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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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bedeutend vorteilhafterer Platz gewonnen. Wir hören auf, oder
sollten eS wenigstens thun, die Chinesen für die überaus lächerlichen
Personen zu halten, zu denen sie bisher ein unbegründetes Volksvor¬
urtheil gestempelt. Alles, was zur Gewinnung einer richtigen Idee
von der Verstandes- und Geistes-Bildung dieses so bedeutenden
Volkes beitragen kann, hat daher den Werth einer culturhistorischen
Studie, von welchem Standpunkte aus auch die folgenden Seiten
über die chinesische Musik angesehen und beurtheilt sein wollen.
Da sie obendrein auch noch das Interesse einer Tageöneuigkeit ha¬
ben, so glauben wir den Lesern dieser Blätter keine unpassende noch
unwillkommne Gabe damit zu bieten.

Die Chinesen schreiben der Musik einen sehr alten Ursprung
zu. Sie nennen als deren Erfinder Fo-Hi, ihren ersten Fürsten;
nach Einigen ein Zeitgenosse Noah'S, nach andern Noah selbst.
Fo-Hi hatte eine schone Lyra und eine Guitarre gebaut, welche eine
erhabene Harmonie hervorbrachten, die Leidenschaften bändigten, den
Menschen tugendhaft machten und ihn bis zu den himmlischen Klar¬
heiten emporhoben. Nicht minder geschickt als Orpheus und
Amphion, entlockten die chinesischen Musiker-Philosophen ihren In¬
strumenten Töne, wodurch sie die wilden Thiere zu zähmen und die
Sitten der Menschen, welche oft noch wilder, als die Bestien waren,
zu mildern vermochten. "Wenn ich die klangvollen Steine meines
King ertönen lasse, reihen sich die Thiere um mich her und hüpfen
vor Freude." So sprach der berühmte Könnet mehr als tausend
Jahre vor der Geburt des thrakischen Sängers. Nach der Meinung
der gelehrten Chinesen aller Zeiten, hatte die alte Musik die Macht,
die höheren Geister des Himmels zum Niedersteigen auf die Erde
zu bewegen; sie konnte die Schatten der verblichenen Menschen aus
der Gruft'emporbannensie flößte den Menschen die Liebe zur Tu¬
gend ein und kräftigte sie in der Ausübung ihrer Pflichten. "Will
man wissen, ob ein Königreich gut regiert wird, ob die Sitten der
Bewohner gut oder schlecht sind, so prüfe man die bei ihnen herrschende
Musik." So sprach Confucius, der hei.lige Lehrer, der Weise,
wie ihn die Chinesen per "-xceüencv nennen, lange vor Plato, der
unwissentlich nur seine Worte wiederholte. Man erzählt übrigens
von demselben chinesischen Philosophen, daß, nachdem er eines Tages
auf einer seiner Reisen ein von dem großen Könnet componirteS


bedeutend vorteilhafterer Platz gewonnen. Wir hören auf, oder
sollten eS wenigstens thun, die Chinesen für die überaus lächerlichen
Personen zu halten, zu denen sie bisher ein unbegründetes Volksvor¬
urtheil gestempelt. Alles, was zur Gewinnung einer richtigen Idee
von der Verstandes- und Geistes-Bildung dieses so bedeutenden
Volkes beitragen kann, hat daher den Werth einer culturhistorischen
Studie, von welchem Standpunkte aus auch die folgenden Seiten
über die chinesische Musik angesehen und beurtheilt sein wollen.
Da sie obendrein auch noch das Interesse einer Tageöneuigkeit ha¬
ben, so glauben wir den Lesern dieser Blätter keine unpassende noch
unwillkommne Gabe damit zu bieten.

