,
den inneren Gebrechen des Polnischen Aufstands, denselben erdrücken
und hält eben dadurch auch jede neue, rein materielle Schilderhebung
nieder. Aber eine Jnsurrettio», welche durch die fortwährende An¬
tastung der beiden Palladien Polens, seiner Religion und seiner
Sprache, hervorgerufen würde, hätte gerade in diesen Elementen eine
belebende Kraft, die den Kanonen nicht erläge. Polen ist in seiner
ganzen Geschichte zu eigenthümlich national und zu durchdrungen Vom
katholisch-christlichen Geiste, als daß es sich je, gleich den andern rus¬
sisch gewordenen Landstrichen, in eine fremde Nationalität, in einen
ketzerischen Glauben verschmelzen konnte. Polen's Aar hat in seiner
großen Vergangenheit Secrs einen zu hohen Schwung genommen,
als daß er sich vor dem zweiköpfigen russischen beugen könnte; der
Glanz einer Krone, welche auf dem Haupte eines Casimir, eines
Sobiesky saß, kann vor dem Kaiserdiadem nicht erbleichen. Wohl
aber können sie beide brüderlich um ein Haupt sich schlingen; wohl
können beide Nationen neben einander die schöne Bahn der Civili¬
sation im allgemein christlichen Sinne betreten. Andrer Seits aber
möge man in Europa bedenken, daß eS Rußlands eigentliche Auf¬
gabe ist, jenem Welttheil, aus dem dereinst die ersten Anfänge der
Cultur kamen, jetzt ein Träger der europäisch-christlichen Bildung zu
werden. Man vergesse nicht, daß ohne die Bestrebungen Rußlands
jener ganze, weite, seiner Macht unterworfene Länderstrich eine Wü¬
stenei, eine von wilden, räuberischen, einander blutig aufreibenden Horden



Anm. d. Red.
*) Warum nicht gar? Wir ehren und theilen die Sympathien unseres
verehrten Herrn Corrcspondencen für das unglückliche Polen; seinen, politi¬
schen Combinationen können wir jedoch nicht beistimmen.
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[0458] Mächte eigentlich ungehindert geschehen lassend, könnten sie dadurch ein Anderes, die Wiederherstellung der polnischen Nationalität, wenn auch nur nach den Bestimmungen des Wiener Congresses, erlangen; so wie anderer Seits Nußland Letzteres von selbst thun und freiwil¬ lig den bisher eingeschlagenen falschen und verderblichen Weg ver¬ lassen sollte. Denn Polen, so wie es mit den andern, nicht ur¬ sprünglich russischen Provinzen geschieht, seiner Nationalität in Reli¬ gion und Sprache zu berauben, wird Rußland nie gelingen. Es konnte durch sein numerisches Uebergewicht im Zusammentreffen mit, den inneren Gebrechen des Polnischen Aufstands, denselben erdrücken und hält eben dadurch auch jede neue, rein materielle Schilderhebung nieder. Aber eine Jnsurrettio», welche durch die fortwährende An¬ tastung der beiden Palladien Polens, seiner Religion und seiner Sprache, hervorgerufen würde, hätte gerade in diesen Elementen eine belebende Kraft, die den Kanonen nicht erläge. Polen ist in seiner ganzen Geschichte zu eigenthümlich national und zu durchdrungen Vom katholisch-christlichen Geiste, als daß es sich je, gleich den andern rus¬ sisch gewordenen Landstrichen, in eine fremde Nationalität, in einen ketzerischen Glauben verschmelzen konnte. Polen's Aar hat in seiner großen Vergangenheit Secrs einen zu hohen Schwung genommen, als daß er sich vor dem zweiköpfigen russischen beugen könnte; der Glanz einer Krone, welche auf dem Haupte eines Casimir, eines Sobiesky saß, kann vor dem Kaiserdiadem nicht erbleichen. Wohl aber können sie beide brüderlich um ein Haupt sich schlingen; wohl können beide Nationen neben einander die schöne Bahn der Civili¬ sation im allgemein christlichen Sinne betreten. Andrer Seits aber möge man in Europa bedenken, daß eS Rußlands eigentliche Auf¬ gabe ist, jenem Welttheil, aus dem dereinst die ersten Anfänge der Cultur kamen, jetzt ein Träger der europäisch-christlichen Bildung zu werden. Man vergesse nicht, daß ohne die Bestrebungen Rußlands jener ganze, weite, seiner Macht unterworfene Länderstrich eine Wü¬ stenei, eine von wilden, räuberischen, einander blutig aufreibenden Horden Anm. d. Red. *) Warum nicht gar? Wir ehren und theilen die Sympathien unseres verehrten Herrn Corrcspondencen für das unglückliche Polen; seinen, politi¬ schen Combinationen können wir jedoch nicht beistimmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/458>, abgerufen am 29.06.2024.