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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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"Italien und die Niederlande mit stets gleicher Gemüthsruhe zu re¬
agieren. Obgleich in seinem Palaste in Madrid eingeschlossen, ort-
"rede er doch alle Angelegenheiten zu Lande und zur See, in Krieg
"und Frieden, ja man kann sogar sagen, in der ganzen Welt, denn
es gab keinen Herrscher, der nicht entweder sein Verbündeter oder
"sein Feind war. Er widmete seine Sorgfalt der Leitung so
"vieler verschiedenen Königreiche, ohne daß die ungeheure Entfernung
"der Orte auch nur die geringste Unregelmäßigkeit, die mindeste
"Störung in seinen Berathungen verursachte, ohne daß ihn die von
"den Verhandlungen und dem ganzen Getriebe der Politik unzer¬
trennlichen Schwierigkeiten und Hemmnisse in irgend einer Art be¬
unruhigten. Die Menge der Unternehmungen, die er leitete,
"schwachem sein Gedächtniß nie; niemals schien er von diesem Chaos
"von Geschäften ermüdet oder angeekelt: er hatte von allen seinen
"Angelegenheiten eine jede in's Besondre, aus eine so genaue, so
"streng geschiedene Weise inne, daß er die Einzelheiten derselben ent-
"wickelte, als hätte er nur diese eine im Kopfe gehabt."

"So weit Leti, dem wir jedoch, wenn er auch im Ganzen
vollkommen Recht hat, in so weit widersprechen müssen, als wir
der Meinung sind, daß, so groß auch Philipp'S Genie gewesen sein
mag, doch sein Widerwillen, sein Cabinet zu verlassen und die Art
von Abscheu, die er gegen alle körperliche Bewegung hatte, so wie
seine Abneigung gegen Reisen, viel dazu beigetragen haben, seine
Geschäfte zu verwickeln, und daß der letztere Umstand besonders in den
Niederlanden ihm verderblich war, indem durch diese Abwesenheit
hauptsächlich der Verlust eines Theils derselben herbeigeführt
wurde."

"Philipp, der Sieger von Gravelines und Se. Quentin, der
Beschützer der Ligue, ist von französischen, katholischen Geschicht¬
schreibern sehr schlecht behandelt worden; man sehe unter andern
den Fortsetzer von Fleury'ö Kirchengeschichte und man wird erstau¬
nen, alle abgeschmackten Verleumdungen seiner Feinde da wiederholt
zu finden."

"Und doch steht es fest," sagt Ferreras in seiner allgemeinen
"Geschichte Spaniens, "daß Philipp in die katholische Ligue nur
"aus wahrem Eifer für die katholische Religion eintrat, um zu ver¬
hindern, daß die Krone Frankreichs einem Kehersürsten anheimfalle,


„Italien und die Niederlande mit stets gleicher Gemüthsruhe zu re¬
agieren. Obgleich in seinem Palaste in Madrid eingeschlossen, ort-
„rede er doch alle Angelegenheiten zu Lande und zur See, in Krieg
„und Frieden, ja man kann sogar sagen, in der ganzen Welt, denn
es gab keinen Herrscher, der nicht entweder sein Verbündeter oder
„sein Feind war. Er widmete seine Sorgfalt der Leitung so
„vieler verschiedenen Königreiche, ohne daß die ungeheure Entfernung
„der Orte auch nur die geringste Unregelmäßigkeit, die mindeste
„Störung in seinen Berathungen verursachte, ohne daß ihn die von
„den Verhandlungen und dem ganzen Getriebe der Politik unzer¬
trennlichen Schwierigkeiten und Hemmnisse in irgend einer Art be¬
unruhigten. Die Menge der Unternehmungen, die er leitete,
„schwachem sein Gedächtniß nie; niemals schien er von diesem Chaos
„von Geschäften ermüdet oder angeekelt: er hatte von allen seinen
„Angelegenheiten eine jede in's Besondre, aus eine so genaue, so
„streng geschiedene Weise inne, daß er die Einzelheiten derselben ent-
„wickelte, als hätte er nur diese eine im Kopfe gehabt."

