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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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pirie die Speculation. Wollte er sich an der Natur von dem syste¬
matischen Rausche ernüchtern, so wollte er in ihrem frischen Wasser-
bade sich auch innerliche Lebenskraft schöpfen; wollte er den Geist in
die Natur versenken, so sollte es sein, nicht um sich darin zu entgei-
sten, sondern umgekehrt, um darin die Wasser des Lebens zu trin¬
ken, um sich an ihr zu begeistern. Das Innere in Natur und
Menschen zog ihn an sich, in der Vertiefung und Versenkung in
das Wesen, den Kern, die ursprünglichen Elemente des natürlichen
und menschlichen Daseins hatte er seinen Cultus; dieses innerste
Wesen, in dem die Pulse alles Lebens schlagen, aus dem die Keime
alles Gedeihens sprießen, ward sein Gott. "Das Wesen deS Men¬
schen ist sein Gott!" das liegt ja nahe genug dem Satze: Gott ist
das Wesen des Menschen; Gott hat es geschaffen und erhält es:
also ist er es. So soll nur Feuerbach das Wesen des Menschen
sich und uns nur immer klarer und reiner darlegen, soll ganz in
seine Tiefe graben; der Gott, dessen Werk dieses Wesen ist, wird
dann um so klarer sich vor unser Geistesauge stellen. Tüchtige psy¬
chologische Betrachtung ist es in der That, welche dem in der Spe¬
kulation verflüchtigten Glauben und Gott wieder eine feste Basis
in unserem Herzen zu geben im Stande wäre. Sofern Feuerbach
in die Tiefen der Seele blickt, um das Wesen des Menschen zu er¬
forschen, arbeitet er im Dienste der Religion und Gottes, mag er
es auch noch so wenig wollen.

Nur daß man Feuerbach um seiner Cynismen, seiner Splitter¬
nacktheit und Natürlichkeit willen nicht mit einem blos sinnlichen,
geistlosen Materialismus und Naturalismus zusammenkopple! Von
dieser Flachheit und Leerheit ist er ewig weit entfernt. Als Ludwig
F. das Gymnasium verließ, war er auf dem Wege, ein Pietist zu
werden oder, wie man in Franken die Pietisten heißt, Mystiker.
Augustin's Schriften zogen ihn besonders an und mit ganzem Her¬
zen ergab er sich anfangs in Heidelberg der Theologie. Noch heute
ist er für die alten Mystiker begeistert, die er sogar in seinem blin¬
den Haß gegen alles theologisch-religiöse Gebiet der Bibel, dem
Buche der Bücher, vor dessen Tiefe und Unergründlichkeit er sonst
hinlänglich Ehrfurcht hegt, vorzuziehen sich die Miene gibt und
wohl auch in den Kopf setzt. Dieser Zug in die geheimnißvollen
Tiefen des Lebens. dieser Trieb in das schlagende Herz der Natur


pirie die Speculation. Wollte er sich an der Natur von dem syste¬
matischen Rausche ernüchtern, so wollte er in ihrem frischen Wasser-
bade sich auch innerliche Lebenskraft schöpfen; wollte er den Geist in
die Natur versenken, so sollte es sein, nicht um sich darin zu entgei-
sten, sondern umgekehrt, um darin die Wasser des Lebens zu trin¬
ken, um sich an ihr zu begeistern. Das Innere in Natur und
Menschen zog ihn an sich, in der Vertiefung und Versenkung in
das Wesen, den Kern, die ursprünglichen Elemente des natürlichen
und menschlichen Daseins hatte er seinen Cultus; dieses innerste
Wesen, in dem die Pulse alles Lebens schlagen, aus dem die Keime
alles Gedeihens sprießen, ward sein Gott. „Das Wesen deS Men¬
schen ist sein Gott!" das liegt ja nahe genug dem Satze: Gott ist
das Wesen des Menschen; Gott hat es geschaffen und erhält es:
also ist er es. So soll nur Feuerbach das Wesen des Menschen
sich und uns nur immer klarer und reiner darlegen, soll ganz in
seine Tiefe graben; der Gott, dessen Werk dieses Wesen ist, wird
dann um so klarer sich vor unser Geistesauge stellen. Tüchtige psy¬
chologische Betrachtung ist es in der That, welche dem in der Spe¬
kulation verflüchtigten Glauben und Gott wieder eine feste Basis
in unserem Herzen zu geben im Stande wäre. Sofern Feuerbach
in die Tiefen der Seele blickt, um das Wesen des Menschen zu er¬
forschen, arbeitet er im Dienste der Religion und Gottes, mag er
es auch noch so wenig wollen.

