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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Darstellung der Evangelien enthalten; über diesen Bildhauer-Ge-
niälden nun stehen in gleichen Zwischenräumen andre Figürchen,
welche einen Christus, der die Weltkugel in den Händen hält, meh¬
rere Engel in verschiedenen Stellungen, -- unter andern einen
weinenden Engel, dessen Ausdruck sehr schön ist, -- einen Se. Mi¬
chael, einen guten Hirten darstellen. Das ist aber noch nicht Alles;
vor den Chorstühlen sieht man andre sitzende Figuren, welche eben¬
soviel symbolische Bilder sind. So z. B. hier ein bußethucnder
Kaiser, der das Zeichen der Herrschaft mit Füßen tritt; weiterhin
einen verzückten Märtyrer; neben ihm eine junge Frau, welche den
Frieden darstellt (diese beiden Figuren sind diejenigen, deren Aus¬
führung unter allen die feinste ist); noch weiterhin endlich die Barm¬
herzigkeit, die Unschuld und andre gleichfalls leicht erfaßliche allego¬
rische Figuren. Die Ausführung aller dieser Gestalten aber rührt
nicht von einer Hand her; denn es sind drei oder vier darunter,
welche einen ziemlich schwerfälligen Meißel verrathen. ES ist aber
durchaus zu wünschen, daß Herr Geerts die Einzelnheiten dieses
großen Werkes so wenig als möglich ungeschickten Händen anver¬
traue. Sollte er deshalb auch nur langsamer vorwärts schreiten, so
möge er doch bedenken, daß er für die Zukunft arbeitet und daß
er dieser so wenig Gelegenheit zum Tadel lassen darf, als er
nur immer kann. Auf der Seite, die nach dem Altare zu geht,
stehen auch noch Engelsgestalten, welche Legenden halten. Ihre
schwebenden Gewänder, ihre an den Schläfen zurückgeschlagenen
Kopfhaare, ihre langen Fittige, in die sie sich einhüllen, sind ganz
und gar im Geschmack des sechzehnten Jahrhunderts. Auch von diesen
kann man in der diesjährigen Brüsseler Kunstausstellung ein Muster
sehen.

Diese Arbeit ist, besonders der unendlichen Mannigfaltigkeit des
Details halber, etwas Ungeheures und sie wird Herrn Geerts die
größte Ehre machen, der, wie uns scheint, als Bildhauer hier auf
das gestoßen ist, worin das Charakteristische seines Talents besteht,
nämlich auf die nachahmungs des Gothisch-naiven. Er hat eine
Anschauungsweise wieder geltend gemacht, die wir ganz verloren
geglaubt haben, und er leistet in der Bildhauerkunst das, was deutsche
Künstler in der Malerei thun; nur mir dem Unterschiede, daß in
einem Gebiete, wo die Kunst fast gar kein Muster hinterlassen hat,


Darstellung der Evangelien enthalten; über diesen Bildhauer-Ge-
niälden nun stehen in gleichen Zwischenräumen andre Figürchen,
welche einen Christus, der die Weltkugel in den Händen hält, meh¬
rere Engel in verschiedenen Stellungen, — unter andern einen
weinenden Engel, dessen Ausdruck sehr schön ist, — einen Se. Mi¬
chael, einen guten Hirten darstellen. Das ist aber noch nicht Alles;
vor den Chorstühlen sieht man andre sitzende Figuren, welche eben¬
soviel symbolische Bilder sind. So z. B. hier ein bußethucnder
Kaiser, der das Zeichen der Herrschaft mit Füßen tritt; weiterhin
einen verzückten Märtyrer; neben ihm eine junge Frau, welche den
Frieden darstellt (diese beiden Figuren sind diejenigen, deren Aus¬
führung unter allen die feinste ist); noch weiterhin endlich die Barm¬
herzigkeit, die Unschuld und andre gleichfalls leicht erfaßliche allego¬
rische Figuren. Die Ausführung aller dieser Gestalten aber rührt
nicht von einer Hand her; denn es sind drei oder vier darunter,
welche einen ziemlich schwerfälligen Meißel verrathen. ES ist aber
durchaus zu wünschen, daß Herr Geerts die Einzelnheiten dieses
großen Werkes so wenig als möglich ungeschickten Händen anver¬
traue. Sollte er deshalb auch nur langsamer vorwärts schreiten, so
möge er doch bedenken, daß er für die Zukunft arbeitet und daß
er dieser so wenig Gelegenheit zum Tadel lassen darf, als er
nur immer kann. Auf der Seite, die nach dem Altare zu geht,
stehen auch noch Engelsgestalten, welche Legenden halten. Ihre
schwebenden Gewänder, ihre an den Schläfen zurückgeschlagenen
Kopfhaare, ihre langen Fittige, in die sie sich einhüllen, sind ganz
und gar im Geschmack des sechzehnten Jahrhunderts. Auch von diesen
kann man in der diesjährigen Brüsseler Kunstausstellung ein Muster
sehen.

