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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Salz gesiebter Gyps, wovon man den Stein bekommen kann, zu¬
weilen selbst Jod, ein offenbares Gift, beides sehr schwer in'S Ge-
wicht fallende Dinge^). Statt Olivenöl verkaufen sie eine Mischung
von Mohnöl; unter den Farinzucker mischen sie nicht bloß Runkel¬
rüben- -- oder Kartoffelzucker, der doppelt so schwer ist, aber halb
so wenig Zuckergehalt hat, sondern auch häufig Kreide und ähnliche
Stoffe. Statt Soda und Potasche verkaufen diese Herrn ordinäres
Küchensalz, bei welcher einfachen Operation sie mehr als das Dop¬
pelte gewinnen. Ihre Chocolade besteht aus einem Zehntel Cacao
und neun Zehnteln rohem Fannzucker und geröstetem Gerstenmehl.
Ihre Seife wiegt doppelt, weil sie mit Salzwasser angefeuchtet ist;
ihr Branntewein ist erst durch Wasser seines Alcohvlgehaltes beraubt
und dann durch Gewürzinfusionen zu einem brennenden, die Ein¬
geweide zerreißenden Höllentranke umfabricirt worden. Doch ge¬
nug von diesen Leuten: sie sind nicht die einzigen, die uns bestehlen
und zugleich vergiften; ihre Genossen verdienen ebenfalls genannt zu
werden, damit man zu der Erkenntniß komme, ein wie unheilbar
tief zehrender Krebsschaden in unsrem socialen Leben dieser Mangel
an Ehrlichkeit ist und wie sehr es Noth thut, auf radicale Besse¬
rungsmittel zu denken.

Die Gemüsehändlerinnen sind wahre Giftmischerinnen; denn
um ihren mehrere Tage alten Waaren den Anschein von frischen zu
verleihen, wissen sie dieselben sehr schön grün zu färben; aber wie?
Nun, in kupfernen Gefäßen erzeugt sich ja so leicht Grünspan: man
lasse nur eine Nacht in freier Lust ein Gefäß mit Wasser stehen
und werfe allenfalls, um seiner Sache ganz sicher zu sein, einige
Kupfermünzen hinein; am andern Morgen lege man einige Stun¬
den den Kohl, Spinat oder andres Gemüse in dieses Gefäß mit
Wasser, und es erhält aus der Außenseite das schönste Grün.

Die Bäcker ihrerseits begnügen sich nicht, Bohnen- und Kar¬
toffelmehl unter das Weizenmehl zu mischen und ihrem Brod nicht
das vorschriftsmäßige Gewicht zu geben: nein, sie haben auch so



*) Es ist dies) und alles Folgende nicht etwa übertrieben, sondern buchstäb¬
lich w'ahr. Die Pariser Blätter berichten fast alltäglich Bestrafungen der
Epiciers, Fleischer, Bäcker u. s. w. um solcher wissenschaftlichen Experimente
Anm. d. Verf. halber.

Salz gesiebter Gyps, wovon man den Stein bekommen kann, zu¬
weilen selbst Jod, ein offenbares Gift, beides sehr schwer in'S Ge-
wicht fallende Dinge^). Statt Olivenöl verkaufen sie eine Mischung
von Mohnöl; unter den Farinzucker mischen sie nicht bloß Runkel¬
rüben- — oder Kartoffelzucker, der doppelt so schwer ist, aber halb
so wenig Zuckergehalt hat, sondern auch häufig Kreide und ähnliche
Stoffe. Statt Soda und Potasche verkaufen diese Herrn ordinäres
Küchensalz, bei welcher einfachen Operation sie mehr als das Dop¬
pelte gewinnen. Ihre Chocolade besteht aus einem Zehntel Cacao
und neun Zehnteln rohem Fannzucker und geröstetem Gerstenmehl.
Ihre Seife wiegt doppelt, weil sie mit Salzwasser angefeuchtet ist;
ihr Branntewein ist erst durch Wasser seines Alcohvlgehaltes beraubt
und dann durch Gewürzinfusionen zu einem brennenden, die Ein¬
geweide zerreißenden Höllentranke umfabricirt worden. Doch ge¬
nug von diesen Leuten: sie sind nicht die einzigen, die uns bestehlen
und zugleich vergiften; ihre Genossen verdienen ebenfalls genannt zu
werden, damit man zu der Erkenntniß komme, ein wie unheilbar
tief zehrender Krebsschaden in unsrem socialen Leben dieser Mangel
an Ehrlichkeit ist und wie sehr es Noth thut, auf radicale Besse¬
rungsmittel zu denken.

