Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.erwiederte mit seinem mürrischsten Ausdruck: Die Musik! Als ob ich im Thea¬ Die hiesige Judenschaft hat nach den bedauernswerthen Vorfällen in G. T. erwiederte mit seinem mürrischsten Ausdruck: Die Musik! Als ob ich im Thea¬ Die hiesige Judenschaft hat nach den bedauernswerthen Vorfällen in G. T. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0298" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266915"/> <p xml:id="ID_788" prev="#ID_787"> erwiederte mit seinem mürrischsten Ausdruck: Die Musik! Als ob ich im Thea¬<lb/> ter viel davon zu hören im Stande wäre! In der That sing er damals schon<lb/> an, taub zu werden und was ihm während der Vorstellung so viel Vergnügen<lb/> gemacht hatte, war das Mienenspiel der Schauspieler gewesen. ^-</p><lb/> <p xml:id="ID_789"> Die hiesige Judenschaft hat nach den bedauernswerthen Vorfällen in<lb/> Mantua einen Augenblick in Furcht geschwebt, daß unser Pöbel gleichfalls<lb/> Excesse suchen würde. Der Umstand, daß die österreichischen Truppen zu Gun¬<lb/> sten und zum Schutze der Mantuaner Juden unter's Gewehr traten, that letz¬<lb/> teren in der öffentlichen Meinung der Italiener Schaden, da man die Juden<lb/> dadurch in den Verdacht brachte, mit den verhaßten „l'oileseln" im Einver-<lb/> ständnifi zu sein. Jedenfalls sieht dadurch die lombardische Judenschaft die<lb/> Verwirklichung einer langgenährten Hoffnung wieder auf eine Zeit lang hin¬<lb/> ausgeschoben. Als die Lombardei nach dem Sturz des Napoleonischen Reiches<lb/> unter das Scepter Oesterreichs kam, wurde den Juden zwar die politische<lb/> Gleichstellung entzogen, die bürgerliche aber ihnen gelassen. Die Juden des<lb/> österreichischen Italiens hatten nicht nur den Bortheil vor ihren Glaubensgenossen<lb/> im übrigen Oesterreich voraus, daß ihrer bürgerlichen Existenz nirgends Hem¬<lb/> mungen oder Steuererhebungen in den Weg gewälzt sind, sondern der Kaiser<lb/> Franz gab ihnen im Jahre 1SI9 die Zusicherung, daß bei der ersten Gelegen¬<lb/> heit, wenn die Verhältnisse es erlauben würden, die österreichischen Judengesetze<lb/> zu ändern, diese auch in Bezug auf das lombardisch-venetianische Königreich<lb/> eine freiere Richtung und die Juden auch ihre politische Emancipation, den<lb/> Eintritt in den Staatsdienst ze., wie zur Zeit der französischen Herrschaft,<lb/> wieder erhalten sollten. Diesen Zeitpunct glaubte die hiesige israelitische Ge¬<lb/> meinde vor der Thüre. Die lombardischen Juden haben sich in der That<lb/> sowohl auf dem Gebiete eines großartigen Handels, als auf dem Gebiete der<lb/> Wissenschaft, rüstig und ehrenvoll ihrer Emancipation würdig gemacht. Ob<lb/> das heiße Blut eines jungen Mannes, der eine tiefe Beleidigung—man hatte<lb/> ihm in'S Gesicht gespieen — mit einem tüchtigen Faustschläge beantwortete,<lb/> Veranlassung geben wird, einen gerechten Anspruch und eine edle Hoffnung<lb/> vor der Hand zu unterdrücken — darüber ist die Entscheidung ungewiß. Tra¬<lb/> gisches Schicksal eines Volkes, wo Alle für Einen einstehen müssen, wo ein<lb/> unvorsichtiges Wort, ein Wirthshausstreit, ein Zeitungsartikel hinreicht, allen<lb/> Balsam der Civilisation zu vernichten und die alten, klaffenden Wunden wie¬<lb/> der aufzureißen.</p><lb/> <note type="byline"> G. T.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0298]
erwiederte mit seinem mürrischsten Ausdruck: Die Musik! Als ob ich im Thea¬
ter viel davon zu hören im Stande wäre! In der That sing er damals schon
an, taub zu werden und was ihm während der Vorstellung so viel Vergnügen
gemacht hatte, war das Mienenspiel der Schauspieler gewesen. ^-
Die hiesige Judenschaft hat nach den bedauernswerthen Vorfällen in
Mantua einen Augenblick in Furcht geschwebt, daß unser Pöbel gleichfalls
Excesse suchen würde. Der Umstand, daß die österreichischen Truppen zu Gun¬
sten und zum Schutze der Mantuaner Juden unter's Gewehr traten, that letz¬
teren in der öffentlichen Meinung der Italiener Schaden, da man die Juden
dadurch in den Verdacht brachte, mit den verhaßten „l'oileseln" im Einver-
ständnifi zu sein. Jedenfalls sieht dadurch die lombardische Judenschaft die
Verwirklichung einer langgenährten Hoffnung wieder auf eine Zeit lang hin¬
ausgeschoben. Als die Lombardei nach dem Sturz des Napoleonischen Reiches
unter das Scepter Oesterreichs kam, wurde den Juden zwar die politische
Gleichstellung entzogen, die bürgerliche aber ihnen gelassen. Die Juden des
österreichischen Italiens hatten nicht nur den Bortheil vor ihren Glaubensgenossen
im übrigen Oesterreich voraus, daß ihrer bürgerlichen Existenz nirgends Hem¬
mungen oder Steuererhebungen in den Weg gewälzt sind, sondern der Kaiser
Franz gab ihnen im Jahre 1SI9 die Zusicherung, daß bei der ersten Gelegen¬
heit, wenn die Verhältnisse es erlauben würden, die österreichischen Judengesetze
zu ändern, diese auch in Bezug auf das lombardisch-venetianische Königreich
eine freiere Richtung und die Juden auch ihre politische Emancipation, den
Eintritt in den Staatsdienst ze., wie zur Zeit der französischen Herrschaft,
wieder erhalten sollten. Diesen Zeitpunct glaubte die hiesige israelitische Ge¬
meinde vor der Thüre. Die lombardischen Juden haben sich in der That
sowohl auf dem Gebiete eines großartigen Handels, als auf dem Gebiete der
Wissenschaft, rüstig und ehrenvoll ihrer Emancipation würdig gemacht. Ob
das heiße Blut eines jungen Mannes, der eine tiefe Beleidigung—man hatte
ihm in'S Gesicht gespieen — mit einem tüchtigen Faustschläge beantwortete,
Veranlassung geben wird, einen gerechten Anspruch und eine edle Hoffnung
vor der Hand zu unterdrücken — darüber ist die Entscheidung ungewiß. Tra¬
gisches Schicksal eines Volkes, wo Alle für Einen einstehen müssen, wo ein
unvorsichtiges Wort, ein Wirthshausstreit, ein Zeitungsartikel hinreicht, allen
Balsam der Civilisation zu vernichten und die alten, klaffenden Wunden wie¬
der aufzureißen.
G. T.
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