Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

als die nochmalige offizielle Thronentsagung Constantin's von War¬
schau nach Petersburg angelangt war, zum Kaiser ausrufen. Seine
Thronbesteigung ward also von einer Verschwörung begrüßt, deren
Mitglieder im ganzen weiten Königreiche verbreitet waren und die
im Geheimen längst Alles zu einem Aufstande abgekartet und ge¬
sponnen hatten: aus den Casernen tritt die Verschwörung auf
die Straßen und geht direkt auf den Palast los, in dem sich
die kaiserliche Familie befindet, deren allgemeine Ermordung beschlos¬
sen worden ist und deren "Staub bald in alle Winde zerstreut
werden sollte," nach dem grausamen und cynischen Ausdruck
Bestuczef's, eines der fünf Verschworenen. Unentschlossen harrte
Nikolaus, den seine Gemahlin und seine Kinder umgeben. In
diesem entscheidenden Augenblick trat die Kaiserin Mutter herein
und sagte feierlich zu ihrem Sohne:

"Du bist nicht an Deinem Posten! Derjenige, von welchem
das Schicksal von sechzig Millionen abhängt, darf nicht anstehen,
sich in Lebensgefahr zu begeben, wo eS seine Krone gilt."

Der Kaiser verläßt den Palast. Eine Kugel, die nach ihm
gerichtet wird, trifft den General Miloradowitsch, den Gouverneur
von Petersburg, auf den Tod; aber in einem Augenblick darauf
ist Alles beruhigt, der Aufstand stürzt demüthig nieder vor dem
Muth und dem Ansehen des jungen Hossudar, um bald darauf
eine strenge Züchtigung zu erfahren. Dieses Ereigniß, unter dessen
traurig blutigen Auspickn des jetzigen Kaisers Regierung begon¬
nen , so wie die entsetzlichen Pläne der Verschworenen haben einen
entscheidenden Einfluß auf Nikolaus' Charakter geübt und ihm
jene Härte gegeben, wodurch er so mannigfach, besonders im
Auslande, gegenerweckt hat. Als Mensch zeigt sich Nikolaus edel-
herzig und theilnehmen'd, als Kaiser aber unbeugsam und streng;
kein fremder Wille hat auf den seinigen irgend einen Einfluß; alle
seine Handlungen entspringen unmittelbar seinem eigenen Willen.

Wenn die außerrussischen Journale Nachrichten aus Petersburg
enthalten, die nicht officiellen Ursprungs sind, so drehen sich dieselben
gewöhnlich um einen der drei folgenden Gegenstände: eine Amnestie
für die Polen, Niederlagen der russischen Heere gegen die Tscherkessen
und die furchtbaren Verschwörungen in Petersburg. Ich will die
Amnestiefrage ganz mit Stillschweigen übergehen; denn sie ist von


als die nochmalige offizielle Thronentsagung Constantin's von War¬
schau nach Petersburg angelangt war, zum Kaiser ausrufen. Seine
Thronbesteigung ward also von einer Verschwörung begrüßt, deren
Mitglieder im ganzen weiten Königreiche verbreitet waren und die
im Geheimen längst Alles zu einem Aufstande abgekartet und ge¬
sponnen hatten: aus den Casernen tritt die Verschwörung auf
die Straßen und geht direkt auf den Palast los, in dem sich
die kaiserliche Familie befindet, deren allgemeine Ermordung beschlos¬
sen worden ist und deren „Staub bald in alle Winde zerstreut
werden sollte," nach dem grausamen und cynischen Ausdruck
Bestuczef's, eines der fünf Verschworenen. Unentschlossen harrte
Nikolaus, den seine Gemahlin und seine Kinder umgeben. In
diesem entscheidenden Augenblick trat die Kaiserin Mutter herein
und sagte feierlich zu ihrem Sohne:

„Du bist nicht an Deinem Posten! Derjenige, von welchem
das Schicksal von sechzig Millionen abhängt, darf nicht anstehen,
sich in Lebensgefahr zu begeben, wo eS seine Krone gilt."