Nur daß man Feuerbach um seiner Cynismen, seiner Splitter¬
nacktheit und Natürlichkeit willen nicht mit einem blos sinnlichen,
geistlosen Materialismus und Naturalismus zusammenkopple! Von
dieser Flachheit und Leerheit ist er ewig weit entfernt. Als Ludwig
F. das Gymnasium verließ, war er auf dem Wege, ein Pietist zu
werden oder, wie man in Franken die Pietisten heißt, Mystiker.
Augustin's Schriften zogen ihn besonders an und mit ganzem Her¬
zen ergab er sich anfangs in Heidelberg der Theologie. Noch heute
ist er für die alten Mystiker begeistert, die er sogar in seinem blin¬
den Haß gegen alles theologisch-religiöse Gebiet der Bibel, dem
Buche der Bücher, vor dessen Tiefe und Unergründlichkeit er sonst
hinlänglich Ehrfurcht hegt, vorzuziehen sich die Miene gibt und
wohl auch in den Kopf setzt. Dieser Zug in die geheimnißvollen
Tiefen des Lebens. dieser Trieb in das schlagende Herz der Natur


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[0023] pirie die Speculation. Wollte er sich an der Natur von dem syste¬ matischen Rausche ernüchtern, so wollte er in ihrem frischen Wasser- bade sich auch innerliche Lebenskraft schöpfen; wollte er den Geist in die Natur versenken, so sollte es sein, nicht um sich darin zu entgei- sten, sondern umgekehrt, um darin die Wasser des Lebens zu trin¬ ken, um sich an ihr zu begeistern. Das Innere in Natur und Menschen zog ihn an sich, in der Vertiefung und Versenkung in das Wesen, den Kern, die ursprünglichen Elemente des natürlichen und menschlichen Daseins hatte er seinen Cultus; dieses innerste Wesen, in dem die Pulse alles Lebens schlagen, aus dem die Keime alles Gedeihens sprießen, ward sein Gott. „Das Wesen deS Men¬ schen ist sein Gott!" das liegt ja nahe genug dem Satze: Gott ist das Wesen des Menschen; Gott hat es geschaffen und erhält es: also ist er es. So soll nur Feuerbach das Wesen des Menschen sich und uns nur immer klarer und reiner darlegen, soll ganz in seine Tiefe graben; der Gott, dessen Werk dieses Wesen ist, wird dann um so klarer sich vor unser Geistesauge stellen. Tüchtige psy¬ chologische Betrachtung ist es in der That, welche dem in der Spe¬ kulation verflüchtigten Glauben und Gott wieder eine feste Basis in unserem Herzen zu geben im Stande wäre. Sofern Feuerbach in die Tiefen der Seele blickt, um das Wesen des Menschen zu er¬ forschen, arbeitet er im Dienste der Religion und Gottes, mag er es auch noch so wenig wollen. Nur daß man Feuerbach um seiner Cynismen, seiner Splitter¬ nacktheit und Natürlichkeit willen nicht mit einem blos sinnlichen, geistlosen Materialismus und Naturalismus zusammenkopple! Von dieser Flachheit und Leerheit ist er ewig weit entfernt. Als Ludwig F. das Gymnasium verließ, war er auf dem Wege, ein Pietist zu werden oder, wie man in Franken die Pietisten heißt, Mystiker. Augustin's Schriften zogen ihn besonders an und mit ganzem Her¬ zen ergab er sich anfangs in Heidelberg der Theologie. Noch heute ist er für die alten Mystiker begeistert, die er sogar in seinem blin¬ den Haß gegen alles theologisch-religiöse Gebiet der Bibel, dem Buche der Bücher, vor dessen Tiefe und Unergründlichkeit er sonst hinlänglich Ehrfurcht hegt, vorzuziehen sich die Miene gibt und wohl auch in den Kopf setzt. Dieser Zug in die geheimnißvollen Tiefen des Lebens. dieser Trieb in das schlagende Herz der Natur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/23>, abgerufen am 23.07.2024.