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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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wagen und zahlten diese improvisirten Schlafstätten theurer, als
wir im Mainzer Hofe. Dingelstedt und der Maler Becker, die mit
vieler Noch in einem Privathause sich einlogirt hatten, zahlten zehn
Thaler für eine Nacht. Sie werden aus dieser Notiz leicht ent-
räthseln, wer der Korrespondent der Augsb. Allg. Zeitung ist, der
die Cölnische Gastfreundschaft so grausam an den Pranger stellte.

Was mich mehr, als daS unbequeme Nachtlager gönnte, das
waren eben meine beiden Zimmergefährten, die ich des Morgens
nicht von meiner Seite bringen konnte. Der Engländer, dem ich
mich unglücklicherweise in seiner Sprache verständlich machen konnte,
-- in Mitte der mannigfach poetischen Aufregung aller dieser Fest-
zuge, Chorgesänge, schöner Frauengesichter, berühmter Persönlichkeiten,
geputzter Häuser und Läden, verlangte er statistische Notizen über
Fabriken, Eisenwaaren, Cölnisch-Wasser, Schifferlvhn und Gott weil?,
was Alles noch seine lederne Seele interessirte. Der israelitische
Arzt andrerseits übergoß mich mit einem Redestrom, dem ich das
jusg'ii, I" mer gleichfalls gegönnt hätte: er gab mir über Alles
Notizen, worüber ich keine verlangte; und während mein Gefährte
zur Rechten mich bis auf's Blut anzapfte, füllte mich mein Gefährte
zur Linken bis über die Kehle an. Hätte ich mich aus ihrer Mitte
reißen können, so würde der Auskunftsbedürftige und Mittheilungs¬
überströmende gegenseitig jeder an den rechten Mann gekommen
sein; aber zu meinem Unglück verstand der Eine nicht deutsch, der
Andre nicht englisch und so mußte ich die Rolle des internationalen
Vermittlers weiter spielen. Uebrigens machte mich mein israelitischer
Begleiter auf manchen Zug aufmerksam, der mir sonst wahrschein¬
lich .entgangen wäre. Wie alle seine Glaubensgenossen jeden Luft¬
zug der Zeit rascher und feiner fühlen, eben weil ihre Haut
von den Vorurtheilen der Gesellschaft wund gerieben ist, machte er
mich darauf aufmerksam, daß in der ganzen Rede des Königs die
Religion bei Seite blieb; er war ganz entzückt über die Worte:
"dies ist kein gewöhnlicher Prachtbau, er ist das Werk des Bruder¬
sinns aller Deutschen aller Bekenntnisse." In der That ist eS
wunderbar, daß in einer Rede, die bei der Grundsteinlegung einer
Kirche gehalten wird, das Wort Christenthum gar nicht vorkommt.
Mein Begleiter demonstrirte mir die Ursache dadurch, daß viele
Juden zu dem Dombau gesteuert haben und der Cölnische Dombau-


wagen und zahlten diese improvisirten Schlafstätten theurer, als
wir im Mainzer Hofe. Dingelstedt und der Maler Becker, die mit
vieler Noch in einem Privathause sich einlogirt hatten, zahlten zehn
Thaler für eine Nacht. Sie werden aus dieser Notiz leicht ent-
räthseln, wer der Korrespondent der Augsb. Allg. Zeitung ist, der
die Cölnische Gastfreundschaft so grausam an den Pranger stellte.

