Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

bestanden hat. Die natürliche Ursache hiervon lag in der Zusammen¬
setzung der antiken Gesellschaft, die nur aus Herren und Sclaven bestand,
aus der Industrie gänzlich sern stehenden Herren, welche ausnahms¬
weise!,, ausgezeichneten Producten gewerblich künstlerischer Bestrebun¬
gen nach Belieben eine Belohnung geben konnten und aus arbeiten¬
den Sclaven, die aber Nichts besaßen, und deren Arbeit das Eigen¬
thum ihrer Herren war.

Im Orient, dem stabilen Vaterlande, aus dem alle Gesellschafts¬
und Staatseinrichtungen des Alterthums sich heraus entwickelte",
sehen wir noch heutigen Tages ein lebendiges Probestück und Bei¬
spiel von dieser Ordnung der Dinge. Es fehlt daselbst wahrlich
weder an bewunderungswürdigen Goldarbeitern, noch an geschickten
Töpfern, an unnachahmlichen Elfenbeinarbcitern, an kostbaren Fili¬
granverfertigern, an trefflichen Zeugwcbern; aber man sieht keine
jener großen gewerblichen Einrichtungen daselbst, wo, so zu sagen,
jene unzählbaren Facsimiles verfertigt werden, die, im Ueberfluß aus
einem einzigen Grundtypus sich herausbildend, immer billiger im
Preise werden, je größer ihre Zahl wird.

Den Alten, gleich den heutigen Orientalen, war jener Haupt¬
grundsatz der heutigen Nationalökonomen unbekannt: kleiner Ge¬
winn verschafft großen Vortheil. Die Alten verstanden
wohl zu produciren, aber nicht zu reproduciren; sie kannten nur die
Gewaltthätigkeit für den eigenen, engen häuslichen Bedarf, die da¬
her stets eine Thätigkeit einzelner künstlerisch begabter Individuen
blieb, welche ihre Talente und Fähigkeiten daraus verwandten, Ge¬
genstände zum. Gebrauch der reichen Besteller zu machen oder zu
verzieren. Unsere Industrie dagegen hat den Zweck, den Ankauf
erst der unumgänglich nothwendigen, dann der nützlichen und endlich
auch der angenehmen Dinge möglich zu machen.

Unsre Mittelklasse, unsere so zahlreiche Bürgerschaft, sie, von
der im Alterthum kaum in der Klasse der freigelassenen Sclaven ein
schwacher Keim bestand, sie ist es, welche unsere Walzenindustrie ge-
sckMffcn hat und ihr noch heutzutage sowohl Nahrung als Leitung
angedeihen läßt.

Ich habe mich des vielleicht etwas sonderbar erscheinenden Aus-
drucks "Walzenindustrie" bedient; und zwar deshalb, weil die Walze
das Kriterium aller modernen GewerbsthAtigkeit ist und weil


bestanden hat. Die natürliche Ursache hiervon lag in der Zusammen¬
setzung der antiken Gesellschaft, die nur aus Herren und Sclaven bestand,
aus der Industrie gänzlich sern stehenden Herren, welche ausnahms¬
weise!,, ausgezeichneten Producten gewerblich künstlerischer Bestrebun¬
gen nach Belieben eine Belohnung geben konnten und aus arbeiten¬
den Sclaven, die aber Nichts besaßen, und deren Arbeit das Eigen¬
thum ihrer Herren war.

Im Orient, dem stabilen Vaterlande, aus dem alle Gesellschafts¬
und Staatseinrichtungen des Alterthums sich heraus entwickelte»,
sehen wir noch heutigen Tages ein lebendiges Probestück und Bei¬
spiel von dieser Ordnung der Dinge. Es fehlt daselbst wahrlich
weder an bewunderungswürdigen Goldarbeitern, noch an geschickten
Töpfern, an unnachahmlichen Elfenbeinarbcitern, an kostbaren Fili¬
granverfertigern, an trefflichen Zeugwcbern; aber man sieht keine
jener großen gewerblichen Einrichtungen daselbst, wo, so zu sagen,
jene unzählbaren Facsimiles verfertigt werden, die, im Ueberfluß aus
einem einzigen Grundtypus sich herausbildend, immer billiger im
Preise werden, je größer ihre Zahl wird.