„So weit Leti, dem wir jedoch, wenn er auch im Ganzen
vollkommen Recht hat, in so weit widersprechen müssen, als wir
der Meinung sind, daß, so groß auch Philipp'S Genie gewesen sein
mag, doch sein Widerwillen, sein Cabinet zu verlassen und die Art
von Abscheu, die er gegen alle körperliche Bewegung hatte, so wie
seine Abneigung gegen Reisen, viel dazu beigetragen haben, seine
Geschäfte zu verwickeln, und daß der letztere Umstand besonders in den
Niederlanden ihm verderblich war, indem durch diese Abwesenheit
hauptsächlich der Verlust eines Theils derselben herbeigeführt
wurde."

„Philipp, der Sieger von Gravelines und Se. Quentin, der
Beschützer der Ligue, ist von französischen, katholischen Geschicht¬
schreibern sehr schlecht behandelt worden; man sehe unter andern
den Fortsetzer von Fleury'ö Kirchengeschichte und man wird erstau¬
nen, alle abgeschmackten Verleumdungen seiner Feinde da wiederholt
zu finden."

„Und doch steht es fest," sagt Ferreras in seiner allgemeinen
„Geschichte Spaniens, „daß Philipp in die katholische Ligue nur
„aus wahrem Eifer für die katholische Religion eintrat, um zu ver¬
hindern, daß die Krone Frankreichs einem Kehersürsten anheimfalle,


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[0144] „Italien und die Niederlande mit stets gleicher Gemüthsruhe zu re¬ agieren. Obgleich in seinem Palaste in Madrid eingeschlossen, ort- „rede er doch alle Angelegenheiten zu Lande und zur See, in Krieg „und Frieden, ja man kann sogar sagen, in der ganzen Welt, denn es gab keinen Herrscher, der nicht entweder sein Verbündeter oder „sein Feind war. Er widmete seine Sorgfalt der Leitung so „vieler verschiedenen Königreiche, ohne daß die ungeheure Entfernung „der Orte auch nur die geringste Unregelmäßigkeit, die mindeste „Störung in seinen Berathungen verursachte, ohne daß ihn die von „den Verhandlungen und dem ganzen Getriebe der Politik unzer¬ trennlichen Schwierigkeiten und Hemmnisse in irgend einer Art be¬ unruhigten. Die Menge der Unternehmungen, die er leitete, „schwachem sein Gedächtniß nie; niemals schien er von diesem Chaos „von Geschäften ermüdet oder angeekelt: er hatte von allen seinen „Angelegenheiten eine jede in's Besondre, aus eine so genaue, so „streng geschiedene Weise inne, daß er die Einzelheiten derselben ent- „wickelte, als hätte er nur diese eine im Kopfe gehabt." „So weit Leti, dem wir jedoch, wenn er auch im Ganzen vollkommen Recht hat, in so weit widersprechen müssen, als wir der Meinung sind, daß, so groß auch Philipp'S Genie gewesen sein mag, doch sein Widerwillen, sein Cabinet zu verlassen und die Art von Abscheu, die er gegen alle körperliche Bewegung hatte, so wie seine Abneigung gegen Reisen, viel dazu beigetragen haben, seine Geschäfte zu verwickeln, und daß der letztere Umstand besonders in den Niederlanden ihm verderblich war, indem durch diese Abwesenheit hauptsächlich der Verlust eines Theils derselben herbeigeführt wurde." „Philipp, der Sieger von Gravelines und Se. Quentin, der Beschützer der Ligue, ist von französischen, katholischen Geschicht¬ schreibern sehr schlecht behandelt worden; man sehe unter andern den Fortsetzer von Fleury'ö Kirchengeschichte und man wird erstau¬ nen, alle abgeschmackten Verleumdungen seiner Feinde da wiederholt zu finden." „Und doch steht es fest," sagt Ferreras in seiner allgemeinen „Geschichte Spaniens, „daß Philipp in die katholische Ligue nur „aus wahrem Eifer für die katholische Religion eintrat, um zu ver¬ hindern, daß die Krone Frankreichs einem Kehersürsten anheimfalle,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/144>, abgerufen am 23.07.2024.