Die Gemüsehändlerinnen sind wahre Giftmischerinnen; denn
um ihren mehrere Tage alten Waaren den Anschein von frischen zu
verleihen, wissen sie dieselben sehr schön grün zu färben; aber wie?
Nun, in kupfernen Gefäßen erzeugt sich ja so leicht Grünspan: man
lasse nur eine Nacht in freier Lust ein Gefäß mit Wasser stehen
und werfe allenfalls, um seiner Sache ganz sicher zu sein, einige
Kupfermünzen hinein; am andern Morgen lege man einige Stun¬
den den Kohl, Spinat oder andres Gemüse in dieses Gefäß mit
Wasser, und es erhält aus der Außenseite das schönste Grün.

Die Bäcker ihrerseits begnügen sich nicht, Bohnen- und Kar¬
toffelmehl unter das Weizenmehl zu mischen und ihrem Brod nicht
das vorschriftsmäßige Gewicht zu geben: nein, sie haben auch so



*) Es ist dies) und alles Folgende nicht etwa übertrieben, sondern buchstäb¬
lich w'ahr. Die Pariser Blätter berichten fast alltäglich Bestrafungen der
Epiciers, Fleischer, Bäcker u. s. w. um solcher wissenschaftlichen Experimente
Anm. d. Verf. halber.
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[0168] Salz gesiebter Gyps, wovon man den Stein bekommen kann, zu¬ weilen selbst Jod, ein offenbares Gift, beides sehr schwer in'S Ge- wicht fallende Dinge^). Statt Olivenöl verkaufen sie eine Mischung von Mohnöl; unter den Farinzucker mischen sie nicht bloß Runkel¬ rüben- — oder Kartoffelzucker, der doppelt so schwer ist, aber halb so wenig Zuckergehalt hat, sondern auch häufig Kreide und ähnliche Stoffe. Statt Soda und Potasche verkaufen diese Herrn ordinäres Küchensalz, bei welcher einfachen Operation sie mehr als das Dop¬ pelte gewinnen. Ihre Chocolade besteht aus einem Zehntel Cacao und neun Zehnteln rohem Fannzucker und geröstetem Gerstenmehl. Ihre Seife wiegt doppelt, weil sie mit Salzwasser angefeuchtet ist; ihr Branntewein ist erst durch Wasser seines Alcohvlgehaltes beraubt und dann durch Gewürzinfusionen zu einem brennenden, die Ein¬ geweide zerreißenden Höllentranke umfabricirt worden. Doch ge¬ nug von diesen Leuten: sie sind nicht die einzigen, die uns bestehlen und zugleich vergiften; ihre Genossen verdienen ebenfalls genannt zu werden, damit man zu der Erkenntniß komme, ein wie unheilbar tief zehrender Krebsschaden in unsrem socialen Leben dieser Mangel an Ehrlichkeit ist und wie sehr es Noth thut, auf radicale Besse¬ rungsmittel zu denken. Die Gemüsehändlerinnen sind wahre Giftmischerinnen; denn um ihren mehrere Tage alten Waaren den Anschein von frischen zu verleihen, wissen sie dieselben sehr schön grün zu färben; aber wie? Nun, in kupfernen Gefäßen erzeugt sich ja so leicht Grünspan: man lasse nur eine Nacht in freier Lust ein Gefäß mit Wasser stehen und werfe allenfalls, um seiner Sache ganz sicher zu sein, einige Kupfermünzen hinein; am andern Morgen lege man einige Stun¬ den den Kohl, Spinat oder andres Gemüse in dieses Gefäß mit Wasser, und es erhält aus der Außenseite das schönste Grün. Die Bäcker ihrerseits begnügen sich nicht, Bohnen- und Kar¬ toffelmehl unter das Weizenmehl zu mischen und ihrem Brod nicht das vorschriftsmäßige Gewicht zu geben: nein, sie haben auch so *) Es ist dies) und alles Folgende nicht etwa übertrieben, sondern buchstäb¬ lich w'ahr. Die Pariser Blätter berichten fast alltäglich Bestrafungen der Epiciers, Fleischer, Bäcker u. s. w. um solcher wissenschaftlichen Experimente Anm. d. Verf. halber.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/168>, abgerufen am 23.07.2024.