Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

verein sogar ein israelitisches Mitglied in Herrn Oppenheim zähle.
Ob dies derselbe jüdische Banquier ist, in dessen Hause der König
nach Beendigung der Grundsteinfeierlichkeit gefrühstückt hat, ist mir
unbekannt; aber Eins möcht' ich wissen: ist der Leipziger Meßkatalog
wirklich ein Lügner? Ein protestantischer König weiht eine katho¬
lische Kirche, um gleich darauf sich als Gast an den Tisch eines
Juden zu setzen: wie ist es nun möglich, daß Hunderte von Streit¬
schriften den mittelalterlichen Confessivnskrieg in einer solchen Zeit
fortsetzen? Wo ist die Wahrheit? In der Aussöhnung oder im
Krieg? -- Als ich des Abends nach der Zeitung griff, in welcher
die Rede des Königs abgedruckt war, fand ich in derselben Nummer
einen Bericht aus Berlin, der folgenvermaßen lautet:

"Wie man hört, ist dem Commandeur deö ersten Garde-Regi--
neues von Seiten höheren Orts der Befehl zugegangen, künftig
ohne Unterschied des christlichen Glaubensbekenntnisses Offiziere uns
Soldaten dem Regimente einzuverleiben; bisher waren Katholiken:e.
ausgeschlossen." -- Ist es möglich? So spät besinnt man sich?
Während man auf der einen Seite so weit vorwärts gerückt ist,
kann man auf der andern so weit im Nachtrabe sein?

Wäre es mir mehr um einzelne Studien, als um einen Total-
eindruck zu thun gewesen, so wäre ich schon um der Kunstausstellung
willen längere Zeit hier geblieben. Viel Schönes, einzelnes Gro߬
artige, namentlich das große historische Bild von Gallait, die Ab¬
dankung Karl'sV., welche Conception, welcheFarbenpracht! Philipp!!.
und Wilhelm der Schweigsame sind da noch Jünglinge: Philipp
kniet mit gefalteten Händen, um den Segen deS bleichen, lebensmü¬
den Kaisers zu erhalten, der mit der einen Hand auf seinen Pagen,
Wilhelm von Oranien, sich stützt. In dem Blicke, mit welchem
letzterer auf den knieenden Philipp herabschaut, liegt die ganze Ge¬
schichte der kommenden Jahre ausgedrückt. Eine wunderbare Figur,
der Beichtvater Karl'S, steht in der Nähe und in der Art, wie er
der Scene zuschaut, erräth man gleich, welchen Einfluß er auf die
Handlungsweise des alten Kaisers übte und wer dies Ereigniß her¬
beigeführt hat. Um diese Hauptgruppen reihen sich nun zahlreiche,
treffliche Figuren, Priester, Hofleute und in ihrer Mitte die alte
bleiche Schwester Karl'S, die langbewährte, weise Regentin der
Niederlande. Ich will keine Abhandlung schreiben, aber dieses Ge-


verein sogar ein israelitisches Mitglied in Herrn Oppenheim zähle.
Ob dies derselbe jüdische Banquier ist, in dessen Hause der König
nach Beendigung der Grundsteinfeierlichkeit gefrühstückt hat, ist mir
unbekannt; aber Eins möcht' ich wissen: ist der Leipziger Meßkatalog
wirklich ein Lügner? Ein protestantischer König weiht eine katho¬
lische Kirche, um gleich darauf sich als Gast an den Tisch eines
Juden zu setzen: wie ist es nun möglich, daß Hunderte von Streit¬
schriften den mittelalterlichen Confessivnskrieg in einer solchen Zeit
fortsetzen? Wo ist die Wahrheit? In der Aussöhnung oder im
Krieg? — Als ich des Abends nach der Zeitung griff, in welcher
die Rede des Königs abgedruckt war, fand ich in derselben Nummer
einen Bericht aus Berlin, der folgenvermaßen lautet:

„Wie man hört, ist dem Commandeur deö ersten Garde-Regi--
neues von Seiten höheren Orts der Befehl zugegangen, künftig
ohne Unterschied des christlichen Glaubensbekenntnisses Offiziere uns
Soldaten dem Regimente einzuverleiben; bisher waren Katholiken:e.
ausgeschlossen." — Ist es möglich? So spät besinnt man sich?
Während man auf der einen Seite so weit vorwärts gerückt ist,
kann man auf der andern so weit im Nachtrabe sein?

