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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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seines Staates jetzt schon einigermaßen wenigstens von einem inner¬
lichen, zusammenhaltenden Bande umschlungen werden. Die Haupt¬
bestandtheile einer jeden Nationaleinheit sind: Religion und Sprache.
Ein kaiserlicher Ukas nun hat verordnet, daß die russische Sprache
im ganzen Kaiserreich die officielle sei) Jedermann muß sie, als die
einzig nationale, kennen, wenn er auch nur auf das geringste bür¬
gerliche oder militairische Amt Anspruch machen will. So verschmelzen
sich alle bisher durch die Sprache fremdartigen Volkstheile Rußlands
zu einer einheitlichen Volksthümlichkeit in diesem Bezüge, und zwar
ist dies, -- hier wie in allem Folgenden ist Polen immer als Aus¬
nahme zu betrachten -- auf nicht allzu gewaltsame Weise geschehen,
denn die wenigsten der betreffenden Stamme besaßen irgend ein le¬
benskräftiges Element, im Gegentheil hielten sich die meisten nur
an kleinlichen Localsitten und an längst auf die Gegenwart einflu߬
loser historischen Erinnerungen ihres Ursprunges und früherer Selbst-
ständigkeit oder nicht russischer Oberherrschaft fest, die ihnen dann
keine nachhaltige Stütze abgaben gegen den Willen des Czaren.
In Betreff der Religion sind hohem Orts die Verhältnisse der
Nicht-Griechisch-Katholischen dergestalt geordnet, daß diesen Glau-
bensbekennern wenigstens factisch keine vollkommene bürgerliche Gleich¬
stellung gewährt ist, sie vielmehr gegenüber der herrschenden Kirche
nur als Geduldete erscheinen. So hat sich denn auch in diesem
Punkte nach und nach eine Einheit gebildet und bildet sich noch,
indem der Uebertritt zum griechischen Glaubensbekenntniß immer häu¬
siger wird.

In Betreff der inneren Verwaltung des Reiches ist es dem
regierenden Kaiser ebenfalls geglückt, merkliche Verbesserungen her¬
beizuführen; alle eingewurzelten und verjährten Mißbräuche der
russischen Administration mit einem Schlage abzuschaffen, wäre mehr
als eine herkulische Reinigung eines Augiasstalles. Pflichtverletzun¬
gen der gröblichsten Art, Erpressungen, Aussaugereien deS Volkes,
felle Bestechlichkeit, Unterschleife und Beraubungen des Staatsschatzes
sind Uebelstände und Gebrechen, die, der russischen Beamtenwelt wie
angeboren scheinen. Vom gemeinen Kosacken bis herauf zum Ge¬
neral, vom Staatsminister bis zum letzten Schreiber, vom obersten
Gerichtspräsidenten bis zum Kanzleidiener herab bewuchert sich Alles
mit offenem Raub auf Staatsunkosten. Ganze Regimenter eristiren


seines Staates jetzt schon einigermaßen wenigstens von einem inner¬
lichen, zusammenhaltenden Bande umschlungen werden. Die Haupt¬
bestandtheile einer jeden Nationaleinheit sind: Religion und Sprache.
Ein kaiserlicher Ukas nun hat verordnet, daß die russische Sprache
im ganzen Kaiserreich die officielle sei) Jedermann muß sie, als die
einzig nationale, kennen, wenn er auch nur auf das geringste bür¬
gerliche oder militairische Amt Anspruch machen will. So verschmelzen
sich alle bisher durch die Sprache fremdartigen Volkstheile Rußlands
zu einer einheitlichen Volksthümlichkeit in diesem Bezüge, und zwar
ist dies, — hier wie in allem Folgenden ist Polen immer als Aus¬
nahme zu betrachten — auf nicht allzu gewaltsame Weise geschehen,
denn die wenigsten der betreffenden Stamme besaßen irgend ein le¬
benskräftiges Element, im Gegentheil hielten sich die meisten nur
an kleinlichen Localsitten und an längst auf die Gegenwart einflu߬
loser historischen Erinnerungen ihres Ursprunges und früherer Selbst-
ständigkeit oder nicht russischer Oberherrschaft fest, die ihnen dann
keine nachhaltige Stütze abgaben gegen den Willen des Czaren.
In Betreff der Religion sind hohem Orts die Verhältnisse der
Nicht-Griechisch-Katholischen dergestalt geordnet, daß diesen Glau-
bensbekennern wenigstens factisch keine vollkommene bürgerliche Gleich¬
stellung gewährt ist, sie vielmehr gegenüber der herrschenden Kirche
nur als Geduldete erscheinen. So hat sich denn auch in diesem
Punkte nach und nach eine Einheit gebildet und bildet sich noch,
indem der Uebertritt zum griechischen Glaubensbekenntniß immer häu¬
siger wird.

