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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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vollkommene Gerechtigkeit zu Theil geworden. Und hier liegt eben
der nicht ein Mal mit dem Schwert zu durchhauende gordische Kno¬
ten. Denn so wenig der Papst von seinen Forderungen abstehen
kann und darf, so wenig vermag sie Rußland zu gewähren. Man
ist nämlich russischer Seits in den letzten zehn Jahren in dem Sy¬
stem der allmäligen, aber diesen, der geräuschlosen, aber nachhaltigen
Zerstörung der polnischen Nationalität und der Vernichtung deS Katho¬
licismus mit so beharrlicher Consequenz und Festigkeit fortgeschritten;
man hat diesem System selbst, ermuthigt durch die Theilnahmlosig-
keit Europas und die schon gewonnenen glücklichen Resultate, eine
solche Ausdehnung gegeben, daß es jetzt unmöglich ist, auf der glei¬
tenden Bahn anzuhalten oder umzukehren, wenn man es nicht ris-
kiren will, das ganze Gebäude der russischen Regierungskunst in
seinen tiefsten Grundfesten bis zum Umsturz zu erschüttern. Was
in Polen geschah, hängt gar eng zusammen mit dem, was
in den deutschen Ostseeprovinzen und anderswo in Bezug auf
Sprache und andere Elemente nicht russischer Nationalitäten gesche¬
hen ist, und die künstliche Zusammenfügung der widerstrebenden
Gliedmaßen des russischen Staatskörpers erlaubt es nicht, einen
Ring der Kette zu lösen, ohne daß das Ganze auseinanderfalte.
Wodurch in so vielen andern Fällen Nußland verwickelte Fragen
zu seinen Gunsten zu entwirren verstand, diplomatisches Hinhal¬
ten und schlaue Gewandtheit, das will ihm, wie es scheint, in
dieser Angelegenheit nicht aushelfen. Jedenfalls kann es ihm nicht
gelingen, durch bloße wortreiche, aber thatenleere Diplomatie seine
frühere Stellung, der Römischen Curie gegenüber, wieder zu erlan¬
gen; denn dort überwacht es jetzt mehr als je mit scharfen, for¬
schenden Blicken und ziemlich erfolgreich die Diplomatie des Fürsten
Metternich. Darf man einigen Andeutungen in Briefen hochstehen¬
der, sehr wohl unterrichteter Personen, die aus Rom hier angelangt
sind, trauen, so ist die östreichische Regierung und ihr mit Recht so
bedeutender Einfluß in Rom den in Rede stehenden Schritten des
päpstlichen Senilis nicht fremd geblieben. Und dies läßt sich um so
eher glauben, als man dadurch ein Gegengewicht wider die slavisch¬
russischen Umtriebe erhielte, welche, bald an die Sprache, bald an die
Religion einzelner österreichischer Provinzen sich anlehnend, den Zu¬
sammenhang derselben mit dem ganzen österreichischen Staatskörper


