Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Erfolge dadurch erhalten, daß er sie auf eine große Anzahl von
Schülern anwandte. Aber weder darf man sich diese Resultate als
gar zu vortheilhaft vorstellen, noch sie als die eines wahrhaft volks-
thttmlichcn Unterrichts betrachten. Die Schwierigkeiten, deren Ueber¬
windung vermittelst der Methode man sich vornahm, waren zu groß,
als daß alle Zöglinge hätten darüber hinwegkommen können. Im
Gegentheil war der größere Theil derselben durch diese Schwierig¬
keiten abgeschreckt und verließ den Cursus nach mehr oder minder
langen, unnützen Versuchen. Der Zweck des Gründers der Ne-
ltx)it<z conci-reimte! war, auserlesene Schüler zu bilden und, seiner
Meinung nach, mußte er auf beträchtliche Massen von Kindern ope-
riren können, um durch successive Ausscheidungen zur Wahl von
Individuen zu gelangen, aus denen er sich ausgezeichnete Künstler,
zu machen vornahm, weil er ihrer bedürfte, um seine Pläne zur
Verbesserung der Kirchenmusik in'ö Werk zu setzen. Im Ganzen
genommen war die NotKcxIk nouvel diente im Grunde nichts Anderes,
als die mehrstimmigen Gesangsübungen, die in den deutschen Schulen
gebräuchlich sind: sie war aber aus ein zu weit vorgeschrittenes Beleh-
nmgs- und Kenntniß-System gegründet, als daß sie im Unterricht
von Volksmassen angewandt werden könnte.

Um das Jahr ,1816, also gerade zur Zeit, wo Choron die
ersten Versuche mit selner Methode machte, eröffnete Herr Masstmino,
ein Musiker aus Piemont, einen Musik-Cursus in Paris, der auf
eine Methode gemeinschaftlichen Unterrichts gegründet war und an¬
fangs, so lang er neu war, großen Beifall fand. Diese Methode
l'esteht darin, daß man einer gewissen Anzahl von Schülern eine
Lection dictirt, die sie auf Schiefertafeln schreiben, auf welche man
die fünf Notenlinten gezogen hat. Die Lection, anfangs ganz ein¬
fach, wird stufenweise schwieriger. Wenn diese Arbeit vollendet ist,
so ruft der Lehrer jeden einzelnen Schüler zu sich, läßt ihn die
Lection singen und die Fehler verbessern, die er etwa beim Nie¬
derschreiben dessen, was dictirt worden, gemacht hat. Wenn
diese Verbesserungen bei Allen geschehen sind, so vereinigen sich alle
Stimmen, um diese Lection zu singen, die man so oft von Neuem
anfängt, bis sie zur vollkommenen Zufriedenheit des Lehrers gesun¬
gen wird.

Man sieht, daß es sich hier von der Lancaster'schen Methode


Erfolge dadurch erhalten, daß er sie auf eine große Anzahl von
Schülern anwandte. Aber weder darf man sich diese Resultate als
gar zu vortheilhaft vorstellen, noch sie als die eines wahrhaft volks-
thttmlichcn Unterrichts betrachten. Die Schwierigkeiten, deren Ueber¬
windung vermittelst der Methode man sich vornahm, waren zu groß,
als daß alle Zöglinge hätten darüber hinwegkommen können. Im
Gegentheil war der größere Theil derselben durch diese Schwierig¬
keiten abgeschreckt und verließ den Cursus nach mehr oder minder
langen, unnützen Versuchen. Der Zweck des Gründers der Ne-
ltx)it<z conci-reimte! war, auserlesene Schüler zu bilden und, seiner
Meinung nach, mußte er auf beträchtliche Massen von Kindern ope-
riren können, um durch successive Ausscheidungen zur Wahl von
Individuen zu gelangen, aus denen er sich ausgezeichnete Künstler,
zu machen vornahm, weil er ihrer bedürfte, um seine Pläne zur
Verbesserung der Kirchenmusik in'ö Werk zu setzen. Im Ganzen
genommen war die NotKcxIk nouvel diente im Grunde nichts Anderes,
als die mehrstimmigen Gesangsübungen, die in den deutschen Schulen
gebräuchlich sind: sie war aber aus ein zu weit vorgeschrittenes Beleh-
nmgs- und Kenntniß-System gegründet, als daß sie im Unterricht
von Volksmassen angewandt werden könnte.

