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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Bernhard von Palissy bis zu der Epoche, der unsere Väter ange¬
hören, mit dem Aufschwünge vergleicht, den sie seit nur dreißig Jah¬
ren genommen: -- so ist man zu der Hoffnung berechtigt, daß, wenn
ihr Nichts hemmend in den Weg tritt, diese neueKönigin der'Welt
bald ihr Haupt bis hoch empor an die Sterne tragen wird.

In der That auch, was war die Industrie bei den Griechen,
die ihr nicht einmal einen Namen zu geben hatten? Nichts Unförm¬
licheres, als die Fingerhüte, die Nähnadeln, die Zirkel, die aus jenen
Zeiten uns überkommen sind ; ihre Stecknadeln selbst waren nur mit
der Feile gearbeitete Nagel; ihre Kämme waren eine Art Striegel.
Ja sie konnten nicht einmal ein Pferd beschlagen. Alle Hülfsquellen
ihrer Mechanik beschränkten sich aus das, was man zur Erbauung
von Catapulten bedürfte, auf Hebel der einfachsten Art und spater
auf die Archimedische Schraube. Ihre großen Tempel ballten sie
lediglich durch Armeskraft: Menschen wurden angewandt,
um einen einzigen Stein in Balbek von der Stelle zu bringen.
Welch ein schlechter Gebrauch der Kraft!

Hunderttausend Menschen arbeiteten dreißig Jahre lang an der
Pyramide deS Cheops, die Steine wurden auf ungeheure Ervdämme
geschleppt, die vor den Gebäuden errichtet waren und die nach Ma߬
stab, daß diese in die Höhe stiegen, gleichfalls erhöht wurden. Zwölf
tausend jüdische Gefangene wurden drei Jahre lang zur Erbauung
des Coliseums in Rom verwandt. Und, wie uns Strabo erzählt,
wurden zur Ausbeutung der spanischen Bergwerke vierzigtausend
Menschen gebraucht.

Die Alten kannten weder Wind- noch Wassermühlen: Theo-
phrast und Plautus haben ja auf Handmühlen das Korn dem
Bäcker gemalen. Für Maße und Gewichte gab,es keine bestimmte,
zur Regel dienende Einheit, kein Gleichmaß: alle ägyptischen Ellbo¬
genlängen und alle römischen Fuße waren unter einander verschie¬
den. Die Zeit maß man nach den unsichern Sonnenuhren, erst
später nach den nur um Weniges besseren Wasseruhren.

Man kann also mit Recht behaupte", daß die auf die Theilung
der Arbeit begründete Industrie, die Industrie, deren Bestreben es
ist, den behaglichen Bequemlichkeiten der Reichen den Zutritt selbst
in die demüthige Hütte der Armen möglich zu machen, kurz die
Industrie in jetziger Bedeutung des Wortes nie bei den Alten


2V"

Bernhard von Palissy bis zu der Epoche, der unsere Väter ange¬
hören, mit dem Aufschwünge vergleicht, den sie seit nur dreißig Jah¬
ren genommen: — so ist man zu der Hoffnung berechtigt, daß, wenn
ihr Nichts hemmend in den Weg tritt, diese neueKönigin der'Welt
bald ihr Haupt bis hoch empor an die Sterne tragen wird.

In der That auch, was war die Industrie bei den Griechen,
die ihr nicht einmal einen Namen zu geben hatten? Nichts Unförm¬
licheres, als die Fingerhüte, die Nähnadeln, die Zirkel, die aus jenen
Zeiten uns überkommen sind ; ihre Stecknadeln selbst waren nur mit
der Feile gearbeitete Nagel; ihre Kämme waren eine Art Striegel.
Ja sie konnten nicht einmal ein Pferd beschlagen. Alle Hülfsquellen
ihrer Mechanik beschränkten sich aus das, was man zur Erbauung
von Catapulten bedürfte, auf Hebel der einfachsten Art und spater
auf die Archimedische Schraube. Ihre großen Tempel ballten sie
lediglich durch Armeskraft: Menschen wurden angewandt,
um einen einzigen Stein in Balbek von der Stelle zu bringen.
Welch ein schlechter Gebrauch der Kraft!

