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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Musikstück gehört, dieses einen solchen Eindruck auf ihn gemacht,
daß er länger als drei Monate an nichts Andres zu denken ver¬
mochte, und daß während dieser Zeit selbst die ausgesuchtesten Ge¬
richte nicht im Stande waren, seinem Geschmacke Beifall abzuge¬
winnen. .... Nachdem Hoangti das Reich erobert hatte, wollte
er auf die langen Kriege, welche seine Unterthanen ertragen hatten,
die Wohlthaten des Friedens folgen lassen und denselben sichern, in¬
dem er die schönen Künste und deren Cultur in seinem Reiche be¬
förderte. Er ließ daher Ling-Lun, einen der Großen seines Hofes,
rufen und bat ihn, eine Theorie der Musik auszuarbeiten, indem er
ihm bemerkte, daß falls jener diesem Wunsche nachzukommen unter¬
ließe, er sich in die harte Nothwendigkeit verseht sehen würde, ihm
Zunge und Ohren abschneiven zu lassen. Ling-Lun wurden durch
dieses letzte Argument seines huldvoller Kaisers alle Einwendungen
erspart, die er gegen diesen Auftrag machen wollte, so wie alle Be¬
merkungen über die Schwierigkeit, eine Wissenschaft zu begründen,
deren Theorie so verwickelt sei. Er beschloß also die Elemente der
Kunst zu studiren und trat zu diesem Behufe eine lange Reise an.

Er hatte sich vom Hofe zunächst in die Gegend von Si-jung
im Nordwesten von China begeben. Hier wachsen aus einem hohen
Gebirg die schönsten Bambusrohre. Nun ist der Bambus bekannt"
lich in seiner Länge durch mehrere Knoten zertheilt, wodurch jedes
Rohr in eben so viele, mit einander nicht in Zusammenhang stehende
Röhre getheilt wird. Ling-Lun erging sich im Gebirge, beschäftigt mit
den Gedanken, wie er seine Zunge und Ohren behalten könne; denn
er hatte die Schwachheit, auf diese Theile seines Kopfes viel zu hal¬
ten. Vergebens aber strengte er sein Gehirn an; er sand auch nicht
eine einzige Idee. Die Nothwendigkeit, Genie zu haben, machte ihn
natürlich zum Dummkopf. Während er so betrübt ging, brach er
ein Bambusrohr ab, schnitt zwischen zwei Knoten eine der Rohren
ab, aus denen der Stab bestand, reinigte diese Röhre von ihrem
Marke und blies sodann hinein; -- Alles aus Zerstreuung. Man
denke sich sein Erstaunen, als er dem Rohre einen Ton entlockte, der
ihm den Ton seiner Stimme vollkommen zu gleichen schien. Ling-
Lun wandte sein Gesicht nach Norden, und warf sich zur Erde, um
die Gottheit dankbar anzubeten. Kaum hatte er nach der ersten Ent¬
deckung sich zwanzig Schritte weiter bewegt, als er sich in der Nähe


Musikstück gehört, dieses einen solchen Eindruck auf ihn gemacht,
daß er länger als drei Monate an nichts Andres zu denken ver¬
mochte, und daß während dieser Zeit selbst die ausgesuchtesten Ge¬
richte nicht im Stande waren, seinem Geschmacke Beifall abzuge¬
winnen. .... Nachdem Hoangti das Reich erobert hatte, wollte
er auf die langen Kriege, welche seine Unterthanen ertragen hatten,
die Wohlthaten des Friedens folgen lassen und denselben sichern, in¬
dem er die schönen Künste und deren Cultur in seinem Reiche be¬
förderte. Er ließ daher Ling-Lun, einen der Großen seines Hofes,
rufen und bat ihn, eine Theorie der Musik auszuarbeiten, indem er
ihm bemerkte, daß falls jener diesem Wunsche nachzukommen unter¬
ließe, er sich in die harte Nothwendigkeit verseht sehen würde, ihm
Zunge und Ohren abschneiven zu lassen. Ling-Lun wurden durch
dieses letzte Argument seines huldvoller Kaisers alle Einwendungen
erspart, die er gegen diesen Auftrag machen wollte, so wie alle Be¬
merkungen über die Schwierigkeit, eine Wissenschaft zu begründen,
deren Theorie so verwickelt sei. Er beschloß also die Elemente der
Kunst zu studiren und trat zu diesem Behufe eine lange Reise an.

