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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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siebenzehnten Jahrhunderts Ralwitz; in Spanien Peter von Arena
lind in Frankreich Jean Lemairc.

Durch diese Streitigkeiten nun und ihre lange Dauer ward
die Aufmerksamkeit der Gelehrten für lange Zeit von einer sorgfälti¬
gen Vervollkommnung der Elementarmethoden abgewandt worden.
Denn man muß doch wohl erst über eine Doctrin selbst einig sein,
ehe man sich mit ihrer mehr oder minder deutlichen Darstellung be¬
schäftigen kann. Zu derselben Zeit übrigens, wo jener Streit über
die Solmisation, diesen so wichtigen Theil der musikalischen Elemente,
geführt wurde, erlitt auch die Notenschrift nicht minder durchgreifende
Veränderungen. Die seit mehreren Jahrhunderten in Gebrauch ge¬
wesene Notenschrift war dermaßen mit unnützen Schwierigkeiten
überladen, daß seit dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts alle
vernünftigen Köpfe zu der Einsicht gelangten, es sei in der Hyero-
glyphenschrift der Töne ein Reform unerläßlich nothwendig, da
einige Fälle selbst für die sachkundigsten Musiker Gelegenheit zu Irr-
thümern gaben. Diese Reform dauerte lange und man erreichte das
Ziel erst nach mancherlei umhertastenden Versuchen. Streng ge¬
nommen kann man sagen, daß das Notensystem, wie wir es heutzu¬
tage haben, wenigstens in Bezug auf gewisse Einzelnheiten nicht
vor 175" festgestellt wurde.

In diesen beiden theoretischen Umwälzungen nun muß man die
Ursachen der seltsamen Widersprüche suchen, welche in den Grund¬
sätzen einiger im 17. Jahrhundert erschienenen Elementartractate
vorhanden sind. Aus denselben Gründen mangelte es natürlich dem
theoretischen Unterrichte an Einheit der Doctrin und an Klarheit
und Methode der Darstellung; der praktische Unterricht aber war in
den Schulen Deutschlands in gutem Bestände und das Volk erhielt
fortwährend in den Elementarschulen eine musikalische Erziehung,
welche das Gefühl der Harmonie in ihm entwickelte.

Leider nicht so war eS in Frankreich und den Niederlanden;
hier gab es eigentlich keine musikalische Erziehung. Einige Kinder
zwar, die als Chorknaben in die Musikschulen der Kathedral- und
Stiftskirchen aufgenommen wurden, lernten daselbst das Lesen der
Musik und wurden ihnen einige Begriffe von Gesang und die ersten
Principien des Generalbasses beigebracht; aber diese nur der Musik
gewidmeten Schulen, in denen diese Kinder erzogen wurden, konnten


siebenzehnten Jahrhunderts Ralwitz; in Spanien Peter von Arena
lind in Frankreich Jean Lemairc.

Durch diese Streitigkeiten nun und ihre lange Dauer ward
die Aufmerksamkeit der Gelehrten für lange Zeit von einer sorgfälti¬
gen Vervollkommnung der Elementarmethoden abgewandt worden.
Denn man muß doch wohl erst über eine Doctrin selbst einig sein,
ehe man sich mit ihrer mehr oder minder deutlichen Darstellung be¬
schäftigen kann. Zu derselben Zeit übrigens, wo jener Streit über
die Solmisation, diesen so wichtigen Theil der musikalischen Elemente,
geführt wurde, erlitt auch die Notenschrift nicht minder durchgreifende
Veränderungen. Die seit mehreren Jahrhunderten in Gebrauch ge¬
wesene Notenschrift war dermaßen mit unnützen Schwierigkeiten
überladen, daß seit dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts alle
vernünftigen Köpfe zu der Einsicht gelangten, es sei in der Hyero-
glyphenschrift der Töne ein Reform unerläßlich nothwendig, da
einige Fälle selbst für die sachkundigsten Musiker Gelegenheit zu Irr-
thümern gaben. Diese Reform dauerte lange und man erreichte das
Ziel erst nach mancherlei umhertastenden Versuchen. Streng ge¬
nommen kann man sagen, daß das Notensystem, wie wir es heutzu¬
tage haben, wenigstens in Bezug auf gewisse Einzelnheiten nicht
vor 175« festgestellt wurde.

