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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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eigen Schicksale der mosaischen Glaubensgenossen ihnen das Bürgerrecht nehme,
wie dies in Preußen mit so cousequenter Motivirung der Fall sein soll. Die
französischenJuden haben jetzt drei Deputirte in der Kammer, die beiden erwähnten
und den Herrn Crvmieux; letzterer gehört der Opposition an ; und diese scheint von
der Damasc c n erklin ge seiner Beredsamkeit große Thaten zu erwarten. Herr
Crvmicur hatte sich bisher darauf beschränkt, in den Processen der Oppositions-
Journalc dieselben vor den Tribunalen stets so zu vertheidigen, daß sie zu
einem Jahr Gefängniß und zu einigen wenigen Hunderten oder Tausenden
von Francs Strafe verurtheilt wurden. Dabei hatte dieser Advocat immer
eine glückliche Bertheidigungsmcthodc. Wenn man den Charivari vor Gericht
belangte, so kam der Anwalt Crvmieur und sagte: "Wie könnt Ihr doch so
wahnsinnig sein, meinen Clienten so ernsthaft anzuklagen: es ist ja lauter
dummes Zeug, was er schreibt, ohne allen Werth, nichts als Spaß und Pos¬
senreißer", um das sich kein Mensch kümmert, das also auch nicht gefähr¬
lich sein kann." Welche Methode dieser Redner in seiner Kammerwirksamkeit
entwickeln wird, ist noch unbekannt.

Doch genug hiervon: will mir doch der scherzende Ton heute nicht recht
gelingen: die Todtenglocken hallen von Neuilly herüber so dumpf ins Ohr und
rufen mir immer wieder das blutige Bild des armen Herzogs von Orleans
vor die Augen. Ich hätte es wahrlich nie gedacht, daß die Pariser Bevölke¬
rung so lange traurig sein könne, als sie es dies Mal zeigt: freilich gilt ein
guter Theil dieser Trauer mehr den rein menschlichen, den Familicnbezichungen,
dem greisen Bater, der thränenreichen Mutter, als dem Thronerben als sol¬
chen; aber auch in seiner Persönlichkeit wird der Herzog sehr viel betrauert;
denn es ist nicht zu leugnen, er war beliebt beim Volke, das in seiner energi¬
schen Sprache von ihm sagte: bravo xareon, pss ilier. Und auch das Mili-
tair, das ihn zum großen Theil vor Antwerpen und bei seinem mehrmaligen
Aufenthalte in Afrika kennen zu lernen Gelegenheit hatte, -- und man weiß
wohl, des Soldaten Urtheil ist streng und ungetrübt; er verlangt, daß man mit
seiner Person zahle, sei man Prinz oder Trainknecht, -- auch die Truppen
bedauern ihn! sie hatten ihn in ihrer pittoresken Redeweise einen el^us trou-
xier genannt. Kurz er war in allen Klassen Iber Gesellschaft beliebt; denn
für die Höherstehenden besaß er eine so anmuthige ILiebenswürdigkcit und Herz¬
lichkeit, daß man nicht lange in seiner Nähe sein konnte, ohne ihn wahrhaft
lieb zu gewinnen. Ich will Sie zum Beweise dieses seines überaus feinen,
gemessenen und doch die Gemüthlichkeit gewinnenden Benehmens nur daran
erinnern, welche wohlwollende Aufnahme er sich am Berliner Hofe zu ver-


eigen Schicksale der mosaischen Glaubensgenossen ihnen das Bürgerrecht nehme,
wie dies in Preußen mit so cousequenter Motivirung der Fall sein soll. Die
französischenJuden haben jetzt drei Deputirte in der Kammer, die beiden erwähnten
und den Herrn Crvmieux; letzterer gehört der Opposition an ; und diese scheint von
der Damasc c n erklin ge seiner Beredsamkeit große Thaten zu erwarten. Herr
Crvmicur hatte sich bisher darauf beschränkt, in den Processen der Oppositions-
Journalc dieselben vor den Tribunalen stets so zu vertheidigen, daß sie zu
einem Jahr Gefängniß und zu einigen wenigen Hunderten oder Tausenden
von Francs Strafe verurtheilt wurden. Dabei hatte dieser Advocat immer
eine glückliche Bertheidigungsmcthodc. Wenn man den Charivari vor Gericht
belangte, so kam der Anwalt Crvmieur und sagte: „Wie könnt Ihr doch so
wahnsinnig sein, meinen Clienten so ernsthaft anzuklagen: es ist ja lauter
dummes Zeug, was er schreibt, ohne allen Werth, nichts als Spaß und Pos¬
senreißer«, um das sich kein Mensch kümmert, das also auch nicht gefähr¬
lich sein kann." Welche Methode dieser Redner in seiner Kammerwirksamkeit
entwickeln wird, ist noch unbekannt.

Doch genug hiervon: will mir doch der scherzende Ton heute nicht recht
gelingen: die Todtenglocken hallen von Neuilly herüber so dumpf ins Ohr und
rufen mir immer wieder das blutige Bild des armen Herzogs von Orleans
vor die Augen. Ich hätte es wahrlich nie gedacht, daß die Pariser Bevölke¬
rung so lange traurig sein könne, als sie es dies Mal zeigt: freilich gilt ein
guter Theil dieser Trauer mehr den rein menschlichen, den Familicnbezichungen,
dem greisen Bater, der thränenreichen Mutter, als dem Thronerben als sol¬
chen; aber auch in seiner Persönlichkeit wird der Herzog sehr viel betrauert;
denn es ist nicht zu leugnen, er war beliebt beim Volke, das in seiner energi¬
schen Sprache von ihm sagte: bravo xareon, pss ilier. Und auch das Mili-
tair, das ihn zum großen Theil vor Antwerpen und bei seinem mehrmaligen
Aufenthalte in Afrika kennen zu lernen Gelegenheit hatte, — und man weiß
wohl, des Soldaten Urtheil ist streng und ungetrübt; er verlangt, daß man mit
seiner Person zahle, sei man Prinz oder Trainknecht, — auch die Truppen
bedauern ihn! sie hatten ihn in ihrer pittoresken Redeweise einen el^us trou-
xier genannt. Kurz er war in allen Klassen Iber Gesellschaft beliebt; denn
für die Höherstehenden besaß er eine so anmuthige ILiebenswürdigkcit und Herz¬
lichkeit, daß man nicht lange in seiner Nähe sein konnte, ohne ihn wahrhaft
lieb zu gewinnen. Ich will Sie zum Beweise dieses seines überaus feinen,
gemessenen und doch die Gemüthlichkeit gewinnenden Benehmens nur daran
erinnern, welche wohlwollende Aufnahme er sich am Berliner Hofe zu ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/156>, abgerufen am 03.07.2024.