Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

so hoher Bedeutung, daß sie nur durch den Eintritt überaus wich¬
tiger Ereignisse im übrigen Europa ihre Entscheidung erhalten kann.

Der Kaukasus ist in militärischer Beziehung das für Nußland,
was Algier für Frankreich ist, natürlich ohne alle Vergleichung im
Punkte der Kosten und des endlichen Zweckes und Nutzens. Es
ist also von dieser Art Nachrichten eben so viel zu halten, als man
voy einer periodisch wiederkehrenden Nachricht einer vollständigen
Besiegung der französischen Armee durch Abd-el-Kader und den Sul¬
tan von Marocco zu halten hätte. Was endlich die Verschwörun¬
gen anbelangt, so habe ich Ihnen schon in meinem vorigen Briefe
gesagt, daß dieselben hier zwar vu z>ormiui<zue<; sind; sie haben aber
jetzt Furcht, an's Tageslicht zu treten und sich dem Kaiser zu nä¬
hern; sie sind alle nur farblose, blasse Nachdrucke jener ersten, die
Nikolaus bei seiner Thronbesteigung besiegt und gezüchtigt hat. Die
russischen Verschwörer sind nicht Männer der theoretischen Grund¬
sätze und noch weniger sind sie die Leute, welche Glaubensfestigkeit
und Ueberzeugung genug besitzen, um irgend einem höhern Principe
zu lieb ein Spiel zu beginnen, dessen Einsatz ihr Leben, dessen Ka¬
tastrophe ein Schaffst sein kann; ihre erbärmlichen Beweggründe
waren und sind stets nur persönliche Unzufriedenheit, Ehrgeiz,
Egoismus, kleinliches Kasteninteresse.

Eine Art Vergeltung für die Bereitwilligkeit, mit der man in
Europa Gerüchte von russischen Verschwörungen aufnimmt, zeigt sich
in der Vorliebe, welche Rußlands Aristokratie für die Nachrichten
von Aufständen hat, die an einem der Höfe des freien Europa aus¬
brechen. Namentlich ist diese Neuigkeit von einer in Paris ausge¬
brochenen Emeute eine schmackhafte Frucht; sie entzünden daran
stets wieder ihren Haß gegen die Demokratie und gegen jede Idee
zur Verbesserung der gesellschaftlichen Lage.der Leibeigenen.

Der Tod des Herzogs von Orleans, das seltsame Zusammen¬
treffen dieses für Frankreich in seinen Folgen noch so unberechenbar
verhängnißvollen Ereignisses mit der Jubelfeier von des Kaisers
Hochzeit, hat, wie alle Personen seiner Umgebung behaupten, eine
Unruhe in seinen Geist geworfen, der nicht frei ist von dem, was
man Aberglauben nennt, was aber im Grunde doch nur ein furcht¬
sames Erstaunen der Seele über ein unerwartetes Hineinragen
höherer Mächte in unser alltägliches Leben ist. . . . Der Kaiser


so hoher Bedeutung, daß sie nur durch den Eintritt überaus wich¬
tiger Ereignisse im übrigen Europa ihre Entscheidung erhalten kann.

Der Kaukasus ist in militärischer Beziehung das für Nußland,
was Algier für Frankreich ist, natürlich ohne alle Vergleichung im
Punkte der Kosten und des endlichen Zweckes und Nutzens. Es
ist also von dieser Art Nachrichten eben so viel zu halten, als man
voy einer periodisch wiederkehrenden Nachricht einer vollständigen
Besiegung der französischen Armee durch Abd-el-Kader und den Sul¬
tan von Marocco zu halten hätte. Was endlich die Verschwörun¬
gen anbelangt, so habe ich Ihnen schon in meinem vorigen Briefe
gesagt, daß dieselben hier zwar vu z>ormiui<zue<; sind; sie haben aber
jetzt Furcht, an's Tageslicht zu treten und sich dem Kaiser zu nä¬
hern; sie sind alle nur farblose, blasse Nachdrucke jener ersten, die
Nikolaus bei seiner Thronbesteigung besiegt und gezüchtigt hat. Die
russischen Verschwörer sind nicht Männer der theoretischen Grund¬
sätze und noch weniger sind sie die Leute, welche Glaubensfestigkeit
und Ueberzeugung genug besitzen, um irgend einem höhern Principe
zu lieb ein Spiel zu beginnen, dessen Einsatz ihr Leben, dessen Ka¬
tastrophe ein Schaffst sein kann; ihre erbärmlichen Beweggründe
waren und sind stets nur persönliche Unzufriedenheit, Ehrgeiz,
Egoismus, kleinliches Kasteninteresse.

