Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Durch die ersten Anstalten, in welchen dieser gemeinschaftliche
Unterricht ertheilt worden, hatte die öffentliche Meinung einen Anlauf
zu Gunsten der Musik genommen und zugleich war dadurch auch
die Aufmerksamkeit mehrerer Künstler und Gelehrten auf Untersuch¬
ungen hingelenkt worden, wie man Methoden ausfinden könne, um
das Studium dieser Kunst zu erleichtern. Bewogen von den glück¬
lichen Erfolgen Chorvn'S und Massimino'S, combinirte Pierre Gaur,
ehemaliger Zögling der polytechnischen Schule und Lehrer an der
Königlichen Taubstummenanstalt in Bordeaux, im Jahre 1817 die
Elemente eines Systems, zu dem er die erste Idee in einem lange
vorher von einem Musiker, Namens Jacob, veröffentlichten theoreti¬
schen Werk über Musik gefunden halte: er nannte es Meloplast.
Ihm war die Schwierigkeit (die er sich vielleicht auch etwas zu
groß dachte) aufgefallen, welche die Zöglinge empfinden, die Idee
der Töne mit den Zeichen zu verbinden, welche sie vorstellen, so wie
er auch bemerkt hatte, welche Verlegenheit dem Leser diese Häufung
von Zeichen verursacht: er hatte sich daher zum Gegenstand seiner
Forschungen gemacht, dem Anfänger die praktische Kenntniß der
Intervalle nach einem gegebenen Tone zu erleichtern und Musik
lesen zu lehren, ohne Noten und Schlüssel. Gaur veröffentlichte
im Jahre 1818 eine Analyse seiner Principien, unter dem Titel:
"Darstellung einer neuen Methode für den Musikunterricht."

Der Gaur'sche Meloplast ist eine Tafel, auf welche man Li¬
nien nach Art der gewöhnlichen Notenlinien gezeichnet hat, nebst
kleineren Zusatzlinien ober- und unterhalb der andern, zur Darstel¬
lung der tiefen und hohen Töne. Gaur nimmt an, daß die Töne
der Tonleiter durch Linien dargestellt werden und durch die Zwischen--
räume, die sie zwischen einander bilden, und da er am Anfang der
Notenlinien keinen Schlüssel setzt, so kann der Lehrer jede Linie oder
jeden Zwischenraum nach Belieben ut, 5a, sol etc. nennen. Der
Lehrer hält ein Stäbchen in den Händen, mit dem er über die
Notenlinien hinfährt; dieses Stäbchen stellt die Noten vor und da
die Tonica gegeben ist, so zeigt man dem Schüler, dessen Stimme
diesen Bewegungen folgt, damit den Ton an, den er anstimmen soll.
Um die Intonation zu erleichtern, will Gaur, daß man den Zöglin¬
gen mit dem Stäbchen nur solche Melodien anzeige, die sie schon
kennen, so daß auf diese Art die Kenntniß der Intonation früher


Durch die ersten Anstalten, in welchen dieser gemeinschaftliche
Unterricht ertheilt worden, hatte die öffentliche Meinung einen Anlauf
zu Gunsten der Musik genommen und zugleich war dadurch auch
die Aufmerksamkeit mehrerer Künstler und Gelehrten auf Untersuch¬
ungen hingelenkt worden, wie man Methoden ausfinden könne, um
das Studium dieser Kunst zu erleichtern. Bewogen von den glück¬
lichen Erfolgen Chorvn'S und Massimino'S, combinirte Pierre Gaur,
ehemaliger Zögling der polytechnischen Schule und Lehrer an der
Königlichen Taubstummenanstalt in Bordeaux, im Jahre 1817 die
Elemente eines Systems, zu dem er die erste Idee in einem lange
vorher von einem Musiker, Namens Jacob, veröffentlichten theoreti¬
schen Werk über Musik gefunden halte: er nannte es Meloplast.
Ihm war die Schwierigkeit (die er sich vielleicht auch etwas zu
groß dachte) aufgefallen, welche die Zöglinge empfinden, die Idee
der Töne mit den Zeichen zu verbinden, welche sie vorstellen, so wie
er auch bemerkt hatte, welche Verlegenheit dem Leser diese Häufung
von Zeichen verursacht: er hatte sich daher zum Gegenstand seiner
Forschungen gemacht, dem Anfänger die praktische Kenntniß der
Intervalle nach einem gegebenen Tone zu erleichtern und Musik
lesen zu lehren, ohne Noten und Schlüssel. Gaur veröffentlichte
im Jahre 1818 eine Analyse seiner Principien, unter dem Titel:
„Darstellung einer neuen Methode für den Musikunterricht."

