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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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dieses aber nur zwischen den Zeilen darin zu lesen ist, so hat sie
doch wenigstens eben so viel, wo nicht mehr Werth, als die all¬
jährlich in der Adresse der französischen Deputirtenkammer wieder¬
kehrende Formel: "I^-t indi,o"i>IIt"; lwlomiigo n"z vvrii'-t pas." Denn
die Worte des heiligen Vaters, für den jeder Katholik täglich betet,
dringen tiefer in's polnische Volk und werden von ihm lebendiger
erfaßt, als die eines Königs von Frankreich, den er nur dann ken¬
nen wurde, wenn er Napoleon hieße. Dies Alles versteht Ru߬
lands Kaiser gar wohl und darum haben diese Depeschen einen
solchen Eindruck auf ihn gemacht. Der Czar gehört nicht zu jenen
hochmüthigen, kurzsichtigen, beschränkten Geistern, wie es deren über¬
all, aber besonders in Nußland giebt, die den Papst verächtlich ei¬
nen "armseligen, unbedeutenden Mönch" nennen; im Gegentheil
weiß Nicolaus, daß der päpstliche Stuhl in dieser Angelegenheit
nicht mir auf das katholische Frankreich und Oesterreich, sondern
selbst auf den protestantischen Theil Deutschlands rechnen kann.
Deal man muß eS zur Ehre Deutschlands anerkennen, gerade in
letzteren Landen ist die Ehrfurcht vor allgemeiner Religionsfreiheit
so groß, daß gar Viele, selbst eifrige Preußen und Protestanten dem
verstorbenen König von Preußen, in Bezug auf die Cölner Angelegen¬
heit, Unrecht gaben, wenn auch vielleicht das strenge Recht des Ge¬
setzesbuchstaben auf seiner Seite war. Und doch was war die Köl¬
ner Angelegenheit und der daraus hervorgegangene Zwiespalt zwi¬
schen Preußen und Rom in Vergleich mit der schon jetzt zwischen
dem heiligen Stuhl und dem Petersburger Cabinet bestehenden Un¬
einigkeit? Nie wohl wäre es irgend einem Vernünftigen eingefallen,
Friedrich Wilhelm III- einen Unterdrücker des Katholicismus zu
nennen; wenigstens hat keine Handlung seiner Regierung dazu be¬
rechtigt. Ganz das Gegentheil aber ist bei Kaiser Nicolaus der
Fall, und eben, weil er sich sowohl seiner Schuld bewußt ist, als
auch erkennt, daß er beim Eintritt eines offenen Bruches mit dem
päpstlichen Stuhl auf keine Bundesgenossen unter den europäischen
Mächten rechnen kann, eben deshalb ist er über das Actenstück vom
töten Juli tief bekümmert. Denn dieser erste Schritt kann andre
von ernstlicherer Natur herbeiführen; nun der Papst ein Mal seine
Stimme erhoben, -- und das kann er nicht wieder ungeschehen
machen, -- nun darf er nicht ablassen, bis ihm Genugthuung,


dieses aber nur zwischen den Zeilen darin zu lesen ist, so hat sie
doch wenigstens eben so viel, wo nicht mehr Werth, als die all¬
jährlich in der Adresse der französischen Deputirtenkammer wieder¬
kehrende Formel: „I^-t indi,o»i>IIt«; lwlomiigo n«z vvrii'-t pas." Denn
die Worte des heiligen Vaters, für den jeder Katholik täglich betet,
dringen tiefer in's polnische Volk und werden von ihm lebendiger
erfaßt, als die eines Königs von Frankreich, den er nur dann ken¬
nen wurde, wenn er Napoleon hieße. Dies Alles versteht Ru߬
lands Kaiser gar wohl und darum haben diese Depeschen einen
solchen Eindruck auf ihn gemacht. Der Czar gehört nicht zu jenen
hochmüthigen, kurzsichtigen, beschränkten Geistern, wie es deren über¬
all, aber besonders in Nußland giebt, die den Papst verächtlich ei¬
nen „armseligen, unbedeutenden Mönch" nennen; im Gegentheil
weiß Nicolaus, daß der päpstliche Stuhl in dieser Angelegenheit
nicht mir auf das katholische Frankreich und Oesterreich, sondern
selbst auf den protestantischen Theil Deutschlands rechnen kann.
