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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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die alljährlich wiederkehrenden Phrasen ihrer Glückwünschungsreden
anzuhören und sie durch nicht minder stereotype Danksagungsreden
zu erwiedern. Hier am russischen Hofe erscheinen, mit Ausnahme
der heiligen Synode, die Stellvertreter aller Behörden in Generals-
Unifvrm. Der russische General ist Präsident der Akademien, Di¬
rektor der Wegebauren und Brücken, Postdirector, Theaterintendant,
Minister des öffentlichen Unterrichts, Hospitalinspector, Vorstand deS
adeligen Damenpensionats, kurz der russische General ist gleich dem
französischen Advokaten alles Mögliche.

Kaiser Nikolaus wird im December laufenden Jahres erst 4t"
Jahre alt; er verheirachete sich also ziemlich früh, zu zwanzig Jah¬
ren. Die Kaiserin Mutter empfand über das zukünftige Schicksal
des Reichs mannigfach unruhige Besorgnisse: Alerander'S Gemahlin
blieb zu ihrem Leidwesen kinderlos, Alexander selbst führte zu ihrer
Betrübniß ein allzu unregelmäßiges Leben und Constantin benahm
sich gegen seine Gemahlin auf eine so brutale Weise, daß dieselbe
vor ihm die Flucht ergreifen mußte. Das traurige Zusammentreffen
dieser Umstände flößte der Kaiserin Mutter die Furcht ein, es möchte
die direkte Thronfolge unterbrochen weiden; sie überwachte daher
mit um so größerer Strenge in Erfüllung ihrer Mutterpflicht die
Erziehung der beiden Großfürsten, Nikolaus und Michael, der beiden
letzten von den neun Kindern, die sie von Paul I. gehabt. Durch ihre
Sorgfalt wurden sie, so weit dies an einem Hofe, wie damals der
russische war, geschehen konnte, von der verführerischen Welt der
schönen Frauen fern gehalten; Nikolaus, auf dein alle Hoffnung der
Kaiserin Maria Feodorowna beruhte, war besonders den Vorschriften
einer fast strengen Erziehung unterworfen; seine überlegene Geistes¬
kraft, sein ruhiger und bis zur Kälte ernster Geist, so wie seine
Arbeiiöliebe machten übrigens seine Erziehung für die Kaiserin
Mutter zu einer leichten und angenehmen Beschäftigung.

Kaum hatte er seine Studien vollendet, so sandte ihn die sorg¬
same Mutter aus Reisen, damit er die Staaten Europas kennen
lerne und sich in Deutschland, dem von Ewigkeit her prädestnirten
Naterlande der russischen Kaiserinnen, eine Gemahlin suche. Der
junge Großfürst verliebte sich während seines Aufenthalts in Berlin
in die älteste Tochter der preußischen Königsfamtlie, Charlotte. Die
Kaiserin war überaus glücklich, daß hier die Zuneigung ihres Sohnes


die alljährlich wiederkehrenden Phrasen ihrer Glückwünschungsreden
anzuhören und sie durch nicht minder stereotype Danksagungsreden
zu erwiedern. Hier am russischen Hofe erscheinen, mit Ausnahme
der heiligen Synode, die Stellvertreter aller Behörden in Generals-
Unifvrm. Der russische General ist Präsident der Akademien, Di¬
rektor der Wegebauren und Brücken, Postdirector, Theaterintendant,
Minister des öffentlichen Unterrichts, Hospitalinspector, Vorstand deS
adeligen Damenpensionats, kurz der russische General ist gleich dem
französischen Advokaten alles Mögliche.

