Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Tonumfang von zwei Octaven. Die chinesischen Damen spielen
gewöhnlich auf Blaseinstrumenten, wie z. B. Flöte und Flageolet.
Das Lieblingsinstrument der Männer hat am Meisten Aehnlichkeit
mit einer Guitarre. Wir wollen der Vollständigkeit halber noch
hinzufügen, daß das älteste Instrument der Chinesen, Namens
Bisem, die Form eines von 5 Löchern durchbohrten Eies hat,
wobei das Mundloch nicht mitgezählt ist. Pater Amyot behauptet,
Spuren seiner Eristenz MM Jahre vor Christus entdeckt zu haben.
Die religiöse Musik der Chinesen besteht hauptsächlich aus Pauken
und Glocken von allen Dimensionen.

Durch ein sonderbares Zusammentreffen ist die Tonleiter der
Chinesen fast dieselbe, deren man sich bedient, um die schottischen
Nationalmelodicn zu schreiben. Man hat sich davon überzeugt,
indem man die Gelegenheit hatte, einige Melodien zu prüfen,
welche von Reisenden, die das Mittelreich besucht haben, in euro¬
päischer Notenschrift mitgetheilt worden sind. Burney, der als
Engländer die schottischen Melodien gekannt hat, also eine Au¬
torität in diesem Punkte ist, hat zuerst auf diese Aehnlichkeit auf¬
merksam gemacht. Seiner Meinung nach ist die chinesische Ton¬
leiter durchaus dieselbe wie die schottische. Jedoch will er damit nicht
sagen, daß eine dieser Nationen ihr System der andern entlehnt
habe, was gegen alle Wahrscheinlichkeit ist, da die beiden Völker
unmöglich in Beziehungen zu einander gerathen sein können.
Dem englischen Schriftsteller jcheint nur diese Uebereinstimmung das
hohe Alter beider Systeme anzuzeigen. Er glaubt auch, daß diese
Gesänge weit natürlicher sind, als sie beim ersten Anblick scheinen;
und da sie ferner viel Aehnlichkeit mit den alten griechischen Melodien
haben, so kann man, seiner Ansicht nach, hieraus schließen, daß
diese Musik der Natur der Völker angemessen ist, so lange sie die
Einfachheit ihrer Sitten bewahren und die Kunst noch in ihrer
Kindheit ist.

Im chinesischen Drama spielt die Musik eine ziemlich bedeutende
Rolle: der Dichter ruft diese Kunst zu Hülse, wenn er den Paro-
rysmus der Leidenschaft erreichen will, und sucht durch sie den Sinn
der Worte zu verstärken. Auch bildet die Musik allein eine beson¬
dere Art von Schauspiel Sir. George Stauntsn erzählt, daß die
Gesandtschaft, zu der er gehörte, zu Taru in Cochinchina der Vor-


Tonumfang von zwei Octaven. Die chinesischen Damen spielen
gewöhnlich auf Blaseinstrumenten, wie z. B. Flöte und Flageolet.
Das Lieblingsinstrument der Männer hat am Meisten Aehnlichkeit
mit einer Guitarre. Wir wollen der Vollständigkeit halber noch
hinzufügen, daß das älteste Instrument der Chinesen, Namens
Bisem, die Form eines von 5 Löchern durchbohrten Eies hat,
wobei das Mundloch nicht mitgezählt ist. Pater Amyot behauptet,
Spuren seiner Eristenz MM Jahre vor Christus entdeckt zu haben.
Die religiöse Musik der Chinesen besteht hauptsächlich aus Pauken
und Glocken von allen Dimensionen.