Deal man muß eS zur Ehre Deutschlands anerkennen, gerade in
letzteren Landen ist die Ehrfurcht vor allgemeiner Religionsfreiheit
so groß, daß gar Viele, selbst eifrige Preußen und Protestanten dem
verstorbenen König von Preußen, in Bezug auf die Cölner Angelegen¬
heit, Unrecht gaben, wenn auch vielleicht das strenge Recht des Ge¬
setzesbuchstaben auf seiner Seite war. Und doch was war die Köl¬
ner Angelegenheit und der daraus hervorgegangene Zwiespalt zwi¬
schen Preußen und Rom in Vergleich mit der schon jetzt zwischen
dem heiligen Stuhl und dem Petersburger Cabinet bestehenden Un¬
einigkeit? Nie wohl wäre es irgend einem Vernünftigen eingefallen,
Friedrich Wilhelm III- einen Unterdrücker des Katholicismus zu
nennen; wenigstens hat keine Handlung seiner Regierung dazu be¬
rechtigt. Ganz das Gegentheil aber ist bei Kaiser Nicolaus der
Fall, und eben, weil er sich sowohl seiner Schuld bewußt ist, als
auch erkennt, daß er beim Eintritt eines offenen Bruches mit dem
päpstlichen Stuhl auf keine Bundesgenossen unter den europäischen
Mächten rechnen kann, eben deshalb ist er über das Actenstück vom
töten Juli tief bekümmert. Denn dieser erste Schritt kann andre
von ernstlicherer Natur herbeiführen; nun der Papst ein Mal seine
Stimme erhoben, — und das kann er nicht wieder ungeschehen
machen, — nun darf er nicht ablassen, bis ihm Genugthuung,


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[0453] dieses aber nur zwischen den Zeilen darin zu lesen ist, so hat sie doch wenigstens eben so viel, wo nicht mehr Werth, als die all¬ jährlich in der Adresse der französischen Deputirtenkammer wieder¬ kehrende Formel: „I^-t indi,o»i>IIt«; lwlomiigo n«z vvrii'-t pas." Denn die Worte des heiligen Vaters, für den jeder Katholik täglich betet, dringen tiefer in's polnische Volk und werden von ihm lebendiger erfaßt, als die eines Königs von Frankreich, den er nur dann ken¬ nen wurde, wenn er Napoleon hieße. Dies Alles versteht Ru߬ lands Kaiser gar wohl und darum haben diese Depeschen einen solchen Eindruck auf ihn gemacht. Der Czar gehört nicht zu jenen hochmüthigen, kurzsichtigen, beschränkten Geistern, wie es deren über¬ all, aber besonders in Nußland giebt, die den Papst verächtlich ei¬ nen „armseligen, unbedeutenden Mönch" nennen; im Gegentheil weiß Nicolaus, daß der päpstliche Stuhl in dieser Angelegenheit nicht mir auf das katholische Frankreich und Oesterreich, sondern selbst auf den protestantischen Theil Deutschlands rechnen kann. Deal man muß eS zur Ehre Deutschlands anerkennen, gerade in letzteren Landen ist die Ehrfurcht vor allgemeiner Religionsfreiheit so groß, daß gar Viele, selbst eifrige Preußen und Protestanten dem verstorbenen König von Preußen, in Bezug auf die Cölner Angelegen¬ heit, Unrecht gaben, wenn auch vielleicht das strenge Recht des Ge¬ setzesbuchstaben auf seiner Seite war. Und doch was war die Köl¬ ner Angelegenheit und der daraus hervorgegangene Zwiespalt zwi¬ schen Preußen und Rom in Vergleich mit der schon jetzt zwischen dem heiligen Stuhl und dem Petersburger Cabinet bestehenden Un¬ einigkeit? Nie wohl wäre es irgend einem Vernünftigen eingefallen, Friedrich Wilhelm III- einen Unterdrücker des Katholicismus zu nennen; wenigstens hat keine Handlung seiner Regierung dazu be¬ rechtigt. Ganz das Gegentheil aber ist bei Kaiser Nicolaus der Fall, und eben, weil er sich sowohl seiner Schuld bewußt ist, als auch erkennt, daß er beim Eintritt eines offenen Bruches mit dem päpstlichen Stuhl auf keine Bundesgenossen unter den europäischen Mächten rechnen kann, eben deshalb ist er über das Actenstück vom töten Juli tief bekümmert. Denn dieser erste Schritt kann andre von ernstlicherer Natur herbeiführen; nun der Papst ein Mal seine Stimme erhoben, — und das kann er nicht wieder ungeschehen machen, — nun darf er nicht ablassen, bis ihm Genugthuung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/453>, abgerufen am 23.07.2024.