Der Gaur'sche Meloplast ist eine Tafel, auf welche man Li¬
nien nach Art der gewöhnlichen Notenlinien gezeichnet hat, nebst
kleineren Zusatzlinien ober- und unterhalb der andern, zur Darstel¬
lung der tiefen und hohen Töne. Gaur nimmt an, daß die Töne
der Tonleiter durch Linien dargestellt werden und durch die Zwischen--
räume, die sie zwischen einander bilden, und da er am Anfang der
Notenlinien keinen Schlüssel setzt, so kann der Lehrer jede Linie oder
jeden Zwischenraum nach Belieben ut, 5a, sol etc. nennen. Der
Lehrer hält ein Stäbchen in den Händen, mit dem er über die
Notenlinien hinfährt; dieses Stäbchen stellt die Noten vor und da
die Tonica gegeben ist, so zeigt man dem Schüler, dessen Stimme
diesen Bewegungen folgt, damit den Ton an, den er anstimmen soll.
Um die Intonation zu erleichtern, will Gaur, daß man den Zöglin¬
gen mit dem Stäbchen nur solche Melodien anzeige, die sie schon
kennen, so daß auf diese Art die Kenntniß der Intonation früher


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266851"/>
          <p xml:id="ID_610"> Durch die ersten Anstalten, in welchen dieser gemeinschaftliche<lb/>
Unterricht ertheilt worden, hatte die öffentliche Meinung einen Anlauf<lb/>
zu Gunsten der Musik genommen und zugleich war dadurch auch<lb/>
die Aufmerksamkeit mehrerer Künstler und Gelehrten auf Untersuch¬<lb/>
ungen hingelenkt worden, wie man Methoden ausfinden könne, um<lb/>
das Studium dieser Kunst zu erleichtern. Bewogen von den glück¬<lb/>
lichen Erfolgen Chorvn'S und Massimino'S, combinirte Pierre Gaur,<lb/>
ehemaliger Zögling der polytechnischen Schule und Lehrer an der<lb/>
Königlichen Taubstummenanstalt in Bordeaux, im Jahre 1817 die<lb/>
Elemente eines Systems, zu dem er die erste Idee in einem lange<lb/>
vorher von einem Musiker, Namens Jacob, veröffentlichten theoreti¬<lb/>
schen Werk über Musik gefunden halte: er nannte es Meloplast.<lb/>
Ihm war die Schwierigkeit (die er sich vielleicht auch etwas zu<lb/>
groß dachte) aufgefallen, welche die Zöglinge empfinden, die Idee<lb/>
der Töne mit den Zeichen zu verbinden, welche sie vorstellen, so wie<lb/>
er auch bemerkt hatte, welche Verlegenheit dem Leser diese Häufung<lb/>
von Zeichen verursacht: er hatte sich daher zum Gegenstand seiner<lb/>
Forschungen gemacht, dem Anfänger die praktische Kenntniß der<lb/>
Intervalle nach einem gegebenen Tone zu erleichtern und Musik<lb/>
lesen zu lehren, ohne Noten und Schlüssel. Gaur veröffentlichte<lb/>
im Jahre 1818 eine Analyse seiner Principien, unter dem Titel:<lb/>
&#x201E;Darstellung einer neuen Methode für den Musikunterricht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_611" next="#ID_612"> Der Gaur'sche Meloplast ist eine Tafel, auf welche man Li¬<lb/>
nien nach Art der gewöhnlichen Notenlinien gezeichnet hat, nebst<lb/>
kleineren Zusatzlinien ober- und unterhalb der andern, zur Darstel¬<lb/>
lung der tiefen und hohen Töne. Gaur nimmt an, daß die Töne<lb/>
der Tonleiter durch Linien dargestellt werden und durch die Zwischen--<lb/>
räume, die sie zwischen einander bilden, und da er am Anfang der<lb/>
Notenlinien keinen Schlüssel setzt, so kann der Lehrer jede Linie oder<lb/>