Eine Art Vergeltung für die Bereitwilligkeit, mit der man in
Europa Gerüchte von russischen Verschwörungen aufnimmt, zeigt sich
in der Vorliebe, welche Rußlands Aristokratie für die Nachrichten
von Aufständen hat, die an einem der Höfe des freien Europa aus¬
brechen. Namentlich ist diese Neuigkeit von einer in Paris ausge¬
brochenen Emeute eine schmackhafte Frucht; sie entzünden daran
stets wieder ihren Haß gegen die Demokratie und gegen jede Idee
zur Verbesserung der gesellschaftlichen Lage.der Leibeigenen.

Der Tod des Herzogs von Orleans, das seltsame Zusammen¬
treffen dieses für Frankreich in seinen Folgen noch so unberechenbar
verhängnißvollen Ereignisses mit der Jubelfeier von des Kaisers
Hochzeit, hat, wie alle Personen seiner Umgebung behaupten, eine
Unruhe in seinen Geist geworfen, der nicht frei ist von dem, was
man Aberglauben nennt, was aber im Grunde doch nur ein furcht¬
sames Erstaunen der Seele über ein unerwartetes Hineinragen
höherer Mächte in unser alltägliches Leben ist. . . . Der Kaiser


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266961"/>
          <p xml:id="ID_939" prev="#ID_938"> so hoher Bedeutung, daß sie nur durch den Eintritt überaus wich¬<lb/>
tiger Ereignisse im übrigen Europa ihre Entscheidung erhalten kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_940"> Der Kaukasus ist in militärischer Beziehung das für Nußland,<lb/>
was Algier für Frankreich ist, natürlich ohne alle Vergleichung im<lb/>
Punkte der Kosten und des endlichen Zweckes und Nutzens. Es<lb/>
ist also von dieser Art Nachrichten eben so viel zu halten, als man<lb/>
voy einer periodisch wiederkehrenden Nachricht einer vollständigen<lb/>
Besiegung der französischen Armee durch Abd-el-Kader und den Sul¬<lb/>
tan von Marocco zu halten hätte. Was endlich die Verschwörun¬<lb/>
gen anbelangt, so habe ich Ihnen schon in meinem vorigen Briefe<lb/>
gesagt, daß dieselben hier zwar vu z&gt;ormiui&lt;zue&lt;; sind; sie haben aber<lb/>
jetzt Furcht, an's Tageslicht zu treten und sich dem Kaiser zu nä¬<lb/>
hern; sie sind alle nur farblose, blasse Nachdrucke jener ersten, die<lb/>
Nikolaus bei seiner Thronbesteigung besiegt und gezüchtigt hat. Die<lb/>
russischen Verschwörer sind nicht Männer der theoretischen Grund¬<lb/>
sätze und noch weniger sind sie die Leute, welche Glaubensfestigkeit<lb/>
und Ueberzeugung genug besitzen, um irgend einem höhern Principe<lb/>
zu lieb ein Spiel zu beginnen, dessen Einsatz ihr Leben, dessen Ka¬<lb/>
tastrophe ein Schaffst sein kann; ihre erbärmlichen Beweggründe<lb/>
waren und sind stets nur persönliche Unzufriedenheit, Ehrgeiz,<lb/>
Egoismus, kleinliches Kasteninteresse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_941"> Eine Art Vergeltung für die Bereitwilligkeit, mit der man in<lb/>
Europa Gerüchte von russischen Verschwörungen aufnimmt, zeigt sich<lb/>
in der Vorliebe, welche Rußlands Aristokratie für die Nachrichten<lb/>
von Aufständen hat, die an einem der Höfe des freien Europa aus¬<lb/>
brechen. Namentlich ist diese Neuigkeit von einer in Paris ausge¬<lb/>
brochenen Emeute eine schmackhafte Frucht; sie entzünden daran<lb/>
stets wieder ihren Haß gegen die Demokratie und gegen jede Idee<lb/>
