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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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sagen: wahrlich, die Entscheidung würde Euch schwer fallen und Ihr
würdet hinfort anders handeln.

-- Warum hat man Euch auf den Straßen herumstreifend
angetroffen?^

-- Weil ich keine Wohnung habe.

-- Warum habt Ihr keine?

- Weil ich Miethe bezahlen muß und Nichts verdienen kann.

-- Warum sucht Ihr nicht Arbeit?

-- Ich suche sie wohl; aber Niemand will mir Arbeit anver¬
trauen, eben weil ich keine Wohnung habe.

Was thut nun der Richter, der mit der Vollziehung des Ge¬
setzes beauftragt ist, in solchem Falle? Er findet, um aus diesem
schlangenartig sich um ihn und den Armen windenden Kreise des
Elends herauszukommen, kein andres Mittel, als daß er den Unglück¬
lichen in ein Arbeitshaus schickt, wo man ihm für seine Arbeit
sparsam Brod giebt, aber auf Unkosten seiner Freiheit. Und doch,
ich frage nochmals, was hat er für ein Verbrechen begangen, daß
man ihn seines kostbarsten Gutes beraubt? Sollte man denn gar
kein andres Heilmittel finden können? Man suche nur ehrlich und
eifrig. Müssen denn die Vagabunden vom Zuchtpolizeigericht deur.
theilt werden? Schickt sie mir doch vor ein Geschwornengericht von
Reichen und laßt sie von diesen dazu verurtheilen, frei und von ihrer
Familie umgeben zu arbeiten und laßt den Richter selbst ihnen Arbeit
schaffen. Es fehlt wahrlich nicht daran und sollte es keine geben, so
müßte man sie erfinden: das ist heilige, unabweisbare Pflicht der Gesell¬
schaft. Aber kerkert sie nicht ein^ sperrt sie nicht von der Welt und ihrer
Familie ab; bekleidet sie nicht mit der entehrenden grau und weißen Jacke
des Zuchthanssträflings. Der Vagabund hat das nicht verschuldet:
richtet ihn auf, erhebt ihn in seiner eigenen Achtung, sage ich Euch,
und wenn er sehen wird, daß Ihr ihn aufrichtig ohne hochmüthiges
Achselzucken bedauert, daß Ihr den Menschen noch in ihm achtet,
dann wird er frischen Muth fassen und wird sich aus allen Kräften,
-- und die Armen haben so viel Kraft zu leiden, -- gegen das
Elend steifen. Aber so Ihr ihn als Schuldigen behandelt, so Ihr
ihn in's Zuchthaus zu Dieben und andern Verbrechern steckt, so wird
auch in ihm des Verbrechens Gedanke keimen und Euer ist die Ver-


sagen: wahrlich, die Entscheidung würde Euch schwer fallen und Ihr
würdet hinfort anders handeln.

— Warum hat man Euch auf den Straßen herumstreifend
angetroffen?^

— Weil ich keine Wohnung habe.

— Warum habt Ihr keine?

- Weil ich Miethe bezahlen muß und Nichts verdienen kann.

— Warum sucht Ihr nicht Arbeit?

— Ich suche sie wohl; aber Niemand will mir Arbeit anver¬
trauen, eben weil ich keine Wohnung habe.

