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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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ist, so behält sie darum doch nicht minder den Charakter einer sehr
energischen Protestation des Oberhauptes der katholischen Christen¬
heit gegen die Verletzungen der polnischen Kirche, deren sich Nu߬
land seit der unseligen ersten Theilung Polens bis auf unsere Tage
schuldig gemacht hat. Das geheimnißvolle Helldunkel in der Sprache
dieser Allocution läßt dennoch fast durchschauen, daß in diesem Ac-
tenstück die polnische Nationalität unter der polnischen Kirche zum
Theil unverstanden ist. Es kann daher diese Protestation zu Gun¬
sten der polnischen Kirche auch sür eine zu Gunsten deS politischen
Zustandes von Polen gelten^'). Und wenn auch jenes offenbar,



Anm. d. Red.
*) Wir können nicht umhin, bei dieser Gelegenheit aus dem Werke des
Grafen Balerian Krasinsky "über die Geschichte der Reformation in Polen
u. s. w," eine hierher bezügliche Stelle unsern Lesern mitzutheilen. Sie lau¬
tet folgendermaßen: "Warum eiferte Rom gegen die Empörung katho¬
lischer Polen gegen den griechischen Herrn, da es doch nie gegen die Em¬
pörung Hegen lutherische oder calvinistische Herrn geeifert?" Und er sucht dies
folgendermaßen zu beantworten: ,Rom sieht mit seinem gewöhnlichen Scharf¬
blick, welche Gefahr seiner Herrschaft in Polen droht, wenn das Land wieder
"ein unabhängiger Staat werden sollte. Daher das bekannte Schreiben, das
"Gregor XVI. im Jahre 1832 an die polnischen Bischöfe richtete und worin
"er den Aufstand in den stärksten Ausdrücken verdammte. Dieses Schreiben
"bezieht sich auf ein anderes von gleichem Inhalt, das während des Kampfes
"abgesendet ward, aber, wie der Papst klagt, nicht an seine Bestimmung ge¬
langte. Diese Klage scheint nicht ganz gegründet zu sein, und obgleich das
"päpstliche Schreiben nicht veröffentlicht worden ist, so muß es doch unter der
"Geistlichkeit in Umlauf gekommen sein, da es eine bekannte Thatsache ist, daß
"die dem römischen Stuhle besonders ergebenen Mönche von dem Missionsorden
"den polnischen Soldaten die Lossprechung im Beichtstuhle versagten, weil sie
"gegen den Kaiser von Rußland gefochten hatten. Ubbo Lameiuiais behauptet
"in seiner bekannten Schrift: ^Mires <!v uvae, der Papst habe, besorgt, daß
"Oesterreich sich der Legationen bemächtigen möchte, von Rußland eine Gewähr¬
leistung jener Theile seines Gebietes erlangt, unter der Bedingung, daß das
"Schreiben an die Bischöfe erlassen werden sollte. Der Papst hatte allerdings
"Ursache, den glücklichen Erfolg des polnischen Aufstandes zu fürchten, da meh¬
rere jüngere Geistliche sich über einen Plan zur Befreiung und Verbesserung
"der polnischen Kirche verständigt hatten, der auf den Grundlagen ruhte, daß
"eine gänzliche Trennung von Rom erfolgen, die Landessprache bei dem Got¬
tesdienste eingeführt, die Priesterehe gestattet, die Hierarchie beibehalten, der
"Lehrsatz von der Brodverwandlung und der Ohrenbeichte dem Gewissen jedes
"Einzelnen überlassen werden sollte."

ist, so behält sie darum doch nicht minder den Charakter einer sehr
energischen Protestation des Oberhauptes der katholischen Christen¬
heit gegen die Verletzungen der polnischen Kirche, deren sich Nu߬
land seit der unseligen ersten Theilung Polens bis auf unsere Tage
schuldig gemacht hat. Das geheimnißvolle Helldunkel in der Sprache
dieser Allocution läßt dennoch fast durchschauen, daß in diesem Ac-
tenstück die polnische Nationalität unter der polnischen Kirche zum
Theil unverstanden ist. Es kann daher diese Protestation zu Gun¬
sten der polnischen Kirche auch sür eine zu Gunsten deS politischen
Zustandes von Polen gelten^'). Und wenn auch jenes offenbar,



