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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Allgemeine Gesangsübungen, die sich jeden Tag wiederholen,
vervollständigen die Erziehung der Zöglinge. Die Wilden'sche Me¬
thode ist, wie man sehen kann, in einem System des Eclecticismus
verfaßt; er hat sich von den anderen Methoden Alles angeeignet,
wovon er glaubte, daß es zu den Fortschritten der Zöglinge beitrage,
indem er das, was er entlehnte, nach seinen eigenen Ideen und
nach den Anforderungen und Systemen des gegenseitigen Unterrichts
modificirte, innerhalb des letzteren seine Methode ihre Anwendung
zu finden bestimmt war. Eine ausgebreitete Kenntniß des Unterrichts
und der Kunst, ein lebhaftes Verlangen, Nutzen zu stiften, und viel
Beharrlichkeit in der Ausführung seiner Arbeit haben Herrn Wilden
Erfolge zu Wege gebracht, welche über die guten Resultate seiner
Methode keinen Zweifel zu hegen erlauben. Aehnliche Cursus, wie
die in der Musterschule der Straße Se. Jean de Beauvais, sind in
den verschiedenen Stadtvierteln von Paris eröffnet worden und ha--
ben überall glücklichen Erfolg gehabt. In mehreren anderen großen
Städten und in gewissen von der Negierung abhängigen Schul¬
anstalten hat diese Methode gleich gute Früchte getragen.

Es möchte also das Ansehen haben, als wäre die Frage, welche
Methode man für den Elementarunterricht in der Musik wählen
solle, durch die Resultate, welche Herr Wilden mit der seinigen
erhalten, vollkommen entschieden. Jedoch wir sind der Meinung,
daß dies für die Masse der kleinen Lokalitäten, der Flecken und
Dörfer, welche in allen Ländern 99 Hunderttheile der Bevölkerung
ausmachen, nicht der Fall ist. Es ständen da der allgemeinen Verbrei¬
tung dieser Methode große, fast unübersteigbare Hindernisse entge-
gegen. Sie erfordert ein zu großes Local, ein zu beträchtliches und
für die Hülfsquellen der kleinen Gemeinden zu kostspieliges Mate¬
rial, endlich einen unnützen Apparat von Vorrichtungen, die man
übrigens auf dem Lande nur sehr schwer treffen könnte, weil da
durchschnittlich die Intelligenz minder vorgeschritten ist und das Er¬
fassen langsamer vor sich geht, als in den großen Städten. Ueber¬
haupt, je complicirter die Elemente eines Systems sind, desto gerin¬
ger ist seine Anwendbarkeit auf den Volksunterricht, in dem stets die
größte Einfachheit herrschen muß.

ES ist uns bisher für Belgien und Frankreich die Frage, welche wir
uns im Anfang dieses Artikels gestellt, welche Methode am meisten


Allgemeine Gesangsübungen, die sich jeden Tag wiederholen,
vervollständigen die Erziehung der Zöglinge. Die Wilden'sche Me¬
thode ist, wie man sehen kann, in einem System des Eclecticismus
verfaßt; er hat sich von den anderen Methoden Alles angeeignet,
wovon er glaubte, daß es zu den Fortschritten der Zöglinge beitrage,
indem er das, was er entlehnte, nach seinen eigenen Ideen und
nach den Anforderungen und Systemen des gegenseitigen Unterrichts
modificirte, innerhalb des letzteren seine Methode ihre Anwendung
zu finden bestimmt war. Eine ausgebreitete Kenntniß des Unterrichts
und der Kunst, ein lebhaftes Verlangen, Nutzen zu stiften, und viel
Beharrlichkeit in der Ausführung seiner Arbeit haben Herrn Wilden
Erfolge zu Wege gebracht, welche über die guten Resultate seiner
Methode keinen Zweifel zu hegen erlauben. Aehnliche Cursus, wie
die in der Musterschule der Straße Se. Jean de Beauvais, sind in
den verschiedenen Stadtvierteln von Paris eröffnet worden und ha--
ben überall glücklichen Erfolg gehabt. In mehreren anderen großen
Städten und in gewissen von der Negierung abhängigen Schul¬
anstalten hat diese Methode gleich gute Früchte getragen.