Durch ein sonderbares Zusammentreffen ist die Tonleiter der
Chinesen fast dieselbe, deren man sich bedient, um die schottischen
Nationalmelodicn zu schreiben. Man hat sich davon überzeugt,
indem man die Gelegenheit hatte, einige Melodien zu prüfen,
welche von Reisenden, die das Mittelreich besucht haben, in euro¬
päischer Notenschrift mitgetheilt worden sind. Burney, der als
Engländer die schottischen Melodien gekannt hat, also eine Au¬
torität in diesem Punkte ist, hat zuerst auf diese Aehnlichkeit auf¬
merksam gemacht. Seiner Meinung nach ist die chinesische Ton¬
leiter durchaus dieselbe wie die schottische. Jedoch will er damit nicht
sagen, daß eine dieser Nationen ihr System der andern entlehnt
habe, was gegen alle Wahrscheinlichkeit ist, da die beiden Völker
unmöglich in Beziehungen zu einander gerathen sein können.
Dem englischen Schriftsteller jcheint nur diese Uebereinstimmung das
hohe Alter beider Systeme anzuzeigen. Er glaubt auch, daß diese
Gesänge weit natürlicher sind, als sie beim ersten Anblick scheinen;
und da sie ferner viel Aehnlichkeit mit den alten griechischen Melodien
haben, so kann man, seiner Ansicht nach, hieraus schließen, daß
diese Musik der Natur der Völker angemessen ist, so lange sie die
Einfachheit ihrer Sitten bewahren und die Kunst noch in ihrer
Kindheit ist.