Wäre es mir mehr um einzelne Studien, als um einen Total-
eindruck zu thun gewesen, so wäre ich schon um der Kunstausstellung
willen längere Zeit hier geblieben. Viel Schönes, einzelnes Gro߬
artige, namentlich das große historische Bild von Gallait, die Ab¬
dankung Karl'sV., welche Conception, welcheFarbenpracht! Philipp!!.
und Wilhelm der Schweigsame sind da noch Jünglinge: Philipp
kniet mit gefalteten Händen, um den Segen deS bleichen, lebensmü¬
den Kaisers zu erhalten, der mit der einen Hand auf seinen Pagen,
Wilhelm von Oranien, sich stützt. In dem Blicke, mit welchem
letzterer auf den knieenden Philipp herabschaut, liegt die ganze Ge¬
schichte der kommenden Jahre ausgedrückt. Eine wunderbare Figur,
der Beichtvater Karl'S, steht in der Nähe und in der Art, wie er
der Scene zuschaut, erräth man gleich, welchen Einfluß er auf die
Handlungsweise des alten Kaisers übte und wer dies Ereigniß her¬
beigeführt hat. Um diese Hauptgruppen reihen sich nun zahlreiche,
treffliche Figuren, Priester, Hofleute und in ihrer Mitte die alte
bleiche Schwester Karl'S, die langbewährte, weise Regentin der
Niederlande. Ich will keine Abhandlung schreiben, aber dieses Ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266952"/>
          <p xml:id="ID_914" prev="#ID_913"> verein sogar ein israelitisches Mitglied in Herrn Oppenheim zähle.<lb/>
Ob dies derselbe jüdische Banquier ist, in dessen Hause der König<lb/>
nach Beendigung der Grundsteinfeierlichkeit gefrühstückt hat, ist mir<lb/>
unbekannt; aber Eins möcht' ich wissen: ist der Leipziger Meßkatalog<lb/>
wirklich ein Lügner? Ein protestantischer König weiht eine katho¬<lb/>
lische Kirche, um gleich darauf sich als Gast an den Tisch eines<lb/>
Juden zu setzen: wie ist es nun möglich, daß Hunderte von Streit¬<lb/>
schriften den mittelalterlichen Confessivnskrieg in einer solchen Zeit<lb/>
fortsetzen? Wo ist die Wahrheit? In der Aussöhnung oder im<lb/>
Krieg? &#x2014; Als ich des Abends nach der Zeitung griff, in welcher<lb/>
die Rede des Königs abgedruckt war, fand ich in derselben Nummer<lb/>
einen Bericht aus Berlin, der folgenvermaßen lautet:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_915"> &#x201E;Wie man hört, ist dem Commandeur deö ersten Garde-Regi--<lb/>
neues von Seiten höheren Orts der Befehl zugegangen, künftig<lb/>
ohne Unterschied des christlichen Glaubensbekenntnisses Offiziere uns<lb/>
Soldaten dem Regimente einzuverleiben; bisher waren Katholiken:e.<lb/>
ausgeschlossen." &#x2014; Ist es möglich? So spät besinnt man sich?<lb/>
Während man auf der einen Seite so weit vorwärts gerückt ist,<lb/>
kann man auf der andern so weit im Nachtrabe sein?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_916" next="#ID_917"> Wäre es mir mehr um einzelne Studien, als um einen Total-<lb/>
eindruck zu thun gewesen, so wäre ich schon um der Kunstausstellung<lb/>
willen längere Zeit hier geblieben. Viel Schönes, einzelnes Gro߬<lb/>
artige, namentlich das große historische Bild von Gallait, die Ab¬<lb/>
dankung Karl'sV., welche Conception, welcheFarbenpracht! Philipp!!.<lb/>
und Wilhelm der Schweigsame sind da noch Jünglinge: Philipp<lb/>
kniet mit gefalteten Händen, um den Segen deS bleichen, lebensmü¬<lb/>
den Kaisers zu erhalten, der mit der einen Hand auf seinen Pagen,<lb/>