Kaiser Nikolaus wird im December laufenden Jahres erst 4t»
Jahre alt; er verheirachete sich also ziemlich früh, zu zwanzig Jah¬
ren. Die Kaiserin Mutter empfand über das zukünftige Schicksal
des Reichs mannigfach unruhige Besorgnisse: Alerander'S Gemahlin
blieb zu ihrem Leidwesen kinderlos, Alexander selbst führte zu ihrer
Betrübniß ein allzu unregelmäßiges Leben und Constantin benahm
sich gegen seine Gemahlin auf eine so brutale Weise, daß dieselbe
vor ihm die Flucht ergreifen mußte. Das traurige Zusammentreffen
dieser Umstände flößte der Kaiserin Mutter die Furcht ein, es möchte
die direkte Thronfolge unterbrochen weiden; sie überwachte daher
mit um so größerer Strenge in Erfüllung ihrer Mutterpflicht die
Erziehung der beiden Großfürsten, Nikolaus und Michael, der beiden
letzten von den neun Kindern, die sie von Paul I. gehabt. Durch ihre
Sorgfalt wurden sie, so weit dies an einem Hofe, wie damals der
russische war, geschehen konnte, von der verführerischen Welt der
schönen Frauen fern gehalten; Nikolaus, auf dein alle Hoffnung der
Kaiserin Maria Feodorowna beruhte, war besonders den Vorschriften
einer fast strengen Erziehung unterworfen; seine überlegene Geistes¬
kraft, sein ruhiger und bis zur Kälte ernster Geist, so wie seine
Arbeiiöliebe machten übrigens seine Erziehung für die Kaiserin
Mutter zu einer leichten und angenehmen Beschäftigung.

Kaum hatte er seine Studien vollendet, so sandte ihn die sorg¬
same Mutter aus Reisen, damit er die Staaten Europas kennen
lerne und sich in Deutschland, dem von Ewigkeit her prädestnirten
Naterlande der russischen Kaiserinnen, eine Gemahlin suche. Der
junge Großfürst verliebte sich während seines Aufenthalts in Berlin
in die älteste Tochter der preußischen Königsfamtlie, Charlotte. Die
Kaiserin war überaus glücklich, daß hier die Zuneigung ihres Sohnes


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[0340] die alljährlich wiederkehrenden Phrasen ihrer Glückwünschungsreden anzuhören und sie durch nicht minder stereotype Danksagungsreden zu erwiedern. Hier am russischen Hofe erscheinen, mit Ausnahme der heiligen Synode, die Stellvertreter aller Behörden in Generals- Unifvrm. Der russische General ist Präsident der Akademien, Di¬ rektor der Wegebauren und Brücken, Postdirector, Theaterintendant, Minister des öffentlichen Unterrichts, Hospitalinspector, Vorstand deS adeligen Damenpensionats, kurz der russische General ist gleich dem französischen Advokaten alles Mögliche. Kaiser Nikolaus wird im December laufenden Jahres erst 4t» Jahre alt; er verheirachete sich also ziemlich früh, zu zwanzig Jah¬ ren. Die Kaiserin Mutter empfand über das zukünftige Schicksal des Reichs mannigfach unruhige Besorgnisse: Alerander'S Gemahlin blieb zu ihrem Leidwesen kinderlos, Alexander selbst führte zu ihrer Betrübniß ein allzu unregelmäßiges Leben und Constantin benahm sich gegen seine Gemahlin auf eine so brutale Weise, daß dieselbe vor ihm die Flucht ergreifen mußte. Das traurige Zusammentreffen dieser Umstände flößte der Kaiserin Mutter die Furcht ein, es möchte die direkte Thronfolge unterbrochen weiden; sie überwachte daher mit um so größerer Strenge in Erfüllung ihrer Mutterpflicht die Erziehung der beiden Großfürsten, Nikolaus und Michael, der beiden letzten von den neun Kindern, die sie von Paul I. gehabt. Durch ihre Sorgfalt wurden sie, so weit dies an einem Hofe, wie damals der russische war, geschehen konnte, von der verführerischen Welt der schönen Frauen fern gehalten; Nikolaus, auf dein alle Hoffnung der Kaiserin Maria Feodorowna beruhte, war besonders den Vorschriften einer fast strengen Erziehung unterworfen; seine überlegene Geistes¬ kraft, sein ruhiger und bis zur Kälte ernster Geist, so wie seine Arbeiiöliebe machten übrigens seine Erziehung für die Kaiserin Mutter zu einer leichten und angenehmen Beschäftigung. Kaum hatte er seine Studien vollendet, so sandte ihn die sorg¬ same Mutter aus Reisen, damit er die Staaten Europas kennen lerne und sich in Deutschland, dem von Ewigkeit her prädestnirten Naterlande der russischen Kaiserinnen, eine Gemahlin suche. Der junge Großfürst verliebte sich während seines Aufenthalts in Berlin in die älteste Tochter der preußischen Königsfamtlie, Charlotte. Die Kaiserin war überaus glücklich, daß hier die Zuneigung ihres Sohnes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/340>, abgerufen am 01.07.2024.