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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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In der-That auch hatte die sorgenschweren Falten dieser Stirn ein
Gewichtigeres hervorgerufen; eine entfernte, alterschwache Hand hatte
zitternd und verborgen einen befiederten Pfeil geschleudert und der
hatte die Achillesferse deS Autokraten, den wunden Fleck seiner Herr¬
schaft getroffen. ES war nämlich um diese Zeit ein Courier der
russischen Gesandtschaft zu Rom eingetroffen, dessen Depeschen die
Allocution des Papstes vom I9ten Juli nebst einer Denkschrift deS
römischen Cabinets nach Se. Petersburg brachten. In letzterer
waren alle Beschwerden der katholischen Kirche Polens, so wie alle
Nachgiebigkeiten und Zugeständnisse aufgezählt, welche die russische
Negierung nach einander den Päpsten Pius VI. und VII., Leo XII.,
Pius VIII. und neuerdings noch Gregor XVI. eöcamvlirt hat. Dies
letzte Wort ist, wenn auch etwas hart, doch vollkommen wahr;
denn auf dem falschen Wege, den der Kaiser in dieser Beziehung
eingeschlagen, war ein offenes, loyales Benehmen nicht möglich.
Um seinen Zweck, die vollständige Vernichtung der polnischen Na¬
tionalität durch die Zerstörung ihres letzten Bollwerkes, der katholischen
Kirche, zu erreichen und damit eine von seinen Vorfahren seit Ka¬
tharina II. ererbte Aufgabe endlich zu erfüllen, war kein anderer
Weg tauglich, als der schon von dieser Kaiserin eingeschlagene der
versteckten, hinterhältigen List. Und auf dieser Bahn ist denn auch
der jetzige Kaiser in beharrlicher Consequenz fortgeschritten. Nur
darf man mit Recht darüber sich wundern, daß Rußlands sonst so
scharfsichtiger Herrscher nicht erkannt hat, wie doppelt gefährlich ein
solches Unternehmen sei. Denn einer Seits kann es nie zu glück¬
lichem Ende geführt werden, weil Polen selbst in seinem jetzigen,
gelähmten Zustande noch nationale Kraft genug besitzt, um alle der¬
gleichen seine volksthümliche Enstenz untergrabende Versuche zum
Scheitern zu bringen. Andrer Seits aber ließe sich ein solches
Streichen Polens aus der Völkerreihe auf keinerlei Weise, weder
durch eine moralische noch durch eine politische Nothwendigkett, ja
nicht einmal aus dem Gesichtspunkte eines wohlverstandenen Inter¬
esses Rußlands selbst rechtfertigen und dürfte wohl über kurz oder
lang ein thatkräftiges Einschreiten der beiden betheiligten Grenz¬
mächte hervorrufen.

Mit wie vieler Sanftmuth und fast ehrfurchtsvoller Schonung
Rußlands die päpstliche Allocution vom I9ten Juli auch geschrieben


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In der-That auch hatte die sorgenschweren Falten dieser Stirn ein
Gewichtigeres hervorgerufen; eine entfernte, alterschwache Hand hatte
zitternd und verborgen einen befiederten Pfeil geschleudert und der
hatte die Achillesferse deS Autokraten, den wunden Fleck seiner Herr¬
schaft getroffen. ES war nämlich um diese Zeit ein Courier der
russischen Gesandtschaft zu Rom eingetroffen, dessen Depeschen die
Allocution des Papstes vom I9ten Juli nebst einer Denkschrift deS
römischen Cabinets nach Se. Petersburg brachten. In letzterer
waren alle Beschwerden der katholischen Kirche Polens, so wie alle
Nachgiebigkeiten und Zugeständnisse aufgezählt, welche die russische
Negierung nach einander den Päpsten Pius VI. und VII., Leo XII.,
Pius VIII. und neuerdings noch Gregor XVI. eöcamvlirt hat. Dies
letzte Wort ist, wenn auch etwas hart, doch vollkommen wahr;
denn auf dem falschen Wege, den der Kaiser in dieser Beziehung
eingeschlagen, war ein offenes, loyales Benehmen nicht möglich.
Um seinen Zweck, die vollständige Vernichtung der polnischen Na¬
tionalität durch die Zerstörung ihres letzten Bollwerkes, der katholischen
Kirche, zu erreichen und damit eine von seinen Vorfahren seit Ka¬
tharina II. ererbte Aufgabe endlich zu erfüllen, war kein anderer
Weg tauglich, als der schon von dieser Kaiserin eingeschlagene der
versteckten, hinterhältigen List. Und auf dieser Bahn ist denn auch
der jetzige Kaiser in beharrlicher Consequenz fortgeschritten. Nur
darf man mit Recht darüber sich wundern, daß Rußlands sonst so
scharfsichtiger Herrscher nicht erkannt hat, wie doppelt gefährlich ein
solches Unternehmen sei. Denn einer Seits kann es nie zu glück¬
lichem Ende geführt werden, weil Polen selbst in seinem jetzigen,
gelähmten Zustande noch nationale Kraft genug besitzt, um alle der¬
gleichen seine volksthümliche Enstenz untergrabende Versuche zum
Scheitern zu bringen. Andrer Seits aber ließe sich ein solches
Streichen Polens aus der Völkerreihe auf keinerlei Weise, weder
durch eine moralische noch durch eine politische Nothwendigkett, ja
nicht einmal aus dem Gesichtspunkte eines wohlverstandenen Inter¬
esses Rußlands selbst rechtfertigen und dürfte wohl über kurz oder
lang ein thatkräftiges Einschreiten der beiden betheiligten Grenz¬
mächte hervorrufen.

