Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.lehrbedürftigen Lehrer genossen, nur eine vorübergehende Kenntniß der Indessen hatte die städtische Obrigkeit einiger Städte Frankreichs Unter diesen Umständen begannen fast zu gleicher Zeit alle die lehrbedürftigen Lehrer genossen, nur eine vorübergehende Kenntniß der Indessen hatte die städtische Obrigkeit einiger Städte Frankreichs Unter diesen Umständen begannen fast zu gleicher Zeit alle die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266847"/> <p xml:id="ID_599" prev="#ID_598"> lehrbedürftigen Lehrer genossen, nur eine vorübergehende Kenntniß der<lb/> Kunst, und kaum war die Zeit des eigentlichen Unterrichts für sie<lb/> verflossen, so beeilten sie sich, das Wenige, das sie gelernt hatten,<lb/> vollends zu vergessen, so daß von Generation zu Generation Alles,<lb/> was nicht Künstler von Stande war, in tiefer Unkennmiß der Kunst<lb/> und in voller Gleichgültigkeit gegen dieselbe befangen blieb.</p><lb/> <p xml:id="ID_600"> Indessen hatte die städtische Obrigkeit einiger Städte Frankreichs<lb/> die Einsicht erlangt, von welchem Nutzen die Musik in der öffent¬<lb/> lichen Erziehung sei und es waren demzufolge in den letzten Jahren<lb/> der Kaiserherrschaft in Lille, Douai, Metz, Straßburg und Toulouse<lb/> einige, wenn auch nur mit schwachen Hülfsmitteln ausgestattete<lb/> Schulen begründet worden. Obgleich dieselben im Allgemeinen mehr<lb/> dem althergebrachten Schlendrian der Lehrer überlassen blieben, als<lb/> daß eine wirkliche Methode in ihnen angewandt wurde, so waren<lb/> sie doch nicht ohne erfreuliches Resultat geblieben in Folge des<lb/> Wetteifers, der in einer Mehreren gemeinschaftlichen Erziehung sich<lb/> nie geltend zu machen unterläßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_601" next="#ID_602"> Unter diesen Umständen begannen fast zu gleicher Zeit alle die<lb/> Urheber der oben aufgezählten Methoden Hand aus Werk zu legen.<lb/> Choron ist der erste von ihnen, mit dem wir uns beschäftigen müssen,<lb/> weil er, ohne gerade die Einführung der Musik in den Elementar¬<lb/> unterricht beabsichtigt zu haben, doch sich speciell mit einer der Sachen<lb/> beschäftigte, welche bestimmt sind, darin ihren größten Erfolg zu finden,<lb/> nämlich mit der Entwickelung des Gefühls für Harmonie. Durch<lb/> eine Intrigue im Jahre 1816 der Operndirection beraubt, beschäf¬<lb/> tigte er sich in seiner gezwungenen Muße damit, ein System zur<lb/> Errichtung einer Musikschule auszudenken, in welcher der Schüler,<lb/> in fortschreitender Methode, vermittelst vierstimmig gesetzter Lectionen,<lb/> auf alle Arten von Schwierigkeiten eingeübt werden sollte. Gleich<lb/> den deutschen Meistern, von denen wir oben gesprochen, siel es auch<lb/> Choron auf, daß das Reinheitsgefühl und das Taktgefühl eins vom<lb/> andern gänzlich unabhängig sind, und, gleich ihnen, zog auch er<lb/> daraus den Schluß, daß man beim Unterricht die Begriffe, welche<lb/> diese Dinge betreffen, von einander trennen müsse. Hievon ging er<lb/> dann zu der Nothwendigkeit der Steigerung der Schwierigkeiten über<lb/> und schuf sich ein System Betreffs dieser Gradation, welches darin<lb/> bestand, Solfeggien drei- oder vierstimmig so zu combiniren, daß eine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0230]
lehrbedürftigen Lehrer genossen, nur eine vorübergehende Kenntniß der
Kunst, und kaum war die Zeit des eigentlichen Unterrichts für sie
verflossen, so beeilten sie sich, das Wenige, das sie gelernt hatten,
vollends zu vergessen, so daß von Generation zu Generation Alles,
was nicht Künstler von Stande war, in tiefer Unkennmiß der Kunst
und in voller Gleichgültigkeit gegen dieselbe befangen blieb.
Indessen hatte die städtische Obrigkeit einiger Städte Frankreichs
die Einsicht erlangt, von welchem Nutzen die Musik in der öffent¬
lichen Erziehung sei und es waren demzufolge in den letzten Jahren
der Kaiserherrschaft in Lille, Douai, Metz, Straßburg und Toulouse
einige, wenn auch nur mit schwachen Hülfsmitteln ausgestattete
Schulen begründet worden. Obgleich dieselben im Allgemeinen mehr
dem althergebrachten Schlendrian der Lehrer überlassen blieben, als
daß eine wirkliche Methode in ihnen angewandt wurde, so waren
sie doch nicht ohne erfreuliches Resultat geblieben in Folge des
Wetteifers, der in einer Mehreren gemeinschaftlichen Erziehung sich
nie geltend zu machen unterläßt.
Unter diesen Umständen begannen fast zu gleicher Zeit alle die
Urheber der oben aufgezählten Methoden Hand aus Werk zu legen.
Choron ist der erste von ihnen, mit dem wir uns beschäftigen müssen,
weil er, ohne gerade die Einführung der Musik in den Elementar¬
unterricht beabsichtigt zu haben, doch sich speciell mit einer der Sachen
beschäftigte, welche bestimmt sind, darin ihren größten Erfolg zu finden,
nämlich mit der Entwickelung des Gefühls für Harmonie. Durch
eine Intrigue im Jahre 1816 der Operndirection beraubt, beschäf¬
tigte er sich in seiner gezwungenen Muße damit, ein System zur
Errichtung einer Musikschule auszudenken, in welcher der Schüler,
in fortschreitender Methode, vermittelst vierstimmig gesetzter Lectionen,
auf alle Arten von Schwierigkeiten eingeübt werden sollte. Gleich
den deutschen Meistern, von denen wir oben gesprochen, siel es auch
Choron auf, daß das Reinheitsgefühl und das Taktgefühl eins vom
andern gänzlich unabhängig sind, und, gleich ihnen, zog auch er
daraus den Schluß, daß man beim Unterricht die Begriffe, welche
diese Dinge betreffen, von einander trennen müsse. Hievon ging er
dann zu der Nothwendigkeit der Steigerung der Schwierigkeiten über
und schuf sich ein System Betreffs dieser Gradation, welches darin
bestand, Solfeggien drei- oder vierstimmig so zu combiniren, daß eine
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