Der Kaiser verläßt den Palast. Eine Kugel, die nach ihm
gerichtet wird, trifft den General Miloradowitsch, den Gouverneur
von Petersburg, auf den Tod; aber in einem Augenblick darauf
ist Alles beruhigt, der Aufstand stürzt demüthig nieder vor dem
Muth und dem Ansehen des jungen Hossudar, um bald darauf
eine strenge Züchtigung zu erfahren. Dieses Ereigniß, unter dessen
traurig blutigen Auspickn des jetzigen Kaisers Regierung begon¬
nen , so wie die entsetzlichen Pläne der Verschworenen haben einen
entscheidenden Einfluß auf Nikolaus' Charakter geübt und ihm
jene Härte gegeben, wodurch er so mannigfach, besonders im
Auslande, gegenerweckt hat. Als Mensch zeigt sich Nikolaus edel-
herzig und theilnehmen'd, als Kaiser aber unbeugsam und streng;
kein fremder Wille hat auf den seinigen irgend einen Einfluß; alle
seine Handlungen entspringen unmittelbar seinem eigenen Willen.

Wenn die außerrussischen Journale Nachrichten aus Petersburg
enthalten, die nicht officiellen Ursprungs sind, so drehen sich dieselben
gewöhnlich um einen der drei folgenden Gegenstände: eine Amnestie
für die Polen, Niederlagen der russischen Heere gegen die Tscherkessen
und die furchtbaren Verschwörungen in Petersburg. Ich will die
Amnestiefrage ganz mit Stillschweigen übergehen; denn sie ist von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0343" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266960"/>
          <p xml:id="ID_935" prev="#ID_934"> als die nochmalige offizielle Thronentsagung Constantin's von War¬<lb/>
schau nach Petersburg angelangt war, zum Kaiser ausrufen. Seine<lb/>
Thronbesteigung ward also von einer Verschwörung begrüßt, deren<lb/>
Mitglieder im ganzen weiten Königreiche verbreitet waren und die<lb/>
im Geheimen längst Alles zu einem Aufstande abgekartet und ge¬<lb/>
sponnen hatten: aus den Casernen tritt die Verschwörung auf<lb/>
die Straßen und geht direkt auf den Palast los, in dem sich<lb/>
die kaiserliche Familie befindet, deren allgemeine Ermordung beschlos¬<lb/>
sen worden ist und deren &#x201E;Staub bald in alle Winde zerstreut<lb/>
werden sollte," nach dem grausamen und cynischen Ausdruck<lb/>
Bestuczef's, eines der fünf Verschworenen. Unentschlossen harrte<lb/>
Nikolaus, den seine Gemahlin und seine Kinder umgeben. In<lb/>
diesem entscheidenden Augenblick trat die Kaiserin Mutter herein<lb/>
und sagte feierlich zu ihrem Sohne:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_936"> &#x201E;Du bist nicht an Deinem Posten! Derjenige, von welchem<lb/>
das Schicksal von sechzig Millionen abhängt, darf nicht anstehen,<lb/>
sich in Lebensgefahr zu begeben, wo eS seine Krone gilt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_937"> Der Kaiser verläßt den Palast. Eine Kugel, die nach ihm<lb/>
gerichtet wird, trifft den General Miloradowitsch, den Gouverneur<lb/>
von Petersburg, auf den Tod; aber in einem Augenblick darauf<lb/>
ist Alles beruhigt, der Aufstand stürzt demüthig nieder vor dem<lb/>
Muth und dem Ansehen des jungen Hossudar, um bald darauf<lb/>
eine strenge Züchtigung zu erfahren. Dieses Ereigniß, unter dessen<lb/>
traurig blutigen Auspickn des jetzigen Kaisers Regierung begon¬<lb/>
nen , so wie die entsetzlichen Pläne der Verschworenen haben einen<lb/>
entscheidenden Einfluß auf Nikolaus' Charakter geübt und ihm<lb/>