Mit wie vieler Sanftmuth und fast ehrfurchtsvoller Schonung
Rußlands die päpstliche Allocution vom I9ten Juli auch geschrieben


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[0451] In der-That auch hatte die sorgenschweren Falten dieser Stirn ein Gewichtigeres hervorgerufen; eine entfernte, alterschwache Hand hatte zitternd und verborgen einen befiederten Pfeil geschleudert und der hatte die Achillesferse deS Autokraten, den wunden Fleck seiner Herr¬ schaft getroffen. ES war nämlich um diese Zeit ein Courier der russischen Gesandtschaft zu Rom eingetroffen, dessen Depeschen die Allocution des Papstes vom I9ten Juli nebst einer Denkschrift deS römischen Cabinets nach Se. Petersburg brachten. In letzterer waren alle Beschwerden der katholischen Kirche Polens, so wie alle Nachgiebigkeiten und Zugeständnisse aufgezählt, welche die russische Negierung nach einander den Päpsten Pius VI. und VII., Leo XII., Pius VIII. und neuerdings noch Gregor XVI. eöcamvlirt hat. Dies letzte Wort ist, wenn auch etwas hart, doch vollkommen wahr; denn auf dem falschen Wege, den der Kaiser in dieser Beziehung eingeschlagen, war ein offenes, loyales Benehmen nicht möglich. Um seinen Zweck, die vollständige Vernichtung der polnischen Na¬ tionalität durch die Zerstörung ihres letzten Bollwerkes, der katholischen Kirche, zu erreichen und damit eine von seinen Vorfahren seit Ka¬ tharina II. ererbte Aufgabe endlich zu erfüllen, war kein anderer Weg tauglich, als der schon von dieser Kaiserin eingeschlagene der versteckten, hinterhältigen List. Und auf dieser Bahn ist denn auch der jetzige Kaiser in beharrlicher Consequenz fortgeschritten. Nur darf man mit Recht darüber sich wundern, daß Rußlands sonst so scharfsichtiger Herrscher nicht erkannt hat, wie doppelt gefährlich ein solches Unternehmen sei. Denn einer Seits kann es nie zu glück¬ lichem Ende geführt werden, weil Polen selbst in seinem jetzigen, gelähmten Zustande noch nationale Kraft genug besitzt, um alle der¬ gleichen seine volksthümliche Enstenz untergrabende Versuche zum Scheitern zu bringen. Andrer Seits aber ließe sich ein solches Streichen Polens aus der Völkerreihe auf keinerlei Weise, weder durch eine moralische noch durch eine politische Nothwendigkett, ja nicht einmal aus dem Gesichtspunkte eines wohlverstandenen Inter¬ esses Rußlands selbst rechtfertigen und dürfte wohl über kurz oder lang ein thatkräftiges Einschreiten der beiden betheiligten Grenz¬ mächte hervorrufen. Mit wie vieler Sanftmuth und fast ehrfurchtsvoller Schonung Rußlands die päpstliche Allocution vom I9ten Juli auch geschrieben 30 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/451>, abgerufen am 23.07.2024.