Die Chinesen schreiben der Musik einen sehr alten Ursprung
zu. Sie nennen als deren Erfinder Fo-Hi, ihren ersten Fürsten;
nach Einigen ein Zeitgenosse Noah'S, nach andern Noah selbst.
Fo-Hi hatte eine schone Lyra und eine Guitarre gebaut, welche eine
erhabene Harmonie hervorbrachten, die Leidenschaften bändigten, den
Menschen tugendhaft machten und ihn bis zu den himmlischen Klar¬
heiten emporhoben. Nicht minder geschickt als Orpheus und
Amphion, entlockten die chinesischen Musiker-Philosophen ihren In¬
strumenten Töne, wodurch sie die wilden Thiere zu zähmen und die
Sitten der Menschen, welche oft noch wilder, als die Bestien waren,
zu mildern vermochten. „Wenn ich die klangvollen Steine meines
King ertönen lasse, reihen sich die Thiere um mich her und hüpfen
vor Freude." So sprach der berühmte Könnet mehr als tausend
Jahre vor der Geburt des thrakischen Sängers. Nach der Meinung
der gelehrten Chinesen aller Zeiten, hatte die alte Musik die Macht,
die höheren Geister des Himmels zum Niedersteigen auf die Erde
zu bewegen; sie konnte die Schatten der verblichenen Menschen aus
der Gruft'emporbannensie flößte den Menschen die Liebe zur Tu¬
gend ein und kräftigte sie in der Ausübung ihrer Pflichten. „Will
man wissen, ob ein Königreich gut regiert wird, ob die Sitten der
Bewohner gut oder schlecht sind, so prüfe man die bei ihnen herrschende
Musik." So sprach Confucius, der hei.lige Lehrer, der Weise,
wie ihn die Chinesen per «-xceüencv nennen, lange vor Plato, der
unwissentlich nur seine Worte wiederholte. Man erzählt übrigens
von demselben chinesischen Philosophen, daß, nachdem er eines Tages
auf einer seiner Reisen ein von dem großen Könnet componirteS


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[0189] bedeutend vorteilhafterer Platz gewonnen. Wir hören auf, oder sollten eS wenigstens thun, die Chinesen für die überaus lächerlichen Personen zu halten, zu denen sie bisher ein unbegründetes Volksvor¬ urtheil gestempelt. Alles, was zur Gewinnung einer richtigen Idee von der Verstandes- und Geistes-Bildung dieses so bedeutenden Volkes beitragen kann, hat daher den Werth einer culturhistorischen Studie, von welchem Standpunkte aus auch die folgenden Seiten über die chinesische Musik angesehen und beurtheilt sein wollen. Da sie obendrein auch noch das Interesse einer Tageöneuigkeit ha¬ ben, so glauben wir den Lesern dieser Blätter keine unpassende noch unwillkommne Gabe damit zu bieten. Die Chinesen schreiben der Musik einen sehr alten Ursprung zu. Sie nennen als deren Erfinder Fo-Hi, ihren ersten Fürsten; nach Einigen ein Zeitgenosse Noah'S, nach andern Noah selbst. Fo-Hi hatte eine schone Lyra und eine Guitarre gebaut, welche eine erhabene Harmonie hervorbrachten, die Leidenschaften bändigten, den Menschen tugendhaft machten und ihn bis zu den himmlischen Klar¬ heiten emporhoben. Nicht minder geschickt als Orpheus und Amphion, entlockten die chinesischen Musiker-Philosophen ihren In¬ strumenten Töne, wodurch sie die wilden Thiere zu zähmen und die Sitten der Menschen, welche oft noch wilder, als die Bestien waren, zu mildern vermochten. „Wenn ich die klangvollen Steine meines King ertönen lasse, reihen sich die Thiere um mich her und hüpfen vor Freude." So sprach der berühmte Könnet mehr als tausend Jahre vor der Geburt des thrakischen Sängers. Nach der Meinung der gelehrten Chinesen aller Zeiten, hatte die alte Musik die Macht, die höheren Geister des Himmels zum Niedersteigen auf die Erde zu bewegen; sie konnte die Schatten der verblichenen Menschen aus der Gruft'emporbannensie flößte den Menschen die Liebe zur Tu¬ gend ein und kräftigte sie in der Ausübung ihrer Pflichten. „Will man wissen, ob ein Königreich gut regiert wird, ob die Sitten der Bewohner gut oder schlecht sind, so prüfe man die bei ihnen herrschende Musik." So sprach Confucius, der hei.lige Lehrer, der Weise, wie ihn die Chinesen per «-xceüencv nennen, lange vor Plato, der unwissentlich nur seine Worte wiederholte. Man erzählt übrigens von demselben chinesischen Philosophen, daß, nachdem er eines Tages auf einer seiner Reisen ein von dem großen Könnet componirteS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/189>, abgerufen am 23.07.2024.