Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.des Ortes befand, wo die Quelle deö Flusses Hoang-Ho entspringt. Um hierüber behaglicher sich einem reiflicher Nachdenken zu des Ortes befand, wo die Quelle deö Flusses Hoang-Ho entspringt. Um hierüber behaglicher sich einem reiflicher Nachdenken zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0191" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266808"/> <p xml:id="ID_502" prev="#ID_501"> des Ortes befand, wo die Quelle deö Flusses Hoang-Ho entspringt.<lb/> Das Wasser quoll mit Kraft aus dem Gebirge hervor und das<lb/> Geräusch, welches sein Brausen hervorbrachte, war wunderbarer<lb/> Weise im Einklang mit dem Tone, den er dem Bambusrohre ent¬<lb/> lockt hatte. „Dieses also," rief er entzückt, „ist der Grundton der<lb/> Natur; von diesem müssen alle anderen Tone entspringenI Aber"—<lb/> uno hier begann eine neue Sorgcnreihe für ihn — „auf welche<lb/> Weise kann dieß geschehen?"</p><lb/> <p xml:id="ID_503" next="#ID_504"> Um hierüber behaglicher sich einem reiflicher Nachdenken zu<lb/> überlassen, legte sich Ling-Lun im Schatten eines Baumes nieder,<lb/> und von der Anstrengung seiner körperlichen und geistigen Thätig¬<lb/> keit gleich sehr ermüdet, schlief er ein. Aber sein Schlaf war un¬<lb/> ruhig und dauerte nur kurz; denn ihn quälte ein Traum, in wel¬<lb/> chem er lange Reihen von Ohren und Zungen an sich vorbeiziehen<lb/> sah. Von diesem peinlichen Eindruck ward er durch einen andern<lb/> überaus angenehmen erlöst. Der wunderbare Vogel Toung-Hoang<lb/> nämlich hatte sich mit seinem Weibchen auf die Zweige des Bau¬<lb/> mes, unter welchem er ruhte, niedergelassen. Nach einem Aberglau¬<lb/> ben der Chinesen zeigt sich dieser Vogel den Menschen nur, um<lb/> ihnen eine Wohlthat des Himmels zu verkünden. Sobald er be¬<lb/> merkte, Ling-Lun sei bereit ihn anzuhören, schlug er drei Mal mit<lb/> seinen Flügeln und ließ dann zugleich mit seinem Weibchen die ent¬<lb/> zückendsten Töne selner Stimme laut werden. Alle andern Vögel<lb/> verstummten, die Jnsecten hörten auf zu Sumsen und die ganze Na¬<lb/> tur schien schweigend zu lauschen. Ling-Lun war außer sich vor<lb/> Vergnügen, wußte aber bald seinen Enthusiasmus so weit zu be¬<lb/> herrschen, daß er, sich gänzlich seiner Rolle als Beobachter über¬<lb/> lassen konnte. Bei aufmerksamem Zuhören unterschied er sehr bald<lb/> in dem Gezwitscher der beiden Vögel zwölf Tone, von denen das<lb/> Männchen und das Weibchen, jedes sechs, hören ließen. Das Selt¬<lb/> samste bei der Sache war, daß der erste Ton, den das Männchen<lb/> von sich gab, mit der Stimme Ling-Lun'S, dem Tone des Bambus<lb/> und dem Geräusch der Quelle des Flusses H o arg-h o übereinstimmte.<lb/> Ling-Lun schloß hieraus ein zweites Mal, daß dies der Grundron<lb/> sei und daß man von diesem ausgehen müsse, um die übrigen und<lb/> das ganze musikalische System zu finden. Er kehrte nun zu dem<lb/> Gebirge zurück, wo die Bambus wuchsen und schnitt sich zwölf</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0191]
des Ortes befand, wo die Quelle deö Flusses Hoang-Ho entspringt.
Das Wasser quoll mit Kraft aus dem Gebirge hervor und das
Geräusch, welches sein Brausen hervorbrachte, war wunderbarer
Weise im Einklang mit dem Tone, den er dem Bambusrohre ent¬
lockt hatte. „Dieses also," rief er entzückt, „ist der Grundton der
Natur; von diesem müssen alle anderen Tone entspringenI Aber"—
uno hier begann eine neue Sorgcnreihe für ihn — „auf welche
Weise kann dieß geschehen?"
Um hierüber behaglicher sich einem reiflicher Nachdenken zu
überlassen, legte sich Ling-Lun im Schatten eines Baumes nieder,
und von der Anstrengung seiner körperlichen und geistigen Thätig¬
keit gleich sehr ermüdet, schlief er ein. Aber sein Schlaf war un¬
ruhig und dauerte nur kurz; denn ihn quälte ein Traum, in wel¬
chem er lange Reihen von Ohren und Zungen an sich vorbeiziehen
sah. Von diesem peinlichen Eindruck ward er durch einen andern
überaus angenehmen erlöst. Der wunderbare Vogel Toung-Hoang
nämlich hatte sich mit seinem Weibchen auf die Zweige des Bau¬
mes, unter welchem er ruhte, niedergelassen. Nach einem Aberglau¬
ben der Chinesen zeigt sich dieser Vogel den Menschen nur, um
ihnen eine Wohlthat des Himmels zu verkünden. Sobald er be¬
merkte, Ling-Lun sei bereit ihn anzuhören, schlug er drei Mal mit
seinen Flügeln und ließ dann zugleich mit seinem Weibchen die ent¬
zückendsten Töne selner Stimme laut werden. Alle andern Vögel
verstummten, die Jnsecten hörten auf zu Sumsen und die ganze Na¬
tur schien schweigend zu lauschen. Ling-Lun war außer sich vor
Vergnügen, wußte aber bald seinen Enthusiasmus so weit zu be¬
herrschen, daß er, sich gänzlich seiner Rolle als Beobachter über¬
lassen konnte. Bei aufmerksamem Zuhören unterschied er sehr bald
in dem Gezwitscher der beiden Vögel zwölf Tone, von denen das
Männchen und das Weibchen, jedes sechs, hören ließen. Das Selt¬
samste bei der Sache war, daß der erste Ton, den das Männchen
von sich gab, mit der Stimme Ling-Lun'S, dem Tone des Bambus
und dem Geräusch der Quelle des Flusses H o arg-h o übereinstimmte.
Ling-Lun schloß hieraus ein zweites Mal, daß dies der Grundron
sei und daß man von diesem ausgehen müsse, um die übrigen und
das ganze musikalische System zu finden. Er kehrte nun zu dem
Gebirge zurück, wo die Bambus wuchsen und schnitt sich zwölf
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