jeden Zwischenraum nach Belieben ut, 5a, sol etc. nennen. Der<lb/>
Lehrer hält ein Stäbchen in den Händen, mit dem er über die<lb/>
Notenlinien hinfährt; dieses Stäbchen stellt die Noten vor und da<lb/>
die Tonica gegeben ist, so zeigt man dem Schüler, dessen Stimme<lb/>
diesen Bewegungen folgt, damit den Ton an, den er anstimmen soll.<lb/>
Um die Intonation zu erleichtern, will Gaur, daß man den Zöglin¬<lb/>
gen mit dem Stäbchen nur solche Melodien anzeige, die sie schon<lb/>
kennen, so daß auf diese Art die Kenntniß der Intonation früher</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0234] Durch die ersten Anstalten, in welchen dieser gemeinschaftliche Unterricht ertheilt worden, hatte die öffentliche Meinung einen Anlauf zu Gunsten der Musik genommen und zugleich war dadurch auch die Aufmerksamkeit mehrerer Künstler und Gelehrten auf Untersuch¬ ungen hingelenkt worden, wie man Methoden ausfinden könne, um das Studium dieser Kunst zu erleichtern. Bewogen von den glück¬ lichen Erfolgen Chorvn'S und Massimino'S, combinirte Pierre Gaur, ehemaliger Zögling der polytechnischen Schule und Lehrer an der Königlichen Taubstummenanstalt in Bordeaux, im Jahre 1817 die Elemente eines Systems, zu dem er die erste Idee in einem lange vorher von einem Musiker, Namens Jacob, veröffentlichten theoreti¬ schen Werk über Musik gefunden halte: er nannte es Meloplast. Ihm war die Schwierigkeit (die er sich vielleicht auch etwas zu groß dachte) aufgefallen, welche die Zöglinge empfinden, die Idee der Töne mit den Zeichen zu verbinden, welche sie vorstellen, so wie er auch bemerkt hatte, welche Verlegenheit dem Leser diese Häufung von Zeichen verursacht: er hatte sich daher zum Gegenstand seiner Forschungen gemacht, dem Anfänger die praktische Kenntniß der Intervalle nach einem gegebenen Tone zu erleichtern und Musik lesen zu lehren, ohne Noten und Schlüssel. Gaur veröffentlichte im Jahre 1818 eine Analyse seiner Principien, unter dem Titel: „Darstellung einer neuen Methode für den Musikunterricht." Der Gaur'sche Meloplast ist eine Tafel, auf welche man Li¬ nien nach Art der gewöhnlichen Notenlinien gezeichnet hat, nebst kleineren Zusatzlinien ober- und unterhalb der andern, zur Darstel¬ lung der tiefen und hohen Töne. Gaur nimmt an, daß die Töne der Tonleiter durch Linien dargestellt werden und durch die Zwischen-- räume, die sie zwischen einander bilden, und da er am Anfang der Notenlinien keinen Schlüssel setzt, so kann der Lehrer jede Linie oder jeden Zwischenraum nach Belieben ut, 5a, sol etc. nennen. Der Lehrer hält ein Stäbchen in den Händen, mit dem er über die Notenlinien hinfährt; dieses Stäbchen stellt die Noten vor und da die Tonica gegeben ist, so zeigt man dem Schüler, dessen Stimme diesen Bewegungen folgt, damit den Ton an, den er anstimmen soll. Um die Intonation zu erleichtern, will Gaur, daß man den Zöglin¬ gen mit dem Stäbchen nur solche Melodien anzeige, die sie schon kennen, so daß auf diese Art die Kenntniß der Intonation früher

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/234
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/234>, abgerufen am 23.07.2024.