Es möchte also das Ansehen haben, als wäre die Frage, welche
Methode man für den Elementarunterricht in der Musik wählen
solle, durch die Resultate, welche Herr Wilden mit der seinigen
erhalten, vollkommen entschieden. Jedoch wir sind der Meinung,
daß dies für die Masse der kleinen Lokalitäten, der Flecken und
Dörfer, welche in allen Ländern 99 Hunderttheile der Bevölkerung
ausmachen, nicht der Fall ist. Es ständen da der allgemeinen Verbrei¬
tung dieser Methode große, fast unübersteigbare Hindernisse entge-
gegen. Sie erfordert ein zu großes Local, ein zu beträchtliches und
für die Hülfsquellen der kleinen Gemeinden zu kostspieliges Mate¬
rial, endlich einen unnützen Apparat von Vorrichtungen, die man
übrigens auf dem Lande nur sehr schwer treffen könnte, weil da
durchschnittlich die Intelligenz minder vorgeschritten ist und das Er¬
fassen langsamer vor sich geht, als in den großen Städten. Ueber¬
haupt, je complicirter die Elemente eines Systems sind, desto gerin¬
ger ist seine Anwendbarkeit auf den Volksunterricht, in dem stets die
größte Einfachheit herrschen muß.

ES ist uns bisher für Belgien und Frankreich die Frage, welche wir
uns im Anfang dieses Artikels gestellt, welche Methode am meisten


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[0238] Allgemeine Gesangsübungen, die sich jeden Tag wiederholen, vervollständigen die Erziehung der Zöglinge. Die Wilden'sche Me¬ thode ist, wie man sehen kann, in einem System des Eclecticismus verfaßt; er hat sich von den anderen Methoden Alles angeeignet, wovon er glaubte, daß es zu den Fortschritten der Zöglinge beitrage, indem er das, was er entlehnte, nach seinen eigenen Ideen und nach den Anforderungen und Systemen des gegenseitigen Unterrichts modificirte, innerhalb des letzteren seine Methode ihre Anwendung zu finden bestimmt war. Eine ausgebreitete Kenntniß des Unterrichts und der Kunst, ein lebhaftes Verlangen, Nutzen zu stiften, und viel Beharrlichkeit in der Ausführung seiner Arbeit haben Herrn Wilden Erfolge zu Wege gebracht, welche über die guten Resultate seiner Methode keinen Zweifel zu hegen erlauben. Aehnliche Cursus, wie die in der Musterschule der Straße Se. Jean de Beauvais, sind in den verschiedenen Stadtvierteln von Paris eröffnet worden und ha-- ben überall glücklichen Erfolg gehabt. In mehreren anderen großen Städten und in gewissen von der Negierung abhängigen Schul¬ anstalten hat diese Methode gleich gute Früchte getragen. Es möchte also das Ansehen haben, als wäre die Frage, welche Methode man für den Elementarunterricht in der Musik wählen solle, durch die Resultate, welche Herr Wilden mit der seinigen erhalten, vollkommen entschieden. Jedoch wir sind der Meinung, daß dies für die Masse der kleinen Lokalitäten, der Flecken und Dörfer, welche in allen Ländern 99 Hunderttheile der Bevölkerung ausmachen, nicht der Fall ist. Es ständen da der allgemeinen Verbrei¬ tung dieser Methode große, fast unübersteigbare Hindernisse entge- gegen. Sie erfordert ein zu großes Local, ein zu beträchtliches und für die Hülfsquellen der kleinen Gemeinden zu kostspieliges Mate¬ rial, endlich einen unnützen Apparat von Vorrichtungen, die man übrigens auf dem Lande nur sehr schwer treffen könnte, weil da durchschnittlich die Intelligenz minder vorgeschritten ist und das Er¬ fassen langsamer vor sich geht, als in den großen Städten. Ueber¬ haupt, je complicirter die Elemente eines Systems sind, desto gerin¬ ger ist seine Anwendbarkeit auf den Volksunterricht, in dem stets die größte Einfachheit herrschen muß. ES ist uns bisher für Belgien und Frankreich die Frage, welche wir uns im Anfang dieses Artikels gestellt, welche Methode am meisten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/238>, abgerufen am 23.07.2024.