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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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sein: er ist nur Gott verantwortlich; alle seine Handlungen erscheinen
der Ueberzeugung oder vielmehr dem Glauben des Volkes, gleich de¬
nen der Gottheit, mit dem Stempel der Weisheit und Gerechtigkeit
geprägt: das ist ein Gefühl, welches dem Volke durch die unbe¬
schränkte, ausgedehnte Macht eines russischen Herrschers eingeflößt
wird. Der Kaiser ist zunächst Staatsoberhaupt und als solches
nennt er sich Kaiser, Imperator; er ist der einzige und erhabenste
Beherrscher des Reiches, und als solcher heißt er, oder vielmehr
hat er selbst den officiellen Titel Autokrat, Samoder-
r e k angenommen; das Volk nennt ihn unter diesem Standpunkte
Zar, was der alte Titel der russischen Herrscher ist, der auch noch
im Kirchengebete "Spassi boze Zara" (Gott erhalte den Kai¬
ser) angewandt wird. Aber außerdem ist er auch und nennt ihn
das ganze russische Volk fast stets und hauptsächlich Hossudar,
oberster Richter. Es wird mit diesem Namen hier eine große, an¬
derwärts durchaus unbekannte, moralische Gewalt bezeichnet, der
Jedermann Gehorsam und Ehrfurcht schuldig ist; der Hossudar
selbst kann eigentlich diese Gewalt weder verringern, noch be¬
schränken, noch sie auf einen andern übertragen; und in diesem Um¬
stände vorzüglich ist die Ursache zu suchen, weshalb Minderjährigkeiten
stets eine so blutige Epoche in Rußlands Geschichte waren und
weshalb eine Regentschaft hier schwieriger und schmerzlicher wäre
als bei jedem andern Volke.

In dieser, dem heutigen Europa freilich schwer erschlichen, voll¬
kommenen Unbeschränktheit des Herrscherwillens (denn Deutschlands
sogenannte absolute Monarchien sind doch -- Gott sei Dank --
ein ander Ding) ist auch die Ursache deS so befremdlich scheinenden
Stillschweigens der Journale über die Jubiläumsfestlichkeiten zu su¬
chen. Der Kaiser hat ihnen zu sprechen nicht erlaubt. Er hat die Feier
seiner silbernen Hochzeit, so viel es nur immer möglich war, auf
den engern Kreis des Familienlebens beschränken wollen, und hat
die Großen seines Reichs, den hohen Adel, mit dem unzufrieden zu
sein er so viele Ursachen hat, nicht dazu einladen mögen. Es sind
übrigens auch officielle Feierlichkeiten hier bet Weitem einfacher, als
selbst an dem etiquette- und prunklosesten aller jetzigen Höfe, dem
französischen. Der Kaiser muß nicht wie Louis Philipp die unzähl¬
baren constituirten Behörden empfangen; er ist der Mühe überhoben,


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sein: er ist nur Gott verantwortlich; alle seine Handlungen erscheinen
der Ueberzeugung oder vielmehr dem Glauben des Volkes, gleich de¬
nen der Gottheit, mit dem Stempel der Weisheit und Gerechtigkeit
geprägt: das ist ein Gefühl, welches dem Volke durch die unbe¬
schränkte, ausgedehnte Macht eines russischen Herrschers eingeflößt
wird. Der Kaiser ist zunächst Staatsoberhaupt und als solches
nennt er sich Kaiser, Imperator; er ist der einzige und erhabenste
Beherrscher des Reiches, und als solcher heißt er, oder vielmehr
hat er selbst den officiellen Titel Autokrat, Samoder-
r e k angenommen; das Volk nennt ihn unter diesem Standpunkte
Zar, was der alte Titel der russischen Herrscher ist, der auch noch
im Kirchengebete „Spassi boze Zara" (Gott erhalte den Kai¬
ser) angewandt wird. Aber außerdem ist er auch und nennt ihn
das ganze russische Volk fast stets und hauptsächlich Hossudar,
oberster Richter. Es wird mit diesem Namen hier eine große, an¬
derwärts durchaus unbekannte, moralische Gewalt bezeichnet, der
Jedermann Gehorsam und Ehrfurcht schuldig ist; der Hossudar
selbst kann eigentlich diese Gewalt weder verringern, noch be¬
schränken, noch sie auf einen andern übertragen; und in diesem Um¬
stände vorzüglich ist die Ursache zu suchen, weshalb Minderjährigkeiten
stets eine so blutige Epoche in Rußlands Geschichte waren und
weshalb eine Regentschaft hier schwieriger und schmerzlicher wäre
als bei jedem andern Volke.