Er hatte sich vom Hofe zunächst in die Gegend von Si-jung
im Nordwesten von China begeben. Hier wachsen aus einem hohen
Gebirg die schönsten Bambusrohre. Nun ist der Bambus bekannt»
lich in seiner Länge durch mehrere Knoten zertheilt, wodurch jedes
Rohr in eben so viele, mit einander nicht in Zusammenhang stehende
Röhre getheilt wird. Ling-Lun erging sich im Gebirge, beschäftigt mit
den Gedanken, wie er seine Zunge und Ohren behalten könne; denn
er hatte die Schwachheit, auf diese Theile seines Kopfes viel zu hal¬
ten. Vergebens aber strengte er sein Gehirn an; er sand auch nicht
eine einzige Idee. Die Nothwendigkeit, Genie zu haben, machte ihn
natürlich zum Dummkopf. Während er so betrübt ging, brach er
ein Bambusrohr ab, schnitt zwischen zwei Knoten eine der Rohren
ab, aus denen der Stab bestand, reinigte diese Röhre von ihrem
Marke und blies sodann hinein; — Alles aus Zerstreuung. Man
denke sich sein Erstaunen, als er dem Rohre einen Ton entlockte, der
ihm den Ton seiner Stimme vollkommen zu gleichen schien. Ling-
Lun wandte sein Gesicht nach Norden, und warf sich zur Erde, um
die Gottheit dankbar anzubeten. Kaum hatte er nach der ersten Ent¬
deckung sich zwanzig Schritte weiter bewegt, als er sich in der Nähe


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[0190] Musikstück gehört, dieses einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß er länger als drei Monate an nichts Andres zu denken ver¬ mochte, und daß während dieser Zeit selbst die ausgesuchtesten Ge¬ richte nicht im Stande waren, seinem Geschmacke Beifall abzuge¬ winnen. .... Nachdem Hoangti das Reich erobert hatte, wollte er auf die langen Kriege, welche seine Unterthanen ertragen hatten, die Wohlthaten des Friedens folgen lassen und denselben sichern, in¬ dem er die schönen Künste und deren Cultur in seinem Reiche be¬ förderte. Er ließ daher Ling-Lun, einen der Großen seines Hofes, rufen und bat ihn, eine Theorie der Musik auszuarbeiten, indem er ihm bemerkte, daß falls jener diesem Wunsche nachzukommen unter¬ ließe, er sich in die harte Nothwendigkeit verseht sehen würde, ihm Zunge und Ohren abschneiven zu lassen. Ling-Lun wurden durch dieses letzte Argument seines huldvoller Kaisers alle Einwendungen erspart, die er gegen diesen Auftrag machen wollte, so wie alle Be¬ merkungen über die Schwierigkeit, eine Wissenschaft zu begründen, deren Theorie so verwickelt sei. Er beschloß also die Elemente der Kunst zu studiren und trat zu diesem Behufe eine lange Reise an. Er hatte sich vom Hofe zunächst in die Gegend von Si-jung im Nordwesten von China begeben. Hier wachsen aus einem hohen Gebirg die schönsten Bambusrohre. Nun ist der Bambus bekannt» lich in seiner Länge durch mehrere Knoten zertheilt, wodurch jedes Rohr in eben so viele, mit einander nicht in Zusammenhang stehende Röhre getheilt wird. Ling-Lun erging sich im Gebirge, beschäftigt mit den Gedanken, wie er seine Zunge und Ohren behalten könne; denn er hatte die Schwachheit, auf diese Theile seines Kopfes viel zu hal¬ ten. Vergebens aber strengte er sein Gehirn an; er sand auch nicht eine einzige Idee. Die Nothwendigkeit, Genie zu haben, machte ihn natürlich zum Dummkopf. Während er so betrübt ging, brach er ein Bambusrohr ab, schnitt zwischen zwei Knoten eine der Rohren ab, aus denen der Stab bestand, reinigte diese Röhre von ihrem Marke und blies sodann hinein; — Alles aus Zerstreuung. Man denke sich sein Erstaunen, als er dem Rohre einen Ton entlockte, der ihm den Ton seiner Stimme vollkommen zu gleichen schien. Ling- Lun wandte sein Gesicht nach Norden, und warf sich zur Erde, um die Gottheit dankbar anzubeten. Kaum hatte er nach der ersten Ent¬ deckung sich zwanzig Schritte weiter bewegt, als er sich in der Nähe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/190>, abgerufen am 23.07.2024.