Den Alten, gleich den heutigen Orientalen, war jener Haupt¬
grundsatz der heutigen Nationalökonomen unbekannt: kleiner Ge¬
winn verschafft großen Vortheil. Die Alten verstanden
wohl zu produciren, aber nicht zu reproduciren; sie kannten nur die
Gewaltthätigkeit für den eigenen, engen häuslichen Bedarf, die da¬
her stets eine Thätigkeit einzelner künstlerisch begabter Individuen
blieb, welche ihre Talente und Fähigkeiten daraus verwandten, Ge¬
genstände zum. Gebrauch der reichen Besteller zu machen oder zu
verzieren. Unsere Industrie dagegen hat den Zweck, den Ankauf
erst der unumgänglich nothwendigen, dann der nützlichen und endlich
auch der angenehmen Dinge möglich zu machen.

Unsre Mittelklasse, unsere so zahlreiche Bürgerschaft, sie, von
der im Alterthum kaum in der Klasse der freigelassenen Sclaven ein
schwacher Keim bestand, sie ist es, welche unsere Walzenindustrie ge-
sckMffcn hat und ihr noch heutzutage sowohl Nahrung als Leitung
angedeihen läßt.

Ich habe mich des vielleicht etwas sonderbar erscheinenden Aus-
drucks „Walzenindustrie" bedient; und zwar deshalb, weil die Walze
das Kriterium aller modernen GewerbsthAtigkeit ist und weil