In Betreff der inneren Verwaltung des Reiches ist es dem
regierenden Kaiser ebenfalls geglückt, merkliche Verbesserungen her¬
beizuführen; alle eingewurzelten und verjährten Mißbräuche der
russischen Administration mit einem Schlage abzuschaffen, wäre mehr
als eine herkulische Reinigung eines Augiasstalles. Pflichtverletzun¬
gen der gröblichsten Art, Erpressungen, Aussaugereien deS Volkes,
felle Bestechlichkeit, Unterschleife und Beraubungen des Staatsschatzes
sind Uebelstände und Gebrechen, die, der russischen Beamtenwelt wie
angeboren scheinen. Vom gemeinen Kosacken bis herauf zum Ge¬
neral, vom Staatsminister bis zum letzten Schreiber, vom obersten
Gerichtspräsidenten bis zum Kanzleidiener herab bewuchert sich Alles
mit offenem Raub auf Staatsunkosten. Ganze Regimenter eristiren


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[0460] seines Staates jetzt schon einigermaßen wenigstens von einem inner¬ lichen, zusammenhaltenden Bande umschlungen werden. Die Haupt¬ bestandtheile einer jeden Nationaleinheit sind: Religion und Sprache. Ein kaiserlicher Ukas nun hat verordnet, daß die russische Sprache im ganzen Kaiserreich die officielle sei) Jedermann muß sie, als die einzig nationale, kennen, wenn er auch nur auf das geringste bür¬ gerliche oder militairische Amt Anspruch machen will. So verschmelzen sich alle bisher durch die Sprache fremdartigen Volkstheile Rußlands zu einer einheitlichen Volksthümlichkeit in diesem Bezüge, und zwar ist dies, — hier wie in allem Folgenden ist Polen immer als Aus¬ nahme zu betrachten — auf nicht allzu gewaltsame Weise geschehen, denn die wenigsten der betreffenden Stamme besaßen irgend ein le¬ benskräftiges Element, im Gegentheil hielten sich die meisten nur an kleinlichen Localsitten und an längst auf die Gegenwart einflu߬ loser historischen Erinnerungen ihres Ursprunges und früherer Selbst- ständigkeit oder nicht russischer Oberherrschaft fest, die ihnen dann keine nachhaltige Stütze abgaben gegen den Willen des Czaren. In Betreff der Religion sind hohem Orts die Verhältnisse der Nicht-Griechisch-Katholischen dergestalt geordnet, daß diesen Glau- bensbekennern wenigstens factisch keine vollkommene bürgerliche Gleich¬ stellung gewährt ist, sie vielmehr gegenüber der herrschenden Kirche nur als Geduldete erscheinen. So hat sich denn auch in diesem Punkte nach und nach eine Einheit gebildet und bildet sich noch, indem der Uebertritt zum griechischen Glaubensbekenntniß immer häu¬ siger wird. In Betreff der inneren Verwaltung des Reiches ist es dem regierenden Kaiser ebenfalls geglückt, merkliche Verbesserungen her¬ beizuführen; alle eingewurzelten und verjährten Mißbräuche der russischen Administration mit einem Schlage abzuschaffen, wäre mehr als eine herkulische Reinigung eines Augiasstalles. Pflichtverletzun¬ gen der gröblichsten Art, Erpressungen, Aussaugereien deS Volkes, felle Bestechlichkeit, Unterschleife und Beraubungen des Staatsschatzes sind Uebelstände und Gebrechen, die, der russischen Beamtenwelt wie angeboren scheinen. Vom gemeinen Kosacken bis herauf zum Ge¬ neral, vom Staatsminister bis zum letzten Schreiber, vom obersten Gerichtspräsidenten bis zum Kanzleidiener herab bewuchert sich Alles mit offenem Raub auf Staatsunkosten. Ganze Regimenter eristiren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/460>, abgerufen am 03.07.2024.