Was thut nun der Richter, der mit der Vollziehung des Ge¬
setzes beauftragt ist, in solchem Falle? Er findet, um aus diesem
schlangenartig sich um ihn und den Armen windenden Kreise des
Elends herauszukommen, kein andres Mittel, als daß er den Unglück¬
lichen in ein Arbeitshaus schickt, wo man ihm für seine Arbeit
sparsam Brod giebt, aber auf Unkosten seiner Freiheit. Und doch,
ich frage nochmals, was hat er für ein Verbrechen begangen, daß
man ihn seines kostbarsten Gutes beraubt? Sollte man denn gar
kein andres Heilmittel finden können? Man suche nur ehrlich und
eifrig. Müssen denn die Vagabunden vom Zuchtpolizeigericht deur.
theilt werden? Schickt sie mir doch vor ein Geschwornengericht von
Reichen und laßt sie von diesen dazu verurtheilen, frei und von ihrer
Familie umgeben zu arbeiten und laßt den Richter selbst ihnen Arbeit
schaffen. Es fehlt wahrlich nicht daran und sollte es keine geben, so
müßte man sie erfinden: das ist heilige, unabweisbare Pflicht der Gesell¬
schaft. Aber kerkert sie nicht ein^ sperrt sie nicht von der Welt und ihrer
Familie ab; bekleidet sie nicht mit der entehrenden grau und weißen Jacke
des Zuchthanssträflings. Der Vagabund hat das nicht verschuldet:
richtet ihn auf, erhebt ihn in seiner eigenen Achtung, sage ich Euch,
und wenn er sehen wird, daß Ihr ihn aufrichtig ohne hochmüthiges
Achselzucken bedauert, daß Ihr den Menschen noch in ihm achtet,
dann wird er frischen Muth fassen und wird sich aus allen Kräften,
— und die Armen haben so viel Kraft zu leiden, — gegen das
Elend steifen. Aber so Ihr ihn als Schuldigen behandelt, so Ihr
ihn in's Zuchthaus zu Dieben und andern Verbrechern steckt, so wird
auch in ihm des Verbrechens Gedanke keimen und Euer ist die Ver-


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[0271] sagen: wahrlich, die Entscheidung würde Euch schwer fallen und Ihr würdet hinfort anders handeln. — Warum hat man Euch auf den Straßen herumstreifend angetroffen?^ — Weil ich keine Wohnung habe. — Warum habt Ihr keine? - Weil ich Miethe bezahlen muß und Nichts verdienen kann. — Warum sucht Ihr nicht Arbeit? — Ich suche sie wohl; aber Niemand will mir Arbeit anver¬ trauen, eben weil ich keine Wohnung habe. Was thut nun der Richter, der mit der Vollziehung des Ge¬ setzes beauftragt ist, in solchem Falle? Er findet, um aus diesem schlangenartig sich um ihn und den Armen windenden Kreise des Elends herauszukommen, kein andres Mittel, als daß er den Unglück¬ lichen in ein Arbeitshaus schickt, wo man ihm für seine Arbeit sparsam Brod giebt, aber auf Unkosten seiner Freiheit. Und doch, ich frage nochmals, was hat er für ein Verbrechen begangen, daß man ihn seines kostbarsten Gutes beraubt? Sollte man denn gar kein andres Heilmittel finden können? Man suche nur ehrlich und eifrig. Müssen denn die Vagabunden vom Zuchtpolizeigericht deur. theilt werden? Schickt sie mir doch vor ein Geschwornengericht von Reichen und laßt sie von diesen dazu verurtheilen, frei und von ihrer Familie umgeben zu arbeiten und laßt den Richter selbst ihnen Arbeit schaffen. Es fehlt wahrlich nicht daran und sollte es keine geben, so müßte man sie erfinden: das ist heilige, unabweisbare Pflicht der Gesell¬ schaft. Aber kerkert sie nicht ein^ sperrt sie nicht von der Welt und ihrer Familie ab; bekleidet sie nicht mit der entehrenden grau und weißen Jacke des Zuchthanssträflings. Der Vagabund hat das nicht verschuldet: richtet ihn auf, erhebt ihn in seiner eigenen Achtung, sage ich Euch, und wenn er sehen wird, daß Ihr ihn aufrichtig ohne hochmüthiges Achselzucken bedauert, daß Ihr den Menschen noch in ihm achtet, dann wird er frischen Muth fassen und wird sich aus allen Kräften, — und die Armen haben so viel Kraft zu leiden, — gegen das Elend steifen. Aber so Ihr ihn als Schuldigen behandelt, so Ihr ihn in's Zuchthaus zu Dieben und andern Verbrechern steckt, so wird auch in ihm des Verbrechens Gedanke keimen und Euer ist die Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/271>, abgerufen am 01.07.2024.