Was mich mehr, als daS unbequeme Nachtlager gönnte, das
waren eben meine beiden Zimmergefährten, die ich des Morgens
nicht von meiner Seite bringen konnte. Der Engländer, dem ich
mich unglücklicherweise in seiner Sprache verständlich machen konnte,
— in Mitte der mannigfach poetischen Aufregung aller dieser Fest-
zuge, Chorgesänge, schöner Frauengesichter, berühmter Persönlichkeiten,
geputzter Häuser und Läden, verlangte er statistische Notizen über
Fabriken, Eisenwaaren, Cölnisch-Wasser, Schifferlvhn und Gott weil?,
was Alles noch seine lederne Seele interessirte. Der israelitische
Arzt andrerseits übergoß mich mit einem Redestrom, dem ich das
jusg'ii, I» mer gleichfalls gegönnt hätte: er gab mir über Alles
Notizen, worüber ich keine verlangte; und während mein Gefährte
zur Rechten mich bis auf's Blut anzapfte, füllte mich mein Gefährte
zur Linken bis über die Kehle an. Hätte ich mich aus ihrer Mitte
reißen können, so würde der Auskunftsbedürftige und Mittheilungs¬
überströmende gegenseitig jeder an den rechten Mann gekommen
sein; aber zu meinem Unglück verstand der Eine nicht deutsch, der
Andre nicht englisch und so mußte ich die Rolle des internationalen
Vermittlers weiter spielen. Uebrigens machte mich mein israelitischer
Begleiter auf manchen Zug aufmerksam, der mir sonst wahrschein¬
lich .entgangen wäre. Wie alle seine Glaubensgenossen jeden Luft¬
zug der Zeit rascher und feiner fühlen, eben weil ihre Haut
von den Vorurtheilen der Gesellschaft wund gerieben ist, machte er
mich darauf aufmerksam, daß in der ganzen Rede des Königs die
Religion bei Seite blieb; er war ganz entzückt über die Worte:
„dies ist kein gewöhnlicher Prachtbau, er ist das Werk des Bruder¬
sinns aller Deutschen aller Bekenntnisse." In der That ist eS
wunderbar, daß in einer Rede, die bei der Grundsteinlegung einer
Kirche gehalten wird, das Wort Christenthum gar nicht vorkommt.
Mein Begleiter demonstrirte mir die Ursache dadurch, daß viele
Juden zu dem Dombau gesteuert haben und der Cölnische Dombau-


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[0334] wagen und zahlten diese improvisirten Schlafstätten theurer, als wir im Mainzer Hofe. Dingelstedt und der Maler Becker, die mit vieler Noch in einem Privathause sich einlogirt hatten, zahlten zehn Thaler für eine Nacht. Sie werden aus dieser Notiz leicht ent- räthseln, wer der Korrespondent der Augsb. Allg. Zeitung ist, der die Cölnische Gastfreundschaft so grausam an den Pranger stellte. Was mich mehr, als daS unbequeme Nachtlager gönnte, das waren eben meine beiden Zimmergefährten, die ich des Morgens nicht von meiner Seite bringen konnte. Der Engländer, dem ich mich unglücklicherweise in seiner Sprache verständlich machen konnte, — in Mitte der mannigfach poetischen Aufregung aller dieser Fest- zuge, Chorgesänge, schöner Frauengesichter, berühmter Persönlichkeiten, geputzter Häuser und Läden, verlangte er statistische Notizen über Fabriken, Eisenwaaren, Cölnisch-Wasser, Schifferlvhn und Gott weil?, was Alles noch seine lederne Seele interessirte. Der israelitische Arzt andrerseits übergoß mich mit einem Redestrom, dem ich das jusg'ii, I» mer gleichfalls gegönnt hätte: er gab mir über Alles Notizen, worüber ich keine verlangte; und während mein Gefährte zur Rechten mich bis auf's Blut anzapfte, füllte mich mein Gefährte zur Linken bis über die Kehle an. Hätte ich mich aus ihrer Mitte reißen können, so würde der Auskunftsbedürftige und Mittheilungs¬ überströmende gegenseitig jeder an den rechten Mann gekommen sein; aber zu meinem Unglück verstand der Eine nicht deutsch, der Andre nicht englisch und so mußte ich die Rolle des internationalen Vermittlers weiter spielen. Uebrigens machte mich mein israelitischer Begleiter auf manchen Zug aufmerksam, der mir sonst wahrschein¬ lich .entgangen wäre. Wie alle seine Glaubensgenossen jeden Luft¬ zug der Zeit rascher und feiner fühlen, eben weil ihre Haut von den Vorurtheilen der Gesellschaft wund gerieben ist, machte er mich darauf aufmerksam, daß in der ganzen Rede des Königs die Religion bei Seite blieb; er war ganz entzückt über die Worte: „dies ist kein gewöhnlicher Prachtbau, er ist das Werk des Bruder¬ sinns aller Deutschen aller Bekenntnisse." In der That ist eS wunderbar, daß in einer Rede, die bei der Grundsteinlegung einer Kirche gehalten wird, das Wort Christenthum gar nicht vorkommt. Mein Begleiter demonstrirte mir die Ursache dadurch, daß viele Juden zu dem Dombau gesteuert haben und der Cölnische Dombau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/334>, abgerufen am 23.07.2024.