Wilhelm von Oranien, sich stützt. In dem Blicke, mit welchem<lb/>
letzterer auf den knieenden Philipp herabschaut, liegt die ganze Ge¬<lb/>
schichte der kommenden Jahre ausgedrückt. Eine wunderbare Figur,<lb/>
der Beichtvater Karl'S, steht in der Nähe und in der Art, wie er<lb/>
der Scene zuschaut, erräth man gleich, welchen Einfluß er auf die<lb/>
Handlungsweise des alten Kaisers übte und wer dies Ereigniß her¬<lb/>
beigeführt hat. Um diese Hauptgruppen reihen sich nun zahlreiche,<lb/>
treffliche Figuren, Priester, Hofleute und in ihrer Mitte die alte<lb/>
bleiche Schwester Karl'S, die langbewährte, weise Regentin der<lb/>
Niederlande. Ich will keine Abhandlung schreiben, aber dieses Ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0335] verein sogar ein israelitisches Mitglied in Herrn Oppenheim zähle. Ob dies derselbe jüdische Banquier ist, in dessen Hause der König nach Beendigung der Grundsteinfeierlichkeit gefrühstückt hat, ist mir unbekannt; aber Eins möcht' ich wissen: ist der Leipziger Meßkatalog wirklich ein Lügner? Ein protestantischer König weiht eine katho¬ lische Kirche, um gleich darauf sich als Gast an den Tisch eines Juden zu setzen: wie ist es nun möglich, daß Hunderte von Streit¬ schriften den mittelalterlichen Confessivnskrieg in einer solchen Zeit fortsetzen? Wo ist die Wahrheit? In der Aussöhnung oder im Krieg? — Als ich des Abends nach der Zeitung griff, in welcher die Rede des Königs abgedruckt war, fand ich in derselben Nummer einen Bericht aus Berlin, der folgenvermaßen lautet: „Wie man hört, ist dem Commandeur deö ersten Garde-Regi-- neues von Seiten höheren Orts der Befehl zugegangen, künftig ohne Unterschied des christlichen Glaubensbekenntnisses Offiziere uns Soldaten dem Regimente einzuverleiben; bisher waren Katholiken:e. ausgeschlossen." — Ist es möglich? So spät besinnt man sich? Während man auf der einen Seite so weit vorwärts gerückt ist, kann man auf der andern so weit im Nachtrabe sein? Wäre es mir mehr um einzelne Studien, als um einen Total- eindruck zu thun gewesen, so wäre ich schon um der Kunstausstellung willen längere Zeit hier geblieben. Viel Schönes, einzelnes Gro߬ artige, namentlich das große historische Bild von Gallait, die Ab¬ dankung Karl'sV., welche Conception, welcheFarbenpracht! Philipp!!. und Wilhelm der Schweigsame sind da noch Jünglinge: Philipp kniet mit gefalteten Händen, um den Segen deS bleichen, lebensmü¬ den Kaisers zu erhalten, der mit der einen Hand auf seinen Pagen, Wilhelm von Oranien, sich stützt. In dem Blicke, mit welchem letzterer auf den knieenden Philipp herabschaut, liegt die ganze Ge¬ schichte der kommenden Jahre ausgedrückt. Eine wunderbare Figur, der Beichtvater Karl'S, steht in der Nähe und in der Art, wie er der Scene zuschaut, erräth man gleich, welchen Einfluß er auf die Handlungsweise des alten Kaisers übte und wer dies Ereigniß her¬ beigeführt hat. Um diese Hauptgruppen reihen sich nun zahlreiche, treffliche Figuren, Priester, Hofleute und in ihrer Mitte die alte bleiche Schwester Karl'S, die langbewährte, weise Regentin der Niederlande. Ich will keine Abhandlung schreiben, aber dieses Ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/335
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/335>, abgerufen am 03.07.2024.