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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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derselben, wird mancher Spötter sagen -- gefällt es unsrer lieben
Gesundheit zuweilen, sich zu derangiren; wir müssen dann zum Arzt
und Apotheker unsre Zuflucht nehmen und diese Herrn, nebst dem
Gefolge ihrer Tränkchen, Pulver :e. in. kosten ein Jahr ums andre
gerechnet, etwa 24 Thaler, monatlich also 2 Thlr., täglich 2 Sgr.
oder stündlich ........ I Pf.

Solchergestalt kosten also die Mittel zur Erhaltung unsrer Ge¬
sundheit 9 mal so viel als die zur Wiederherstellung derselben: und
doch mißbrauchen wir die ersteren gar oft, während man von der
letzteren selten einen andern, als einen überaus mäßigen Gebrauch
machen sieht. Freilich sind jene auch sehr angenehm, letztere dagegen
meist bitter und gesalzen.

Wir haben also nun enolich den Menschen in all den mate¬
riellen Bedürfnissen betrachtet, die seine sterbliche Hülle erfordert.
Er wohnt anständig, ißt und trinkt gut, trägt schone Kleider, wird
-- je nachdem ihn das Glück begünstigt -- gut oder schlecht bedient
und befindet sich leiblich wohl. . . . Was fehlt ihm nun noch?

Keiner meiner Leser, das bin ich vorauszusetzen berechtigt, wird
mir antworten: Nichts; im Gegentheil glaube ich fast annehmen
zu dürfen, daß der größere Theil derselben mich hier ungeduldig
erwartet, indem ich jetzt nothwendig in den 2ten Theil meiner Be¬
rechnung eingehen muß, der die moralischen Bedürfnisse betrifft, die
wir unter geistiges Amüsement und fortschreitende Beleh¬
rung oben classificirt haben. Denn daS kann billigerweise Niemand
verlangen, daß wir berechnen sollen, was einen Rentier irgend eine
tägliche Beschäftigung kosten kann, der er sich außer dem Gebiete
der Belehrung vielleicht ergiebt, etwa Actionnair eines Theaters,
Journals oder einer Eisenbahn zu sein u. s. w. Das streift
in's commercielle Gebiet, denn das erfordert eine Capitaleinlage und
bringt auch wieder Capitalien, das geht uns also nichts an.

Belehrung also! Darin ist wohl Jedermann mit mir einver¬
standen, daß die Erziehung, die uns in Elementarschulen unter der
Herrschaft der Magister-Bakel, in Gymnasien unter der Tyran¬
nei der Strafarbeiten und deS Arrestes, auf Universitäten unter der
drohenden Angst des Staatseramens zu Theil wird, zwar sehr
wesentliche Bestandtheile einer vollständigen Erziehung sind, aber
nothwendig noch ein Complement erfordern, das uns erst durch den


derselben, wird mancher Spötter sagen — gefällt es unsrer lieben
Gesundheit zuweilen, sich zu derangiren; wir müssen dann zum Arzt
und Apotheker unsre Zuflucht nehmen und diese Herrn, nebst dem
Gefolge ihrer Tränkchen, Pulver :e. in. kosten ein Jahr ums andre
gerechnet, etwa 24 Thaler, monatlich also 2 Thlr., täglich 2 Sgr.
oder stündlich ........ I Pf.

Solchergestalt kosten also die Mittel zur Erhaltung unsrer Ge¬
sundheit 9 mal so viel als die zur Wiederherstellung derselben: und
doch mißbrauchen wir die ersteren gar oft, während man von der
letzteren selten einen andern, als einen überaus mäßigen Gebrauch
machen sieht. Freilich sind jene auch sehr angenehm, letztere dagegen
meist bitter und gesalzen.

Wir haben also nun enolich den Menschen in all den mate¬
riellen Bedürfnissen betrachtet, die seine sterbliche Hülle erfordert.
Er wohnt anständig, ißt und trinkt gut, trägt schone Kleider, wird
— je nachdem ihn das Glück begünstigt — gut oder schlecht bedient
und befindet sich leiblich wohl. . . . Was fehlt ihm nun noch?