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266925"/>
          <p xml:id="ID_817" prev="#ID_816"> bestanden hat. Die natürliche Ursache hiervon lag in der Zusammen¬<lb/>
setzung der antiken Gesellschaft, die nur aus Herren und Sclaven bestand,<lb/>
aus der Industrie gänzlich sern stehenden Herren, welche ausnahms¬<lb/>
weise!,, ausgezeichneten Producten gewerblich künstlerischer Bestrebun¬<lb/>
gen nach Belieben eine Belohnung geben konnten und aus arbeiten¬<lb/>
den Sclaven, die aber Nichts besaßen, und deren Arbeit das Eigen¬<lb/>
thum ihrer Herren war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_818"> Im Orient, dem stabilen Vaterlande, aus dem alle Gesellschafts¬<lb/>
und Staatseinrichtungen des Alterthums sich heraus entwickelte»,<lb/>
sehen wir noch heutigen Tages ein lebendiges Probestück und Bei¬<lb/>
spiel von dieser Ordnung der Dinge. Es fehlt daselbst wahrlich<lb/>
weder an bewunderungswürdigen Goldarbeitern, noch an geschickten<lb/>
Töpfern, an unnachahmlichen Elfenbeinarbcitern, an kostbaren Fili¬<lb/>
granverfertigern, an trefflichen Zeugwcbern; aber man sieht keine<lb/>
jener großen gewerblichen Einrichtungen daselbst, wo, so zu sagen,<lb/>
jene unzählbaren Facsimiles verfertigt werden, die, im Ueberfluß aus<lb/>
einem einzigen Grundtypus sich herausbildend, immer billiger im<lb/>
Preise werden, je größer ihre Zahl wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_819"> Den Alten, gleich den heutigen Orientalen, war jener Haupt¬<lb/>
grundsatz der heutigen Nationalökonomen unbekannt: kleiner Ge¬<lb/>
winn verschafft großen Vortheil. Die Alten verstanden<lb/>
wohl zu produciren, aber nicht zu reproduciren; sie kannten nur die<lb/>
Gewaltthätigkeit für den eigenen, engen häuslichen Bedarf, die da¬<lb/>
her stets eine Thätigkeit einzelner künstlerisch begabter Individuen<lb/>
blieb, welche ihre Talente und Fähigkeiten daraus verwandten, Ge¬<lb/>
genstände zum. Gebrauch der reichen Besteller zu machen oder zu<lb/>
verzieren. Unsere Industrie dagegen hat den Zweck, den Ankauf<lb/>
erst der unumgänglich nothwendigen, dann der nützlichen und endlich<lb/>
auch der angenehmen Dinge möglich zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_820"> Unsre Mittelklasse, unsere so zahlreiche Bürgerschaft, sie, von<lb/>
der im Alterthum kaum in der Klasse der freigelassenen Sclaven ein<lb/>
schwacher Keim bestand, sie ist es, welche unsere Walzenindustrie ge-<lb/>
sckMffcn hat und ihr noch heutzutage sowohl Nahrung als Leitung<lb/>
angedeihen läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_821" next="#ID_822"> Ich habe mich des vielleicht etwas sonderbar erscheinenden Aus-<lb/>
drucks &#x201E;Walzenindustrie" bedient; und zwar deshalb, weil die Walze<lb/>
das Kriterium  aller modernen GewerbsthAtigkeit ist und weil</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0308] bestanden hat. Die natürliche Ursache hiervon lag in der Zusammen¬ setzung der antiken Gesellschaft, die nur aus Herren und Sclaven bestand, aus der Industrie gänzlich sern stehenden Herren, welche ausnahms¬ weise!,, ausgezeichneten Producten gewerblich künstlerischer Bestrebun¬ gen nach Belieben eine Belohnung geben konnten und aus arbeiten¬ den Sclaven, die aber Nichts besaßen, und deren Arbeit das Eigen¬ thum ihrer Herren war. Im Orient, dem stabilen Vaterlande, aus dem alle Gesellschafts¬ und Staatseinrichtungen des Alterthums sich heraus entwickelte», sehen wir noch heutigen Tages ein lebendiges Probestück und Bei¬ spiel von dieser Ordnung der Dinge. Es fehlt daselbst wahrlich weder an bewunderungswürdigen Goldarbeitern, noch an geschickten Töpfern, an unnachahmlichen Elfenbeinarbcitern, an kostbaren Fili¬ granverfertigern, an trefflichen Zeugwcbern; aber man sieht keine jener großen gewerblichen Einrichtungen daselbst, wo, so zu sagen, jene unzählbaren Facsimiles verfertigt werden, die, im Ueberfluß aus einem einzigen Grundtypus sich herausbildend, immer billiger im Preise werden, je größer ihre Zahl wird. Den Alten, gleich den heutigen Orientalen, war jener Haupt¬ grundsatz der heutigen Nationalökonomen unbekannt: kleiner Ge¬ winn verschafft großen Vortheil. Die Alten verstanden wohl zu produciren, aber nicht zu reproduciren; sie kannten nur die Gewaltthätigkeit für den eigenen, engen häuslichen Bedarf, die da¬ her stets eine Thätigkeit einzelner künstlerisch begabter Individuen blieb, welche ihre Talente und Fähigkeiten daraus verwandten, Ge¬ genstände zum. Gebrauch der reichen Besteller zu machen oder zu verzieren. Unsere Industrie dagegen hat den Zweck, den Ankauf erst der unumgänglich nothwendigen, dann der nützlichen und endlich auch der angenehmen Dinge möglich zu machen. Unsre Mittelklasse, unsere so zahlreiche Bürgerschaft, sie, von der im Alterthum kaum in der Klasse der freigelassenen Sclaven ein schwacher Keim bestand, sie ist es, welche unsere Walzenindustrie ge- sckMffcn hat und ihr noch heutzutage sowohl Nahrung als Leitung angedeihen läßt. Ich habe mich des vielleicht etwas sonderbar erscheinenden Aus- drucks „Walzenindustrie" bedient; und zwar deshalb, weil die Walze das Kriterium aller modernen GewerbsthAtigkeit ist und weil

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/308
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/308>, abgerufen am 26.08.2024.