Hunderttausend Menschen arbeiteten dreißig Jahre lang an der
Pyramide deS Cheops, die Steine wurden auf ungeheure Ervdämme
geschleppt, die vor den Gebäuden errichtet waren und die nach Ma߬
stab, daß diese in die Höhe stiegen, gleichfalls erhöht wurden. Zwölf
tausend jüdische Gefangene wurden drei Jahre lang zur Erbauung
des Coliseums in Rom verwandt. Und, wie uns Strabo erzählt,
wurden zur Ausbeutung der spanischen Bergwerke vierzigtausend
Menschen gebraucht.

Die Alten kannten weder Wind- noch Wassermühlen: Theo-
phrast und Plautus haben ja auf Handmühlen das Korn dem
Bäcker gemalen. Für Maße und Gewichte gab,es keine bestimmte,
zur Regel dienende Einheit, kein Gleichmaß: alle ägyptischen Ellbo¬
genlängen und alle römischen Fuße waren unter einander verschie¬
den. Die Zeit maß man nach den unsichern Sonnenuhren, erst
später nach den nur um Weniges besseren Wasseruhren.

Man kann also mit Recht behaupte», daß die auf die Theilung
der Arbeit begründete Industrie, die Industrie, deren Bestreben es
ist, den behaglichen Bequemlichkeiten der Reichen den Zutritt selbst
in die demüthige Hütte der Armen möglich zu machen, kurz die
Industrie in jetziger Bedeutung des Wortes nie bei den Alten


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[0307] Bernhard von Palissy bis zu der Epoche, der unsere Väter ange¬ hören, mit dem Aufschwünge vergleicht, den sie seit nur dreißig Jah¬ ren genommen: — so ist man zu der Hoffnung berechtigt, daß, wenn ihr Nichts hemmend in den Weg tritt, diese neueKönigin der'Welt bald ihr Haupt bis hoch empor an die Sterne tragen wird. In der That auch, was war die Industrie bei den Griechen, die ihr nicht einmal einen Namen zu geben hatten? Nichts Unförm¬ licheres, als die Fingerhüte, die Nähnadeln, die Zirkel, die aus jenen Zeiten uns überkommen sind ; ihre Stecknadeln selbst waren nur mit der Feile gearbeitete Nagel; ihre Kämme waren eine Art Striegel. Ja sie konnten nicht einmal ein Pferd beschlagen. Alle Hülfsquellen ihrer Mechanik beschränkten sich aus das, was man zur Erbauung von Catapulten bedürfte, auf Hebel der einfachsten Art und spater auf die Archimedische Schraube. Ihre großen Tempel ballten sie lediglich durch Armeskraft: Menschen wurden angewandt, um einen einzigen Stein in Balbek von der Stelle zu bringen. Welch ein schlechter Gebrauch der Kraft! Hunderttausend Menschen arbeiteten dreißig Jahre lang an der Pyramide deS Cheops, die Steine wurden auf ungeheure Ervdämme geschleppt, die vor den Gebäuden errichtet waren und die nach Ma߬ stab, daß diese in die Höhe stiegen, gleichfalls erhöht wurden. Zwölf tausend jüdische Gefangene wurden drei Jahre lang zur Erbauung des Coliseums in Rom verwandt. Und, wie uns Strabo erzählt, wurden zur Ausbeutung der spanischen Bergwerke vierzigtausend Menschen gebraucht. Die Alten kannten weder Wind- noch Wassermühlen: Theo- phrast und Plautus haben ja auf Handmühlen das Korn dem Bäcker gemalen. Für Maße und Gewichte gab,es keine bestimmte, zur Regel dienende Einheit, kein Gleichmaß: alle ägyptischen Ellbo¬ genlängen und alle römischen Fuße waren unter einander verschie¬ den. Die Zeit maß man nach den unsichern Sonnenuhren, erst später nach den nur um Weniges besseren Wasseruhren. Man kann also mit Recht behaupte», daß die auf die Theilung der Arbeit begründete Industrie, die Industrie, deren Bestreben es ist, den behaglichen Bequemlichkeiten der Reichen den Zutritt selbst in die demüthige Hütte der Armen möglich zu machen, kurz die Industrie in jetziger Bedeutung des Wortes nie bei den Alten 2V»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/307>, abgerufen am 23.07.2024.