Anm. d. Red.
*) Wir können nicht umhin, bei dieser Gelegenheit aus dem Werke des
Grafen Balerian Krasinsky „über die Geschichte der Reformation in Polen
u. s. w," eine hierher bezügliche Stelle unsern Lesern mitzutheilen. Sie lau¬
tet folgendermaßen: „Warum eiferte Rom gegen die Empörung katho¬
lischer Polen gegen den griechischen Herrn, da es doch nie gegen die Em¬
pörung Hegen lutherische oder calvinistische Herrn geeifert?" Und er sucht dies
folgendermaßen zu beantworten: ,Rom sieht mit seinem gewöhnlichen Scharf¬
blick, welche Gefahr seiner Herrschaft in Polen droht, wenn das Land wieder
„ein unabhängiger Staat werden sollte. Daher das bekannte Schreiben, das
„Gregor XVI. im Jahre 1832 an die polnischen Bischöfe richtete und worin
„er den Aufstand in den stärksten Ausdrücken verdammte. Dieses Schreiben
„bezieht sich auf ein anderes von gleichem Inhalt, das während des Kampfes
„abgesendet ward, aber, wie der Papst klagt, nicht an seine Bestimmung ge¬
langte. Diese Klage scheint nicht ganz gegründet zu sein, und obgleich das
„päpstliche Schreiben nicht veröffentlicht worden ist, so muß es doch unter der
„Geistlichkeit in Umlauf gekommen sein, da es eine bekannte Thatsache ist, daß
„die dem römischen Stuhle besonders ergebenen Mönche von dem Missionsorden
„den polnischen Soldaten die Lossprechung im Beichtstuhle versagten, weil sie
„gegen den Kaiser von Rußland gefochten hatten. Ubbo Lameiuiais behauptet
„in seiner bekannten Schrift: ^Mires <!v uvae, der Papst habe, besorgt, daß
„Oesterreich sich der Legationen bemächtigen möchte, von Rußland eine Gewähr¬
leistung jener Theile seines Gebietes erlangt, unter der Bedingung, daß das
„Schreiben an die Bischöfe erlassen werden sollte. Der Papst hatte allerdings
„Ursache, den glücklichen Erfolg des polnischen Aufstandes zu fürchten, da meh¬
rere jüngere Geistliche sich über einen Plan zur Befreiung und Verbesserung
„der polnischen Kirche verständigt hatten, der auf den Grundlagen ruhte, daß
„eine gänzliche Trennung von Rom erfolgen, die Landessprache bei dem Got¬
tesdienste eingeführt, die Priesterehe gestattet, die Hierarchie beibehalten, der
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„Einzelnen überlassen werden sollte."
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[0452] ist, so behält sie darum doch nicht minder den Charakter einer sehr energischen Protestation des Oberhauptes der katholischen Christen¬ heit gegen die Verletzungen der polnischen Kirche, deren sich Nu߬ land seit der unseligen ersten Theilung Polens bis auf unsere Tage schuldig gemacht hat. Das geheimnißvolle Helldunkel in der Sprache dieser Allocution läßt dennoch fast durchschauen, daß in diesem Ac- tenstück die polnische Nationalität unter der polnischen Kirche zum Theil unverstanden ist. Es kann daher diese Protestation zu Gun¬ sten der polnischen Kirche auch sür eine zu Gunsten deS politischen Zustandes von Polen gelten^'). Und wenn auch jenes offenbar, Anm. d. Red. *) Wir können nicht umhin, bei dieser Gelegenheit aus dem Werke des Grafen Balerian Krasinsky „über die Geschichte der Reformation in Polen u. s. w," eine hierher bezügliche Stelle unsern Lesern mitzutheilen. Sie lau¬ tet folgendermaßen: „Warum eiferte Rom gegen die Empörung katho¬ lischer Polen gegen den griechischen Herrn, da es doch nie gegen die Em¬ pörung Hegen lutherische oder calvinistische Herrn geeifert?" Und er sucht dies folgendermaßen zu beantworten: ,Rom sieht mit seinem gewöhnlichen Scharf¬ blick, welche Gefahr seiner Herrschaft in Polen droht, wenn das Land wieder „ein unabhängiger Staat werden sollte. Daher das bekannte Schreiben, das „Gregor XVI. im Jahre 1832 an die polnischen Bischöfe richtete und worin „er den Aufstand in den stärksten Ausdrücken verdammte. Dieses Schreiben „bezieht sich auf ein anderes von gleichem Inhalt, das während des Kampfes „abgesendet ward, aber, wie der Papst klagt, nicht an seine Bestimmung ge¬ langte. Diese Klage scheint nicht ganz gegründet zu sein, und obgleich das „päpstliche Schreiben nicht veröffentlicht worden ist, so muß es doch unter der „Geistlichkeit in Umlauf gekommen sein, da es eine bekannte Thatsache ist, daß „die dem römischen Stuhle besonders ergebenen Mönche von dem Missionsorden „den polnischen Soldaten die Lossprechung im Beichtstuhle versagten, weil sie „gegen den Kaiser von Rußland gefochten hatten. Ubbo Lameiuiais behauptet „in seiner bekannten Schrift: ^Mires <!v uvae, der Papst habe, besorgt, daß „Oesterreich sich der Legationen bemächtigen möchte, von Rußland eine Gewähr¬ leistung jener Theile seines Gebietes erlangt, unter der Bedingung, daß das „Schreiben an die Bischöfe erlassen werden sollte. Der Papst hatte allerdings „Ursache, den glücklichen Erfolg des polnischen Aufstandes zu fürchten, da meh¬ rere jüngere Geistliche sich über einen Plan zur Befreiung und Verbesserung „der polnischen Kirche verständigt hatten, der auf den Grundlagen ruhte, daß „eine gänzliche Trennung von Rom erfolgen, die Landessprache bei dem Got¬ tesdienste eingeführt, die Priesterehe gestattet, die Hierarchie beibehalten, der „Lehrsatz von der Brodverwandlung und der Ohrenbeichte dem Gewissen jedes „Einzelnen überlassen werden sollte."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/452>, abgerufen am 23.07.2024.