Um das Jahr ,1816, also gerade zur Zeit, wo Choron die
ersten Versuche mit selner Methode machte, eröffnete Herr Masstmino,
ein Musiker aus Piemont, einen Musik-Cursus in Paris, der auf
eine Methode gemeinschaftlichen Unterrichts gegründet war und an¬
fangs, so lang er neu war, großen Beifall fand. Diese Methode
l'esteht darin, daß man einer gewissen Anzahl von Schülern eine
Lection dictirt, die sie auf Schiefertafeln schreiben, auf welche man
die fünf Notenlinten gezogen hat. Die Lection, anfangs ganz ein¬
fach, wird stufenweise schwieriger. Wenn diese Arbeit vollendet ist,
so ruft der Lehrer jeden einzelnen Schüler zu sich, läßt ihn die
Lection singen und die Fehler verbessern, die er etwa beim Nie¬
derschreiben dessen, was dictirt worden, gemacht hat. Wenn
diese Verbesserungen bei Allen geschehen sind, so vereinigen sich alle
Stimmen, um diese Lection zu singen, die man so oft von Neuem
anfängt, bis sie zur vollkommenen Zufriedenheit des Lehrers gesun¬
gen wird.

Man sieht, daß es sich hier von der Lancaster'schen Methode


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266849"/>
          <p xml:id="ID_606" prev="#ID_605"> Erfolge dadurch erhalten, daß er sie auf eine große Anzahl von<lb/>
Schülern anwandte. Aber weder darf man sich diese Resultate als<lb/>
gar zu vortheilhaft vorstellen, noch sie als die eines wahrhaft volks-<lb/>
thttmlichcn Unterrichts betrachten. Die Schwierigkeiten, deren Ueber¬<lb/>
windung vermittelst der Methode man sich vornahm, waren zu groß,<lb/>
als daß alle Zöglinge hätten darüber hinwegkommen können. Im<lb/>
Gegentheil war der größere Theil derselben durch diese Schwierig¬<lb/>
keiten abgeschreckt und verließ den Cursus nach mehr oder minder<lb/>
langen, unnützen Versuchen. Der Zweck des Gründers der Ne-<lb/>
ltx)it&lt;z conci-reimte! war, auserlesene Schüler zu bilden und, seiner<lb/>
Meinung nach, mußte er auf beträchtliche Massen von Kindern ope-<lb/>
riren können, um durch successive Ausscheidungen zur Wahl von<lb/>
Individuen zu gelangen, aus denen er sich ausgezeichnete Künstler,<lb/>
zu machen vornahm, weil er ihrer bedürfte, um seine Pläne zur<lb/>
Verbesserung der Kirchenmusik in'ö Werk zu setzen. Im Ganzen<lb/>
genommen war die NotKcxIk nouvel diente im Grunde nichts Anderes,<lb/>
als die mehrstimmigen Gesangsübungen, die in den deutschen Schulen<lb/>
gebräuchlich sind: sie war aber aus ein zu weit vorgeschrittenes Beleh-<lb/>
nmgs- und Kenntniß-System gegründet, als daß sie im Unterricht<lb/>
von Volksmassen angewandt werden könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_607"> Um das Jahr ,1816, also gerade zur Zeit, wo Choron die<lb/>
ersten Versuche mit selner Methode machte, eröffnete Herr Masstmino,<lb/>
ein Musiker aus Piemont, einen Musik-Cursus in Paris, der auf<lb/>
eine Methode gemeinschaftlichen Unterrichts gegründet war und an¬<lb/>
fangs, so lang er neu war, großen Beifall fand. Diese Methode<lb/>
l'esteht darin, daß man einer gewissen Anzahl von Schülern eine<lb/>
Lection dictirt, die sie auf Schiefertafeln schreiben, auf welche man<lb/>
die fünf Notenlinten gezogen hat. Die Lection, anfangs ganz ein¬<lb/>