Keiner meiner Leser, das bin ich vorauszusetzen berechtigt, wird
mir antworten: Nichts; im Gegentheil glaube ich fast annehmen
zu dürfen, daß der größere Theil derselben mich hier ungeduldig
erwartet, indem ich jetzt nothwendig in den 2ten Theil meiner Be¬
rechnung eingehen muß, der die moralischen Bedürfnisse betrifft, die
wir unter geistiges Amüsement und fortschreitende Beleh¬
rung oben classificirt haben. Denn daS kann billigerweise Niemand
verlangen, daß wir berechnen sollen, was einen Rentier irgend eine
tägliche Beschäftigung kosten kann, der er sich außer dem Gebiete
der Belehrung vielleicht ergiebt, etwa Actionnair eines Theaters,
Journals oder einer Eisenbahn zu sein u. s. w. Das streift
in's commercielle Gebiet, denn das erfordert eine Capitaleinlage und
bringt auch wieder Capitalien, das geht uns also nichts an.

Belehrung also! Darin ist wohl Jedermann mit mir einver¬
standen, daß die Erziehung, die uns in Elementarschulen unter der
Herrschaft der Magister-Bakel, in Gymnasien unter der Tyran¬
nei der Strafarbeiten und deS Arrestes, auf Universitäten unter der
drohenden Angst des Staatseramens zu Theil wird, zwar sehr
wesentliche Bestandtheile einer vollständigen Erziehung sind, aber
nothwendig noch ein Complement erfordern, das uns erst durch den


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[0185] derselben, wird mancher Spötter sagen — gefällt es unsrer lieben Gesundheit zuweilen, sich zu derangiren; wir müssen dann zum Arzt und Apotheker unsre Zuflucht nehmen und diese Herrn, nebst dem Gefolge ihrer Tränkchen, Pulver :e. in. kosten ein Jahr ums andre gerechnet, etwa 24 Thaler, monatlich also 2 Thlr., täglich 2 Sgr. oder stündlich ........ I Pf. Solchergestalt kosten also die Mittel zur Erhaltung unsrer Ge¬ sundheit 9 mal so viel als die zur Wiederherstellung derselben: und doch mißbrauchen wir die ersteren gar oft, während man von der letzteren selten einen andern, als einen überaus mäßigen Gebrauch machen sieht. Freilich sind jene auch sehr angenehm, letztere dagegen meist bitter und gesalzen. Wir haben also nun enolich den Menschen in all den mate¬ riellen Bedürfnissen betrachtet, die seine sterbliche Hülle erfordert. Er wohnt anständig, ißt und trinkt gut, trägt schone Kleider, wird — je nachdem ihn das Glück begünstigt — gut oder schlecht bedient und befindet sich leiblich wohl. . . . Was fehlt ihm nun noch? Keiner meiner Leser, das bin ich vorauszusetzen berechtigt, wird mir antworten: Nichts; im Gegentheil glaube ich fast annehmen zu dürfen, daß der größere Theil derselben mich hier ungeduldig erwartet, indem ich jetzt nothwendig in den 2ten Theil meiner Be¬ rechnung eingehen muß, der die moralischen Bedürfnisse betrifft, die wir unter geistiges Amüsement und fortschreitende Beleh¬ rung oben classificirt haben. Denn daS kann billigerweise Niemand verlangen, daß wir berechnen sollen, was einen Rentier irgend eine tägliche Beschäftigung kosten kann, der er sich außer dem Gebiete der Belehrung vielleicht ergiebt, etwa Actionnair eines Theaters, Journals oder einer Eisenbahn zu sein u. s. w. Das streift in's commercielle Gebiet, denn das erfordert eine Capitaleinlage und bringt auch wieder Capitalien, das geht uns also nichts an. Belehrung also! Darin ist wohl Jedermann mit mir einver¬ standen, daß die Erziehung, die uns in Elementarschulen unter der Herrschaft der Magister-Bakel, in Gymnasien unter der Tyran¬ nei der Strafarbeiten und deS Arrestes, auf Universitäten unter der drohenden Angst des Staatseramens zu Theil wird, zwar sehr wesentliche Bestandtheile einer vollständigen Erziehung sind, aber nothwendig noch ein Complement erfordern, das uns erst durch den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/185>, abgerufen am 23.07.2024.