Im chinesischen Drama spielt die Musik eine ziemlich bedeutende
Rolle: der Dichter ruft diese Kunst zu Hülse, wenn er den Paro-
rysmus der Leidenschaft erreichen will, und sucht durch sie den Sinn
der Worte zu verstärken. Auch bildet die Musik allein eine beson¬
dere Art von Schauspiel Sir. George Stauntsn erzählt, daß die
Gesandtschaft, zu der er gehörte, zu Taru in Cochinchina der Vor-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0197" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266814"/>
          <p xml:id="ID_520" prev="#ID_519"> Tonumfang von zwei Octaven. Die chinesischen Damen spielen<lb/>
gewöhnlich auf Blaseinstrumenten, wie z. B. Flöte und Flageolet.<lb/>
Das Lieblingsinstrument der Männer hat am Meisten Aehnlichkeit<lb/>
mit einer Guitarre. Wir wollen der Vollständigkeit halber noch<lb/>
hinzufügen, daß das älteste Instrument der Chinesen, Namens<lb/>
Bisem, die Form eines von 5 Löchern durchbohrten Eies hat,<lb/>
wobei das Mundloch nicht mitgezählt ist. Pater Amyot behauptet,<lb/>
Spuren seiner Eristenz MM Jahre vor Christus entdeckt zu haben.<lb/>
Die religiöse Musik der Chinesen besteht hauptsächlich aus Pauken<lb/>
und Glocken von allen Dimensionen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_521"> Durch ein sonderbares Zusammentreffen ist die Tonleiter der<lb/>
Chinesen fast dieselbe, deren man sich bedient, um die schottischen<lb/>
Nationalmelodicn zu schreiben. Man hat sich davon überzeugt,<lb/>
indem man die Gelegenheit hatte, einige Melodien zu prüfen,<lb/>
welche von Reisenden, die das Mittelreich besucht haben, in euro¬<lb/>
päischer Notenschrift mitgetheilt worden sind. Burney, der als<lb/>
Engländer die schottischen Melodien gekannt hat, also eine Au¬<lb/>
torität in diesem Punkte ist, hat zuerst auf diese Aehnlichkeit auf¬<lb/>
merksam gemacht. Seiner Meinung nach ist die chinesische Ton¬<lb/>
leiter durchaus dieselbe wie die schottische. Jedoch will er damit nicht<lb/>
sagen, daß eine dieser Nationen ihr System der andern entlehnt<lb/>
habe, was gegen alle Wahrscheinlichkeit ist, da die beiden Völker<lb/>
unmöglich in Beziehungen zu einander gerathen sein können.<lb/>
Dem englischen Schriftsteller jcheint nur diese Uebereinstimmung das<lb/>
hohe Alter beider Systeme anzuzeigen. Er glaubt auch, daß diese<lb/>
Gesänge weit natürlicher sind, als sie beim ersten Anblick scheinen;<lb/>
und da sie ferner viel Aehnlichkeit mit den alten griechischen Melodien<lb/>
haben, so kann man, seiner Ansicht nach, hieraus schließen, daß<lb/>
diese Musik der Natur der Völker angemessen ist, so lange sie die<lb/>
Einfachheit ihrer Sitten bewahren und die Kunst noch in ihrer<lb/>
Kindheit ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_522" next="#ID_523"> Im chinesischen Drama spielt die Musik eine ziemlich bedeutende<lb/>
Rolle: der Dichter ruft diese Kunst zu Hülse, wenn er den Paro-<lb/>
rysmus der Leidenschaft erreichen will, und sucht durch sie den Sinn<lb/>
der Worte zu verstärken. Auch bildet die Musik allein eine beson¬<lb/>
dere Art von Schauspiel Sir. George Stauntsn erzählt, daß die<lb/>
Gesandtschaft, zu der er gehörte, zu Taru in Cochinchina der Vor-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0197] Tonumfang von zwei Octaven. Die chinesischen Damen spielen gewöhnlich auf Blaseinstrumenten, wie z. B. Flöte und Flageolet. Das Lieblingsinstrument der Männer hat am Meisten Aehnlichkeit mit einer Guitarre. Wir wollen der Vollständigkeit halber noch hinzufügen, daß das älteste Instrument der Chinesen, Namens Bisem, die Form eines von 5 Löchern durchbohrten Eies hat, wobei das Mundloch nicht mitgezählt ist. Pater Amyot behauptet, Spuren seiner Eristenz MM Jahre vor Christus entdeckt zu haben. Die religiöse Musik der Chinesen besteht hauptsächlich aus Pauken und Glocken von allen Dimensionen. Durch ein sonderbares Zusammentreffen ist die Tonleiter der Chinesen fast dieselbe, deren man sich bedient, um die schottischen Nationalmelodicn zu schreiben. Man hat sich davon überzeugt, indem man die Gelegenheit hatte, einige Melodien zu prüfen, welche von Reisenden, die das Mittelreich besucht haben, in euro¬ päischer Notenschrift mitgetheilt worden sind. Burney, der als Engländer die schottischen Melodien gekannt hat, also eine Au¬ torität in diesem Punkte ist, hat zuerst auf diese Aehnlichkeit auf¬ merksam gemacht. Seiner Meinung nach ist die chinesische Ton¬ leiter durchaus dieselbe wie die schottische. Jedoch will er damit nicht sagen, daß eine dieser Nationen ihr System der andern entlehnt habe, was gegen alle Wahrscheinlichkeit ist, da die beiden Völker unmöglich in Beziehungen zu einander gerathen sein können. Dem englischen Schriftsteller jcheint nur diese Uebereinstimmung das hohe Alter beider Systeme anzuzeigen. Er glaubt auch, daß diese Gesänge weit natürlicher sind, als sie beim ersten Anblick scheinen; und da sie ferner viel Aehnlichkeit mit den alten griechischen Melodien haben, so kann man, seiner Ansicht nach, hieraus schließen, daß diese Musik der Natur der Völker angemessen ist, so lange sie die Einfachheit ihrer Sitten bewahren und die Kunst noch in ihrer Kindheit ist. Im chinesischen Drama spielt die Musik eine ziemlich bedeutende Rolle: der Dichter ruft diese Kunst zu Hülse, wenn er den Paro- rysmus der Leidenschaft erreichen will, und sucht durch sie den Sinn der Worte zu verstärken. Auch bildet die Musik allein eine beson¬ dere Art von Schauspiel Sir. George Stauntsn erzählt, daß die Gesandtschaft, zu der er gehörte, zu Taru in Cochinchina der Vor-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/197
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/197>, abgerufen am 23.07.2024.