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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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hatte sich wenigstens eine Lift ausgesonnen, wodurch er alle Kauf¬
leute ihrer Seits zur Verzweiflung brachte. Wenn man ihm für
irgend einen Gegenstand einen hohen, unverschämten Preis abgefor¬
dert hatte, so bezahlte er erst, ohne ein Wort zu sagen; wenn er
dann den Gegenstand an sich nahm; so stellte er sich, als betrachtete
er ihn jetzt erst genauer und sagte dann regelmässig: Wahrhaftig,
spottwohlfeil eingekauft; ich glaubte sicher, daS würde mich einen,
zwei u. s w. Thaler mehr kosten. -- Alle Kaufleute natürlich ge-
riethen darüber außer sich; denn diese ein oder zwei Thaler hätten
sie ja mehr fordern können.

So herrscht der Diebstahl überall, wo man zwei Dinge gegen ein^
ander umtauscht; der Diebstahl, ein moderner Proteus, hüllt sich in
hundert verkleidende Formen, nimmt tausend verführerische Außenseiten
an und überall stoßen wir auf ihn, in unsern Kleidern, in unsern Nah¬
rungsmitteln, ja sogar in unsern geistigen Vergnügungen. Er hat,
besonders für letztere Beziehung, in neuester Zeit sich eine eigene
literarische Form angeeignet, die ganz besonders für ihn erfunden
worden ist, denProspectus und die Annonce, deren Succursel
die Reclame ist. Einige Beispiele werden auch hier genügen.

Ein Buchhändler kündigt ein Werk unter dem Namen eines
durch frühere Schriften vortheilhaft bekannten Schriftstellers an:
man kauft eS also auf Treue und Glauben. Aber welche Täuschung!
Beim Lesen entdeckt man gar bald, daß der Schriftsteller zu diesem
Werke nichts als seinen Namen, höchstens eine Vorrede von einigen
Seiten, hergegeben. Das elende Machwerk ist eigentlich von irgend
einem erbärmlichen, unwissenden Pedanten geschrieben, der weder
Geist noch Styl hat. Sei nun der erste Betrüger hier der
Schriftsteller selbst oder sei er nur bloßer Mitschuldiger des buch-
händlerischen Betrugs: der Käufer bleibt bestohlen und betrogen.

In einem Dutzend der verschiedensten deutschen Blätter liest
man das Lob dieses oder jenes Schauspielers, Sängers:e., den end¬
lich, nachdem er die Triumphbahn seiner Gastreisen glorreich ge¬
schlossen, die Theaterdirection Deines Aufenthaltsortes, lieber Leser,
engagirt. Du in deiner Ehrlichkeit abonnirst von Neuem auf
einen Winter, weil Du, wie unzufrieden Du auch sonst mit der
Bühne Deiner Stadt bist, doch nun wenigstens hoffen darfst, einen
guten Liebhaber zu sehen, oder einen guten Tenor zu hören; denn


hatte sich wenigstens eine Lift ausgesonnen, wodurch er alle Kauf¬
leute ihrer Seits zur Verzweiflung brachte. Wenn man ihm für
irgend einen Gegenstand einen hohen, unverschämten Preis abgefor¬
dert hatte, so bezahlte er erst, ohne ein Wort zu sagen; wenn er
dann den Gegenstand an sich nahm; so stellte er sich, als betrachtete
er ihn jetzt erst genauer und sagte dann regelmässig: Wahrhaftig,
spottwohlfeil eingekauft; ich glaubte sicher, daS würde mich einen,
zwei u. s w. Thaler mehr kosten. — Alle Kaufleute natürlich ge-
riethen darüber außer sich; denn diese ein oder zwei Thaler hätten
sie ja mehr fordern können.

So herrscht der Diebstahl überall, wo man zwei Dinge gegen ein^
ander umtauscht; der Diebstahl, ein moderner Proteus, hüllt sich in
hundert verkleidende Formen, nimmt tausend verführerische Außenseiten
an und überall stoßen wir auf ihn, in unsern Kleidern, in unsern Nah¬
rungsmitteln, ja sogar in unsern geistigen Vergnügungen. Er hat,
besonders für letztere Beziehung, in neuester Zeit sich eine eigene
literarische Form angeeignet, die ganz besonders für ihn erfunden
worden ist, denProspectus und die Annonce, deren Succursel
die Reclame ist. Einige Beispiele werden auch hier genügen.