zur Verbesserung der gesellschaftlichen Lage.der Leibeigenen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_942" next="#ID_943"> Der Tod des Herzogs von Orleans, das seltsame Zusammen¬<lb/>
treffen dieses für Frankreich in seinen Folgen noch so unberechenbar<lb/>
verhängnißvollen Ereignisses mit der Jubelfeier von des Kaisers<lb/>
Hochzeit, hat, wie alle Personen seiner Umgebung behaupten, eine<lb/>
Unruhe in seinen Geist geworfen, der nicht frei ist von dem, was<lb/>
man Aberglauben nennt, was aber im Grunde doch nur ein furcht¬<lb/>
sames Erstaunen der Seele über ein unerwartetes Hineinragen<lb/>
höherer Mächte in unser alltägliches Leben ist. . . . Der Kaiser</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344] so hoher Bedeutung, daß sie nur durch den Eintritt überaus wich¬ tiger Ereignisse im übrigen Europa ihre Entscheidung erhalten kann. Der Kaukasus ist in militärischer Beziehung das für Nußland, was Algier für Frankreich ist, natürlich ohne alle Vergleichung im Punkte der Kosten und des endlichen Zweckes und Nutzens. Es ist also von dieser Art Nachrichten eben so viel zu halten, als man voy einer periodisch wiederkehrenden Nachricht einer vollständigen Besiegung der französischen Armee durch Abd-el-Kader und den Sul¬ tan von Marocco zu halten hätte. Was endlich die Verschwörun¬ gen anbelangt, so habe ich Ihnen schon in meinem vorigen Briefe gesagt, daß dieselben hier zwar vu z>ormiui<zue<; sind; sie haben aber jetzt Furcht, an's Tageslicht zu treten und sich dem Kaiser zu nä¬ hern; sie sind alle nur farblose, blasse Nachdrucke jener ersten, die Nikolaus bei seiner Thronbesteigung besiegt und gezüchtigt hat. Die russischen Verschwörer sind nicht Männer der theoretischen Grund¬ sätze und noch weniger sind sie die Leute, welche Glaubensfestigkeit und Ueberzeugung genug besitzen, um irgend einem höhern Principe zu lieb ein Spiel zu beginnen, dessen Einsatz ihr Leben, dessen Ka¬ tastrophe ein Schaffst sein kann; ihre erbärmlichen Beweggründe waren und sind stets nur persönliche Unzufriedenheit, Ehrgeiz, Egoismus, kleinliches Kasteninteresse. Eine Art Vergeltung für die Bereitwilligkeit, mit der man in Europa Gerüchte von russischen Verschwörungen aufnimmt, zeigt sich in der Vorliebe, welche Rußlands Aristokratie für die Nachrichten von Aufständen hat, die an einem der Höfe des freien Europa aus¬ brechen. Namentlich ist diese Neuigkeit von einer in Paris ausge¬ brochenen Emeute eine schmackhafte Frucht; sie entzünden daran stets wieder ihren Haß gegen die Demokratie und gegen jede Idee zur Verbesserung der gesellschaftlichen Lage.der Leibeigenen. Der Tod des Herzogs von Orleans, das seltsame Zusammen¬ treffen dieses für Frankreich in seinen Folgen noch so unberechenbar verhängnißvollen Ereignisses mit der Jubelfeier von des Kaisers Hochzeit, hat, wie alle Personen seiner Umgebung behaupten, eine Unruhe in seinen Geist geworfen, der nicht frei ist von dem, was man Aberglauben nennt, was aber im Grunde doch nur ein furcht¬ sames Erstaunen der Seele über ein unerwartetes Hineinragen höherer Mächte in unser alltägliches Leben ist. . . . Der Kaiser

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/344
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/344>, abgerufen am 23.07.2024.