In diesen beiden theoretischen Umwälzungen nun muß man die
Ursachen der seltsamen Widersprüche suchen, welche in den Grund¬
sätzen einiger im 17. Jahrhundert erschienenen Elementartractate
vorhanden sind. Aus denselben Gründen mangelte es natürlich dem
theoretischen Unterrichte an Einheit der Doctrin und an Klarheit
und Methode der Darstellung; der praktische Unterricht aber war in
den Schulen Deutschlands in gutem Bestände und das Volk erhielt
fortwährend in den Elementarschulen eine musikalische Erziehung,
welche das Gefühl der Harmonie in ihm entwickelte.

Leider nicht so war eS in Frankreich und den Niederlanden;
hier gab es eigentlich keine musikalische Erziehung. Einige Kinder
zwar, die als Chorknaben in die Musikschulen der Kathedral- und
Stiftskirchen aufgenommen wurden, lernten daselbst das Lesen der
Musik und wurden ihnen einige Begriffe von Gesang und die ersten
Principien des Generalbasses beigebracht; aber diese nur der Musik
gewidmeten Schulen, in denen diese Kinder erzogen wurden, konnten


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[0219] siebenzehnten Jahrhunderts Ralwitz; in Spanien Peter von Arena lind in Frankreich Jean Lemairc. Durch diese Streitigkeiten nun und ihre lange Dauer ward die Aufmerksamkeit der Gelehrten für lange Zeit von einer sorgfälti¬ gen Vervollkommnung der Elementarmethoden abgewandt worden. Denn man muß doch wohl erst über eine Doctrin selbst einig sein, ehe man sich mit ihrer mehr oder minder deutlichen Darstellung be¬ schäftigen kann. Zu derselben Zeit übrigens, wo jener Streit über die Solmisation, diesen so wichtigen Theil der musikalischen Elemente, geführt wurde, erlitt auch die Notenschrift nicht minder durchgreifende Veränderungen. Die seit mehreren Jahrhunderten in Gebrauch ge¬ wesene Notenschrift war dermaßen mit unnützen Schwierigkeiten überladen, daß seit dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts alle vernünftigen Köpfe zu der Einsicht gelangten, es sei in der Hyero- glyphenschrift der Töne ein Reform unerläßlich nothwendig, da einige Fälle selbst für die sachkundigsten Musiker Gelegenheit zu Irr- thümern gaben. Diese Reform dauerte lange und man erreichte das Ziel erst nach mancherlei umhertastenden Versuchen. Streng ge¬ nommen kann man sagen, daß das Notensystem, wie wir es heutzu¬ tage haben, wenigstens in Bezug auf gewisse Einzelnheiten nicht vor 175« festgestellt wurde. In diesen beiden theoretischen Umwälzungen nun muß man die Ursachen der seltsamen Widersprüche suchen, welche in den Grund¬ sätzen einiger im 17. Jahrhundert erschienenen Elementartractate vorhanden sind. Aus denselben Gründen mangelte es natürlich dem theoretischen Unterrichte an Einheit der Doctrin und an Klarheit und Methode der Darstellung; der praktische Unterricht aber war in den Schulen Deutschlands in gutem Bestände und das Volk erhielt fortwährend in den Elementarschulen eine musikalische Erziehung, welche das Gefühl der Harmonie in ihm entwickelte. Leider nicht so war eS in Frankreich und den Niederlanden; hier gab es eigentlich keine musikalische Erziehung. Einige Kinder zwar, die als Chorknaben in die Musikschulen der Kathedral- und Stiftskirchen aufgenommen wurden, lernten daselbst das Lesen der Musik und wurden ihnen einige Begriffe von Gesang und die ersten Principien des Generalbasses beigebracht; aber diese nur der Musik gewidmeten Schulen, in denen diese Kinder erzogen wurden, konnten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/219>, abgerufen am 23.07.2024.