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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Preußische Vor- und Rückschritte.
(Brieflich aus Leipzig.)

Von einer Seite möchte man, wenn sich Preußen einmal im Schlaf be¬
wegt, gleich alle Festglockc" läuten: von der andern dauert die boshaft
zischende Opposition und ein fast unversöhnliches, hypochondrisches Mi߬
trauen gegen Preußen fort. Die Einen haben sich in die preußische Zu¬
kunft so vergafft, daß sie Deutschland gar nicht mehr zu sehen scheinen- die
Anderen erblicken in Allem, was Preußen beginnt, nichts als Reaction. Beide
Theile haben nicht Unrecht, doch hoffen wir, daß nur der Fortschritt Thatsache
werden und die Reaction luftiges Project und Gespenst bleiben wird. Preu¬
ßen, ein jugendlicher Glücksfant, hat sich stets mehr durch seine Redensarten als
durch seine Thaten geschadet. Offenbar hat die jetzige Regierung liberale Anfänge
gemacht und ist, gegen die vorige gehalten, ein glückliches Ereignis); dieses
Verdienst würde bereitwilliger anerkannt und richtiger gewürdigt, wenn man
nicht so viel Geschrei davon machte. Die Censur ist, in Köln und Königsberg,
wesentlich gemildert worden und die Presse ist dort ungefähr so weit, als die
badische, würtenbergische, sächsische vor bereits zehn bis zwölf Jahren war;
durch den Gegensatz der übrigen Institutionen des streng monarchischen Staa¬
tes erhält dieser Umstand eine günstige Folie, wenn auch keine feste Bürgschaft;
wenn aber die preußischen Zurunftspostillone dergleichen löbliche Anfänge mit
bombastischer Posauncnstößcn als etwas Unerhörtes' und Einziges verkünden,
wenn sie mit kindischer Prahlerei das Geschenk ihres geistreich lächelnden
Vaters über das sauer erworbene, verfassungsmäßige Eigenthum der erwachse¬
nen Bruderstämme stellen, dann hält man die Unterdrückung der inländischen
Artikel in der Königsberger Zeitung, die Processe gegen Jacob" und Fallers-
leben, das Verbot eines ganzen Verlages und die preußischen Nasen fremder
Censoren dagegen und möchte vor Unmuth und Täuschung rufen: Windbeu¬
telei über Windbeutelei! Es ist Alles Wind!

Macht sich nun Preußen auf diese Art durch seinen offiziellen Liberalis¬
mus unbeliebt, so schadet ihm eben so die reactionaire Partei, deren Projecte
merkwürdiger Weise immer von oben herab dem Lande angedroht werden, als
ob diese lichtscheue Eulengescllschaft wirklich im Staatsrath Sitz und Stimme
hätte. Wir glauben nicht, daß sie mehr ist als die Ruthe hinter dem Spiegel.
Allein selbst Kindern soll man nicht jeden Augenblick die Ruthe zeigen, wenn


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Preußische Vor- und Rückschritte.
(Brieflich aus Leipzig.)

Von einer Seite möchte man, wenn sich Preußen einmal im Schlaf be¬
wegt, gleich alle Festglockc» läuten: von der andern dauert die boshaft
zischende Opposition und ein fast unversöhnliches, hypochondrisches Mi߬
trauen gegen Preußen fort. Die Einen haben sich in die preußische Zu¬
kunft so vergafft, daß sie Deutschland gar nicht mehr zu sehen scheinen- die
Anderen erblicken in Allem, was Preußen beginnt, nichts als Reaction. Beide
Theile haben nicht Unrecht, doch hoffen wir, daß nur der Fortschritt Thatsache
werden und die Reaction luftiges Project und Gespenst bleiben wird. Preu¬
ßen, ein jugendlicher Glücksfant, hat sich stets mehr durch seine Redensarten als
durch seine Thaten geschadet. Offenbar hat die jetzige Regierung liberale Anfänge
gemacht und ist, gegen die vorige gehalten, ein glückliches Ereignis); dieses
Verdienst würde bereitwilliger anerkannt und richtiger gewürdigt, wenn man
nicht so viel Geschrei davon machte. Die Censur ist, in Köln und Königsberg,
wesentlich gemildert worden und die Presse ist dort ungefähr so weit, als die
badische, würtenbergische, sächsische vor bereits zehn bis zwölf Jahren war;
durch den Gegensatz der übrigen Institutionen des streng monarchischen Staa¬
tes erhält dieser Umstand eine günstige Folie, wenn auch keine feste Bürgschaft;
wenn aber die preußischen Zurunftspostillone dergleichen löbliche Anfänge mit
bombastischer Posauncnstößcn als etwas Unerhörtes' und Einziges verkünden,
wenn sie mit kindischer Prahlerei das Geschenk ihres geistreich lächelnden
Vaters über das sauer erworbene, verfassungsmäßige Eigenthum der erwachse¬
nen Bruderstämme stellen, dann hält man die Unterdrückung der inländischen
Artikel in der Königsberger Zeitung, die Processe gegen Jacob» und Fallers-
leben, das Verbot eines ganzen Verlages und die preußischen Nasen fremder
Censoren dagegen und möchte vor Unmuth und Täuschung rufen: Windbeu¬
telei über Windbeutelei! Es ist Alles Wind!