Diese Arbeit ist, besonders der unendlichen Mannigfaltigkeit des
Details halber, etwas Ungeheures und sie wird Herrn Geerts die
größte Ehre machen, der, wie uns scheint, als Bildhauer hier auf
das gestoßen ist, worin das Charakteristische seines Talents besteht,
nämlich auf die nachahmungs des Gothisch-naiven. Er hat eine
Anschauungsweise wieder geltend gemacht, die wir ganz verloren
geglaubt haben, und er leistet in der Bildhauerkunst das, was deutsche
Künstler in der Malerei thun; nur mir dem Unterschiede, daß in
einem Gebiete, wo die Kunst fast gar kein Muster hinterlassen hat,


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[0412] Darstellung der Evangelien enthalten; über diesen Bildhauer-Ge- niälden nun stehen in gleichen Zwischenräumen andre Figürchen, welche einen Christus, der die Weltkugel in den Händen hält, meh¬ rere Engel in verschiedenen Stellungen, — unter andern einen weinenden Engel, dessen Ausdruck sehr schön ist, — einen Se. Mi¬ chael, einen guten Hirten darstellen. Das ist aber noch nicht Alles; vor den Chorstühlen sieht man andre sitzende Figuren, welche eben¬ soviel symbolische Bilder sind. So z. B. hier ein bußethucnder Kaiser, der das Zeichen der Herrschaft mit Füßen tritt; weiterhin einen verzückten Märtyrer; neben ihm eine junge Frau, welche den Frieden darstellt (diese beiden Figuren sind diejenigen, deren Aus¬ führung unter allen die feinste ist); noch weiterhin endlich die Barm¬ herzigkeit, die Unschuld und andre gleichfalls leicht erfaßliche allego¬ rische Figuren. Die Ausführung aller dieser Gestalten aber rührt nicht von einer Hand her; denn es sind drei oder vier darunter, welche einen ziemlich schwerfälligen Meißel verrathen. ES ist aber durchaus zu wünschen, daß Herr Geerts die Einzelnheiten dieses großen Werkes so wenig als möglich ungeschickten Händen anver¬ traue. Sollte er deshalb auch nur langsamer vorwärts schreiten, so möge er doch bedenken, daß er für die Zukunft arbeitet und daß er dieser so wenig Gelegenheit zum Tadel lassen darf, als er nur immer kann. Auf der Seite, die nach dem Altare zu geht, stehen auch noch Engelsgestalten, welche Legenden halten. Ihre schwebenden Gewänder, ihre an den Schläfen zurückgeschlagenen Kopfhaare, ihre langen Fittige, in die sie sich einhüllen, sind ganz und gar im Geschmack des sechzehnten Jahrhunderts. Auch von diesen kann man in der diesjährigen Brüsseler Kunstausstellung ein Muster sehen. Diese Arbeit ist, besonders der unendlichen Mannigfaltigkeit des Details halber, etwas Ungeheures und sie wird Herrn Geerts die größte Ehre machen, der, wie uns scheint, als Bildhauer hier auf das gestoßen ist, worin das Charakteristische seines Talents besteht, nämlich auf die nachahmungs des Gothisch-naiven. Er hat eine Anschauungsweise wieder geltend gemacht, die wir ganz verloren geglaubt haben, und er leistet in der Bildhauerkunst das, was deutsche Künstler in der Malerei thun; nur mir dem Unterschiede, daß in einem Gebiete, wo die Kunst fast gar kein Muster hinterlassen hat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/412>, abgerufen am 26.08.2024.