jene Härte gegeben, wodurch er so mannigfach, besonders im<lb/>
Auslande, gegenerweckt hat. Als Mensch zeigt sich Nikolaus edel-<lb/>
herzig und theilnehmen'd, als Kaiser aber unbeugsam und streng;<lb/>
kein fremder Wille hat auf den seinigen irgend einen Einfluß; alle<lb/>
seine Handlungen entspringen unmittelbar seinem eigenen Willen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_938" next="#ID_939"> Wenn die außerrussischen Journale Nachrichten aus Petersburg<lb/>
enthalten, die nicht officiellen Ursprungs sind, so drehen sich dieselben<lb/>
gewöhnlich um einen der drei folgenden Gegenstände: eine Amnestie<lb/>
für die Polen, Niederlagen der russischen Heere gegen die Tscherkessen<lb/>
und die furchtbaren Verschwörungen in Petersburg. Ich will die<lb/>
Amnestiefrage ganz mit Stillschweigen übergehen; denn sie ist von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0343] als die nochmalige offizielle Thronentsagung Constantin's von War¬ schau nach Petersburg angelangt war, zum Kaiser ausrufen. Seine Thronbesteigung ward also von einer Verschwörung begrüßt, deren Mitglieder im ganzen weiten Königreiche verbreitet waren und die im Geheimen längst Alles zu einem Aufstande abgekartet und ge¬ sponnen hatten: aus den Casernen tritt die Verschwörung auf die Straßen und geht direkt auf den Palast los, in dem sich die kaiserliche Familie befindet, deren allgemeine Ermordung beschlos¬ sen worden ist und deren „Staub bald in alle Winde zerstreut werden sollte," nach dem grausamen und cynischen Ausdruck Bestuczef's, eines der fünf Verschworenen. Unentschlossen harrte Nikolaus, den seine Gemahlin und seine Kinder umgeben. In diesem entscheidenden Augenblick trat die Kaiserin Mutter herein und sagte feierlich zu ihrem Sohne: „Du bist nicht an Deinem Posten! Derjenige, von welchem das Schicksal von sechzig Millionen abhängt, darf nicht anstehen, sich in Lebensgefahr zu begeben, wo eS seine Krone gilt." Der Kaiser verläßt den Palast. Eine Kugel, die nach ihm gerichtet wird, trifft den General Miloradowitsch, den Gouverneur von Petersburg, auf den Tod; aber in einem Augenblick darauf ist Alles beruhigt, der Aufstand stürzt demüthig nieder vor dem Muth und dem Ansehen des jungen Hossudar, um bald darauf eine strenge Züchtigung zu erfahren. Dieses Ereigniß, unter dessen traurig blutigen Auspickn des jetzigen Kaisers Regierung begon¬ nen , so wie die entsetzlichen Pläne der Verschworenen haben einen entscheidenden Einfluß auf Nikolaus' Charakter geübt und ihm jene Härte gegeben, wodurch er so mannigfach, besonders im Auslande, gegenerweckt hat. Als Mensch zeigt sich Nikolaus edel- herzig und theilnehmen'd, als Kaiser aber unbeugsam und streng; kein fremder Wille hat auf den seinigen irgend einen Einfluß; alle seine Handlungen entspringen unmittelbar seinem eigenen Willen. Wenn die außerrussischen Journale Nachrichten aus Petersburg enthalten, die nicht officiellen Ursprungs sind, so drehen sich dieselben gewöhnlich um einen der drei folgenden Gegenstände: eine Amnestie für die Polen, Niederlagen der russischen Heere gegen die Tscherkessen und die furchtbaren Verschwörungen in Petersburg. Ich will die Amnestiefrage ganz mit Stillschweigen übergehen; denn sie ist von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/343
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/343>, abgerufen am 26.08.2024.