Macht sich nun Preußen auf diese Art durch seinen offiziellen Liberalis¬
mus unbeliebt, so schadet ihm eben so die reactionaire Partei, deren Projecte
merkwürdiger Weise immer von oben herab dem Lande angedroht werden, als
ob diese lichtscheue Eulengescllschaft wirklich im Staatsrath Sitz und Stimme
hätte. Wir glauben nicht, daß sie mehr ist als die Ruthe hinter dem Spiegel.
Allein selbst Kindern soll man nicht jeden Augenblick die Ruthe zeigen, wenn


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[0299] 2 Preußische Vor- und Rückschritte. (Brieflich aus Leipzig.) Von einer Seite möchte man, wenn sich Preußen einmal im Schlaf be¬ wegt, gleich alle Festglockc» läuten: von der andern dauert die boshaft zischende Opposition und ein fast unversöhnliches, hypochondrisches Mi߬ trauen gegen Preußen fort. Die Einen haben sich in die preußische Zu¬ kunft so vergafft, daß sie Deutschland gar nicht mehr zu sehen scheinen- die Anderen erblicken in Allem, was Preußen beginnt, nichts als Reaction. Beide Theile haben nicht Unrecht, doch hoffen wir, daß nur der Fortschritt Thatsache werden und die Reaction luftiges Project und Gespenst bleiben wird. Preu¬ ßen, ein jugendlicher Glücksfant, hat sich stets mehr durch seine Redensarten als durch seine Thaten geschadet. Offenbar hat die jetzige Regierung liberale Anfänge gemacht und ist, gegen die vorige gehalten, ein glückliches Ereignis); dieses Verdienst würde bereitwilliger anerkannt und richtiger gewürdigt, wenn man nicht so viel Geschrei davon machte. Die Censur ist, in Köln und Königsberg, wesentlich gemildert worden und die Presse ist dort ungefähr so weit, als die badische, würtenbergische, sächsische vor bereits zehn bis zwölf Jahren war; durch den Gegensatz der übrigen Institutionen des streng monarchischen Staa¬ tes erhält dieser Umstand eine günstige Folie, wenn auch keine feste Bürgschaft; wenn aber die preußischen Zurunftspostillone dergleichen löbliche Anfänge mit bombastischer Posauncnstößcn als etwas Unerhörtes' und Einziges verkünden, wenn sie mit kindischer Prahlerei das Geschenk ihres geistreich lächelnden Vaters über das sauer erworbene, verfassungsmäßige Eigenthum der erwachse¬ nen Bruderstämme stellen, dann hält man die Unterdrückung der inländischen Artikel in der Königsberger Zeitung, die Processe gegen Jacob» und Fallers- leben, das Verbot eines ganzen Verlages und die preußischen Nasen fremder Censoren dagegen und möchte vor Unmuth und Täuschung rufen: Windbeu¬ telei über Windbeutelei! Es ist Alles Wind! Macht sich nun Preußen auf diese Art durch seinen offiziellen Liberalis¬ mus unbeliebt, so schadet ihm eben so die reactionaire Partei, deren Projecte merkwürdiger Weise immer von oben herab dem Lande angedroht werden, als ob diese lichtscheue Eulengescllschaft wirklich im Staatsrath Sitz und Stimme hätte. Wir glauben nicht, daß sie mehr ist als die Ruthe hinter dem Spiegel. Allein selbst Kindern soll man nicht jeden Augenblick die Ruthe zeigen, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/299>, abgerufen am 29.06.2024.