vollkommene Gerechtigkeit zu Theil geworden. Und hier liegt eben
der nicht ein Mal mit dem Schwert zu durchhauende gordische Kno¬
ten. Denn so wenig der Papst von seinen Forderungen abstehen
kann und darf, so wenig vermag sie Rußland zu gewähren. Man
ist nämlich russischer Seits in den letzten zehn Jahren in dem Sy¬
stem der allmäligen, aber diesen, der geräuschlosen, aber nachhaltigen
Zerstörung der polnischen Nationalität und der Vernichtung deS Katho¬
licismus mit so beharrlicher Consequenz und Festigkeit fortgeschritten;
man hat diesem System selbst, ermuthigt durch die Theilnahmlosig-
keit Europas und die schon gewonnenen glücklichen Resultate, eine
solche Ausdehnung gegeben, daß es jetzt unmöglich ist, auf der glei¬
tenden Bahn anzuhalten oder umzukehren, wenn man es nicht ris-
kiren will, das ganze Gebäude der russischen Regierungskunst in
seinen tiefsten Grundfesten bis zum Umsturz zu erschüttern. Was
in Polen geschah, hängt gar eng zusammen mit dem, was
in den deutschen Ostseeprovinzen und anderswo in Bezug auf
Sprache und andere Elemente nicht russischer Nationalitäten gesche¬
hen ist, und die künstliche Zusammenfügung der widerstrebenden
Gliedmaßen des russischen Staatskörpers erlaubt es nicht, einen
Ring der Kette zu lösen, ohne daß das Ganze auseinanderfalte.
Wodurch in so vielen andern Fällen Nußland verwickelte Fragen
zu seinen Gunsten zu entwirren verstand, diplomatisches Hinhal¬
ten und schlaue Gewandtheit, das will ihm, wie es scheint, in
dieser Angelegenheit nicht aushelfen. Jedenfalls kann es ihm nicht
gelingen, durch bloße wortreiche, aber thatenleere Diplomatie seine
frühere Stellung, der Römischen Curie gegenüber, wieder zu erlan¬
gen; denn dort überwacht es jetzt mehr als je mit scharfen, for¬
schenden Blicken und ziemlich erfolgreich die Diplomatie des Fürsten
Metternich. Darf man einigen Andeutungen in Briefen hochstehen¬
der, sehr wohl unterrichteter Personen, die aus Rom hier angelangt
sind, trauen, so ist die östreichische Regierung und ihr mit Recht so
bedeutender Einfluß in Rom den in Rede stehenden Schritten des
päpstlichen Senilis nicht fremd geblieben. Und dies läßt sich um so
eher glauben, als man dadurch ein Gegengewicht wider die slavisch¬
russischen Umtriebe erhielte, welche, bald an die Sprache, bald an die
Religion einzelner österreichischer Provinzen sich anlehnend, den Zu¬
sammenhang derselben mit dem ganzen österreichischen Staatskörper


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[0454] vollkommene Gerechtigkeit zu Theil geworden. Und hier liegt eben der nicht ein Mal mit dem Schwert zu durchhauende gordische Kno¬ ten. Denn so wenig der Papst von seinen Forderungen abstehen kann und darf, so wenig vermag sie Rußland zu gewähren. Man ist nämlich russischer Seits in den letzten zehn Jahren in dem Sy¬ stem der allmäligen, aber diesen, der geräuschlosen, aber nachhaltigen Zerstörung der polnischen Nationalität und der Vernichtung deS Katho¬ licismus mit so beharrlicher Consequenz und Festigkeit fortgeschritten; man hat diesem System selbst, ermuthigt durch die Theilnahmlosig- keit Europas und die schon gewonnenen glücklichen Resultate, eine solche Ausdehnung gegeben, daß es jetzt unmöglich ist, auf der glei¬ tenden Bahn anzuhalten oder umzukehren, wenn man es nicht ris- kiren will, das ganze Gebäude der russischen Regierungskunst in seinen tiefsten Grundfesten bis zum Umsturz zu erschüttern. Was in Polen geschah, hängt gar eng zusammen mit dem, was in den deutschen Ostseeprovinzen und anderswo in Bezug auf Sprache und andere Elemente nicht russischer Nationalitäten gesche¬ hen ist, und die künstliche Zusammenfügung der widerstrebenden Gliedmaßen des russischen Staatskörpers erlaubt es nicht, einen Ring der Kette zu lösen, ohne daß das Ganze auseinanderfalte. Wodurch in so vielen andern Fällen Nußland verwickelte Fragen zu seinen Gunsten zu entwirren verstand, diplomatisches Hinhal¬ ten und schlaue Gewandtheit, das will ihm, wie es scheint, in dieser Angelegenheit nicht aushelfen. Jedenfalls kann es ihm nicht gelingen, durch bloße wortreiche, aber thatenleere Diplomatie seine frühere Stellung, der Römischen Curie gegenüber, wieder zu erlan¬ gen; denn dort überwacht es jetzt mehr als je mit scharfen, for¬ schenden Blicken und ziemlich erfolgreich die Diplomatie des Fürsten Metternich. Darf man einigen Andeutungen in Briefen hochstehen¬ der, sehr wohl unterrichteter Personen, die aus Rom hier angelangt sind, trauen, so ist die östreichische Regierung und ihr mit Recht so bedeutender Einfluß in Rom den in Rede stehenden Schritten des päpstlichen Senilis nicht fremd geblieben. Und dies läßt sich um so eher glauben, als man dadurch ein Gegengewicht wider die slavisch¬ russischen Umtriebe erhielte, welche, bald an die Sprache, bald an die Religion einzelner österreichischer Provinzen sich anlehnend, den Zu¬ sammenhang derselben mit dem ganzen österreichischen Staatskörper

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/454>, abgerufen am 03.07.2024.