fach, wird stufenweise schwieriger. Wenn diese Arbeit vollendet ist,<lb/>
so ruft der Lehrer jeden einzelnen Schüler zu sich, läßt ihn die<lb/>
Lection singen und die Fehler verbessern, die er etwa beim Nie¬<lb/>
derschreiben dessen, was dictirt worden, gemacht hat. Wenn<lb/>
diese Verbesserungen bei Allen geschehen sind, so vereinigen sich alle<lb/>
Stimmen, um diese Lection zu singen, die man so oft von Neuem<lb/>
anfängt, bis sie zur vollkommenen Zufriedenheit des Lehrers gesun¬<lb/>
gen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_608" next="#ID_609"> Man sieht, daß es sich hier von der Lancaster'schen Methode</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0232] Erfolge dadurch erhalten, daß er sie auf eine große Anzahl von Schülern anwandte. Aber weder darf man sich diese Resultate als gar zu vortheilhaft vorstellen, noch sie als die eines wahrhaft volks- thttmlichcn Unterrichts betrachten. Die Schwierigkeiten, deren Ueber¬ windung vermittelst der Methode man sich vornahm, waren zu groß, als daß alle Zöglinge hätten darüber hinwegkommen können. Im Gegentheil war der größere Theil derselben durch diese Schwierig¬ keiten abgeschreckt und verließ den Cursus nach mehr oder minder langen, unnützen Versuchen. Der Zweck des Gründers der Ne- ltx)it<z conci-reimte! war, auserlesene Schüler zu bilden und, seiner Meinung nach, mußte er auf beträchtliche Massen von Kindern ope- riren können, um durch successive Ausscheidungen zur Wahl von Individuen zu gelangen, aus denen er sich ausgezeichnete Künstler, zu machen vornahm, weil er ihrer bedürfte, um seine Pläne zur Verbesserung der Kirchenmusik in'ö Werk zu setzen. Im Ganzen genommen war die NotKcxIk nouvel diente im Grunde nichts Anderes, als die mehrstimmigen Gesangsübungen, die in den deutschen Schulen gebräuchlich sind: sie war aber aus ein zu weit vorgeschrittenes Beleh- nmgs- und Kenntniß-System gegründet, als daß sie im Unterricht von Volksmassen angewandt werden könnte. Um das Jahr ,1816, also gerade zur Zeit, wo Choron die ersten Versuche mit selner Methode machte, eröffnete Herr Masstmino, ein Musiker aus Piemont, einen Musik-Cursus in Paris, der auf eine Methode gemeinschaftlichen Unterrichts gegründet war und an¬ fangs, so lang er neu war, großen Beifall fand. Diese Methode l'esteht darin, daß man einer gewissen Anzahl von Schülern eine Lection dictirt, die sie auf Schiefertafeln schreiben, auf welche man die fünf Notenlinten gezogen hat. Die Lection, anfangs ganz ein¬ fach, wird stufenweise schwieriger. Wenn diese Arbeit vollendet ist, so ruft der Lehrer jeden einzelnen Schüler zu sich, läßt ihn die Lection singen und die Fehler verbessern, die er etwa beim Nie¬ derschreiben dessen, was dictirt worden, gemacht hat. Wenn diese Verbesserungen bei Allen geschehen sind, so vereinigen sich alle Stimmen, um diese Lection zu singen, die man so oft von Neuem anfängt, bis sie zur vollkommenen Zufriedenheit des Lehrers gesun¬ gen wird. Man sieht, daß es sich hier von der Lancaster'schen Methode

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/232
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/232>, abgerufen am 23.07.2024.