Ein Buchhändler kündigt ein Werk unter dem Namen eines
durch frühere Schriften vortheilhaft bekannten Schriftstellers an:
man kauft eS also auf Treue und Glauben. Aber welche Täuschung!
Beim Lesen entdeckt man gar bald, daß der Schriftsteller zu diesem
Werke nichts als seinen Namen, höchstens eine Vorrede von einigen
Seiten, hergegeben. Das elende Machwerk ist eigentlich von irgend
einem erbärmlichen, unwissenden Pedanten geschrieben, der weder
Geist noch Styl hat. Sei nun der erste Betrüger hier der
Schriftsteller selbst oder sei er nur bloßer Mitschuldiger des buch-
händlerischen Betrugs: der Käufer bleibt bestohlen und betrogen.

In einem Dutzend der verschiedensten deutschen Blätter liest
man das Lob dieses oder jenes Schauspielers, Sängers:e., den end¬
lich, nachdem er die Triumphbahn seiner Gastreisen glorreich ge¬
schlossen, die Theaterdirection Deines Aufenthaltsortes, lieber Leser,
engagirt. Du in deiner Ehrlichkeit abonnirst von Neuem auf
einen Winter, weil Du, wie unzufrieden Du auch sonst mit der
Bühne Deiner Stadt bist, doch nun wenigstens hoffen darfst, einen
guten Liebhaber zu sehen, oder einen guten Tenor zu hören; denn


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[0166] hatte sich wenigstens eine Lift ausgesonnen, wodurch er alle Kauf¬ leute ihrer Seits zur Verzweiflung brachte. Wenn man ihm für irgend einen Gegenstand einen hohen, unverschämten Preis abgefor¬ dert hatte, so bezahlte er erst, ohne ein Wort zu sagen; wenn er dann den Gegenstand an sich nahm; so stellte er sich, als betrachtete er ihn jetzt erst genauer und sagte dann regelmässig: Wahrhaftig, spottwohlfeil eingekauft; ich glaubte sicher, daS würde mich einen, zwei u. s w. Thaler mehr kosten. — Alle Kaufleute natürlich ge- riethen darüber außer sich; denn diese ein oder zwei Thaler hätten sie ja mehr fordern können. So herrscht der Diebstahl überall, wo man zwei Dinge gegen ein^ ander umtauscht; der Diebstahl, ein moderner Proteus, hüllt sich in hundert verkleidende Formen, nimmt tausend verführerische Außenseiten an und überall stoßen wir auf ihn, in unsern Kleidern, in unsern Nah¬ rungsmitteln, ja sogar in unsern geistigen Vergnügungen. Er hat, besonders für letztere Beziehung, in neuester Zeit sich eine eigene literarische Form angeeignet, die ganz besonders für ihn erfunden worden ist, denProspectus und die Annonce, deren Succursel die Reclame ist. Einige Beispiele werden auch hier genügen. Ein Buchhändler kündigt ein Werk unter dem Namen eines durch frühere Schriften vortheilhaft bekannten Schriftstellers an: man kauft eS also auf Treue und Glauben. Aber welche Täuschung! Beim Lesen entdeckt man gar bald, daß der Schriftsteller zu diesem Werke nichts als seinen Namen, höchstens eine Vorrede von einigen Seiten, hergegeben. Das elende Machwerk ist eigentlich von irgend einem erbärmlichen, unwissenden Pedanten geschrieben, der weder Geist noch Styl hat. Sei nun der erste Betrüger hier der Schriftsteller selbst oder sei er nur bloßer Mitschuldiger des buch- händlerischen Betrugs: der Käufer bleibt bestohlen und betrogen. In einem Dutzend der verschiedensten deutschen Blätter liest man das Lob dieses oder jenes Schauspielers, Sängers:e., den end¬ lich, nachdem er die Triumphbahn seiner Gastreisen glorreich ge¬ schlossen, die Theaterdirection Deines Aufenthaltsortes, lieber Leser, engagirt. Du in deiner Ehrlichkeit abonnirst von Neuem auf einen Winter, weil Du, wie unzufrieden Du auch sonst mit der Bühne Deiner Stadt bist, doch nun wenigstens hoffen darfst, einen guten Liebhaber zu sehen, oder einen guten Tenor zu hören; denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/166>, abgerufen am 23.07.2024.