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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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in diesen beiden Punkten jetzt gänzlich verlassen worden sind, so sind
dadurch die Werke Faber's, Rhau's und Listen's ganz unnütz ge¬
worden und man findet sie nur noch in den Bibliotheken einiger
wenigen Gelehrten, als Denkmäler der Kunst der Vergangenheit.
Doch ist es zu bedauern, daß die Methoden, die in den verschiedenen
Epochen der Umgestaltung oder des Fortschrittes einander gefolgt
sind, nicht für den Elementarunterricht in der Musik die einfache
Form dieser Lehrbücher beibehalten haben. Aber schon gegen Ende des
sechzehnten Jahrhunderts machten die Elementarbücher von Schneegaß,
Crusius und Magiri Ansprüche auf strenger wissenschaftliche Formen.
Ein um dieselbe Zeit ausbrechender Streit über einen sehr wichtigen
Punkt in der Musik trug vollends dazu bei, daß die Methoden des
musikalischen Elementarunterrichts ohne Vervollkommnung und Fort¬
schritt blieben. Wir müssen über diesen Streit um so mehr einige
Worte sagen, weil man dadurch zugleich die Ursachen kennen lernt,
welche jene oben erwähnten ältesten Traktate für den musikalischen
Unterricht unbrauchbar gemacht haben..

Es ist wohl als allgemein bekannt anzunehmen, daß Guido
von Arezzo im eilften Jahrhundert statt der beiden getrennten Tetra¬
chorde der Griechen, welche vereint die Octave bildeten und das
ewige Gesetz einer jeden vernünftigen Tonleiter, so wie aller auf
natürliche Verhältnisse gegründeten Musik sind, ein Herachord, d. h.
eine Tonleiter von sechs Noten einführte und dieselben nach den
Anfangssylben eines Hymnus an Johannes den Täufer benannte,
worin sie sich zufällig in ihrer natürlichen Reihenfolge vorfanden.
Es waren dies die Noten; ut, re, mi, tu, sol, 1". Wie falsch diese
Methode auch war, -- denn da diese wenigen Töne nur eine sehr
geringe Melodie enthielten, so sah man sich bald genöthigt, unter
einem Namen mehrere Tone zu verstehen, was unendliche Verwirr¬
ungen herbeiführte, -- so behauptete sie sich dennoch länger als
fünfhundert Jahre. Von der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts
an aber beginnt ein hartnäckiger Kampf dagegen, der bis in den
Anfang des achtzehnten hinabdauerte, sVuttstedt und Matthesoül
aber natürlich mit dem Sieg der vernünftigen Solmisation, welche
auf die Octave sich gründet, endigte. Die Hauptstreiter in diesem
Kampfe waren Belgier, nämlich Anselm von Flandern, Hubert
Waelrant, der gelehrte PuteanuS; in Deutschland im Anfang des


in diesen beiden Punkten jetzt gänzlich verlassen worden sind, so sind
dadurch die Werke Faber's, Rhau's und Listen's ganz unnütz ge¬
worden und man findet sie nur noch in den Bibliotheken einiger
wenigen Gelehrten, als Denkmäler der Kunst der Vergangenheit.
Doch ist es zu bedauern, daß die Methoden, die in den verschiedenen
Epochen der Umgestaltung oder des Fortschrittes einander gefolgt
sind, nicht für den Elementarunterricht in der Musik die einfache
Form dieser Lehrbücher beibehalten haben. Aber schon gegen Ende des
sechzehnten Jahrhunderts machten die Elementarbücher von Schneegaß,
Crusius und Magiri Ansprüche auf strenger wissenschaftliche Formen.
Ein um dieselbe Zeit ausbrechender Streit über einen sehr wichtigen
Punkt in der Musik trug vollends dazu bei, daß die Methoden des
musikalischen Elementarunterrichts ohne Vervollkommnung und Fort¬
schritt blieben. Wir müssen über diesen Streit um so mehr einige
Worte sagen, weil man dadurch zugleich die Ursachen kennen lernt,
welche jene oben erwähnten ältesten Traktate für den musikalischen
Unterricht unbrauchbar gemacht haben..