In dieser, dem heutigen Europa freilich schwer erschlichen, voll¬
kommenen Unbeschränktheit des Herrscherwillens (denn Deutschlands
sogenannte absolute Monarchien sind doch — Gott sei Dank —
ein ander Ding) ist auch die Ursache deS so befremdlich scheinenden
Stillschweigens der Journale über die Jubiläumsfestlichkeiten zu su¬
chen. Der Kaiser hat ihnen zu sprechen nicht erlaubt. Er hat die Feier
seiner silbernen Hochzeit, so viel es nur immer möglich war, auf
den engern Kreis des Familienlebens beschränken wollen, und hat
die Großen seines Reichs, den hohen Adel, mit dem unzufrieden zu
sein er so viele Ursachen hat, nicht dazu einladen mögen. Es sind
übrigens auch officielle Feierlichkeiten hier bet Weitem einfacher, als
selbst an dem etiquette- und prunklosesten aller jetzigen Höfe, dem
französischen. Der Kaiser muß nicht wie Louis Philipp die unzähl¬
baren constituirten Behörden empfangen; er ist der Mühe überhoben,


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[0339] sein: er ist nur Gott verantwortlich; alle seine Handlungen erscheinen der Ueberzeugung oder vielmehr dem Glauben des Volkes, gleich de¬ nen der Gottheit, mit dem Stempel der Weisheit und Gerechtigkeit geprägt: das ist ein Gefühl, welches dem Volke durch die unbe¬ schränkte, ausgedehnte Macht eines russischen Herrschers eingeflößt wird. Der Kaiser ist zunächst Staatsoberhaupt und als solches nennt er sich Kaiser, Imperator; er ist der einzige und erhabenste Beherrscher des Reiches, und als solcher heißt er, oder vielmehr hat er selbst den officiellen Titel Autokrat, Samoder- r e k angenommen; das Volk nennt ihn unter diesem Standpunkte Zar, was der alte Titel der russischen Herrscher ist, der auch noch im Kirchengebete „Spassi boze Zara" (Gott erhalte den Kai¬ ser) angewandt wird. Aber außerdem ist er auch und nennt ihn das ganze russische Volk fast stets und hauptsächlich Hossudar, oberster Richter. Es wird mit diesem Namen hier eine große, an¬ derwärts durchaus unbekannte, moralische Gewalt bezeichnet, der Jedermann Gehorsam und Ehrfurcht schuldig ist; der Hossudar selbst kann eigentlich diese Gewalt weder verringern, noch be¬ schränken, noch sie auf einen andern übertragen; und in diesem Um¬ stände vorzüglich ist die Ursache zu suchen, weshalb Minderjährigkeiten stets eine so blutige Epoche in Rußlands Geschichte waren und weshalb eine Regentschaft hier schwieriger und schmerzlicher wäre als bei jedem andern Volke. In dieser, dem heutigen Europa freilich schwer erschlichen, voll¬ kommenen Unbeschränktheit des Herrscherwillens (denn Deutschlands sogenannte absolute Monarchien sind doch — Gott sei Dank — ein ander Ding) ist auch die Ursache deS so befremdlich scheinenden Stillschweigens der Journale über die Jubiläumsfestlichkeiten zu su¬ chen. Der Kaiser hat ihnen zu sprechen nicht erlaubt. Er hat die Feier seiner silbernen Hochzeit, so viel es nur immer möglich war, auf den engern Kreis des Familienlebens beschränken wollen, und hat die Großen seines Reichs, den hohen Adel, mit dem unzufrieden zu sein er so viele Ursachen hat, nicht dazu einladen mögen. Es sind übrigens auch officielle Feierlichkeiten hier bet Weitem einfacher, als selbst an dem etiquette- und prunklosesten aller jetzigen Höfe, dem französischen. Der Kaiser muß nicht wie Louis Philipp die unzähl¬ baren constituirten Behörden empfangen; er ist der Mühe überhoben, 22»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/339>, abgerufen am 29.06.2024.