Es ist wohl als allgemein bekannt anzunehmen, daß Guido
von Arezzo im eilften Jahrhundert statt der beiden getrennten Tetra¬
chorde der Griechen, welche vereint die Octave bildeten und das
ewige Gesetz einer jeden vernünftigen Tonleiter, so wie aller auf
natürliche Verhältnisse gegründeten Musik sind, ein Herachord, d. h.
eine Tonleiter von sechs Noten einführte und dieselben nach den
Anfangssylben eines Hymnus an Johannes den Täufer benannte,
worin sie sich zufällig in ihrer natürlichen Reihenfolge vorfanden.
Es waren dies die Noten; ut, re, mi, tu, sol, 1». Wie falsch diese
Methode auch war, — denn da diese wenigen Töne nur eine sehr
geringe Melodie enthielten, so sah man sich bald genöthigt, unter
einem Namen mehrere Tone zu verstehen, was unendliche Verwirr¬
ungen herbeiführte, — so behauptete sie sich dennoch länger als
fünfhundert Jahre. Von der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts
an aber beginnt ein hartnäckiger Kampf dagegen, der bis in den
Anfang des achtzehnten hinabdauerte, sVuttstedt und Matthesoül
aber natürlich mit dem Sieg der vernünftigen Solmisation, welche
auf die Octave sich gründet, endigte. Die Hauptstreiter in diesem
Kampfe waren Belgier, nämlich Anselm von Flandern, Hubert
Waelrant, der gelehrte PuteanuS; in Deutschland im Anfang des


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[0218] in diesen beiden Punkten jetzt gänzlich verlassen worden sind, so sind dadurch die Werke Faber's, Rhau's und Listen's ganz unnütz ge¬ worden und man findet sie nur noch in den Bibliotheken einiger wenigen Gelehrten, als Denkmäler der Kunst der Vergangenheit. Doch ist es zu bedauern, daß die Methoden, die in den verschiedenen Epochen der Umgestaltung oder des Fortschrittes einander gefolgt sind, nicht für den Elementarunterricht in der Musik die einfache Form dieser Lehrbücher beibehalten haben. Aber schon gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts machten die Elementarbücher von Schneegaß, Crusius und Magiri Ansprüche auf strenger wissenschaftliche Formen. Ein um dieselbe Zeit ausbrechender Streit über einen sehr wichtigen Punkt in der Musik trug vollends dazu bei, daß die Methoden des musikalischen Elementarunterrichts ohne Vervollkommnung und Fort¬ schritt blieben. Wir müssen über diesen Streit um so mehr einige Worte sagen, weil man dadurch zugleich die Ursachen kennen lernt, welche jene oben erwähnten ältesten Traktate für den musikalischen Unterricht unbrauchbar gemacht haben.. Es ist wohl als allgemein bekannt anzunehmen, daß Guido von Arezzo im eilften Jahrhundert statt der beiden getrennten Tetra¬ chorde der Griechen, welche vereint die Octave bildeten und das ewige Gesetz einer jeden vernünftigen Tonleiter, so wie aller auf natürliche Verhältnisse gegründeten Musik sind, ein Herachord, d. h. eine Tonleiter von sechs Noten einführte und dieselben nach den Anfangssylben eines Hymnus an Johannes den Täufer benannte, worin sie sich zufällig in ihrer natürlichen Reihenfolge vorfanden. Es waren dies die Noten; ut, re, mi, tu, sol, 1». Wie falsch diese Methode auch war, — denn da diese wenigen Töne nur eine sehr geringe Melodie enthielten, so sah man sich bald genöthigt, unter einem Namen mehrere Tone zu verstehen, was unendliche Verwirr¬ ungen herbeiführte, — so behauptete sie sich dennoch länger als fünfhundert Jahre. Von der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts an aber beginnt ein hartnäckiger Kampf dagegen, der bis in den Anfang des achtzehnten hinabdauerte, sVuttstedt und Matthesoül aber natürlich mit dem Sieg der vernünftigen Solmisation, welche auf die Octave sich gründet, endigte. Die Hauptstreiter in diesem Kampfe waren Belgier, nämlich Anselm von Flandern, Hubert Waelrant, der gelehrte PuteanuS; in Deutschland im Anfang des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/218>, abgerufen am 23.07.2024.