Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

seine ganze Politik beherrscht. Im Gegentheil aber mußte es seine
größte Sorgen sein, seine eigenen Staaten zu beruhigen und alle Keime
der Zwietracht mit der Wurzel zu vertilgen, nicht aber neue hinein¬
zuwerfen. Zu einer Zeit nun, wo Glaubenssachen auf das Volk
einen so ungeheuren Einfluß hatten, war unstreitig eine Religions¬
verschiedenheit eine Hauptursache aller Unruhen. Ich glaube daher,
daß die Idee, unsre Nationalfreihciten durch Gewalt zu vernichten,
wenn Philipp überhaupt jemals hieran gedacht hat, ihm erst spater
und in Folge des Widerstandes kam, den die Insurgenten der Aus¬
führung seiner Pläne gegen die Ketzer entgegensetzten. Karl V.
hatte sehr strenge Edikte zur Unterdrückung des Protestantismus in
den Niederlanden ergehen lassen; in Deutschland jedoch behandelte
der Kaiser, besonders Anfangs, Luther und die Reichsfürsten, die
dessen Meinung angenommen hatten, mit vieler Mäßigung, weil er
ihres Beistandes bedürfte, um den Türken Widerstand zu leisten.
Philipp's Charakter aber ließ eine solche Mäßigung nicht zu. Ohne
Zaudern machte er sich zum Vertheidiger des von den meisten andern
Fürsten verfolgten oder verlassenen Katholicismus. Er war so über¬
zeugt und begeistert von dieser Sendung, daß, wie fein Biograph
Leti erzählt, da er sich einst in Todesgefahr befand und die Aerzte
seiner außerordentlichen Schwäche halber nicht wagten, ihm zur
Ader zu lassen, er ihnen sagte: "Laßt kühn zur Ader; fürchtet
Nichts; die Lage der Kirche erlaubt mir nicht zu sterben, weder an
dieser Krankheit noch an diesem Aderlaß." .... Wenn Philipp
dem Beispiel Heinrichs VIII. in England gefolgt wäre, so war
ganz Europa protestantisch. Und sicher, wenn er lediglich die Ver¬
größerung seiner Macht im Sinne gehabt hätte, so mußte er Dieses
Beispiel annehmen; denn kein Fürst hat den Despotismus so weit
getrieben, als Heinrich, der zugleich der Pabst und der Alleinherr¬
scher Englands war. . . . Philipp verfolgte die Ketzerei, so weit
sein Arm sie nur zu erreichen vermochte. Es war nicht seine Schuld,
wenn er sie nicht in Uebereinstimmung mit seiner Gemahlin, der
Königin Maria, auch in England vernichtete. Er unterstützte der
Ligue, welche den Katholicismus in Frankreich vertheidigte, und ließ
Heinrich IV. kein andres Mittel, diese zu zerstören, als Abschwö¬
rung des Calvinismus. Bet solchen Grundsätzen kann man wohl
glauben, daß er nicht sehr geneigt war, die Reformation in seinen


seine ganze Politik beherrscht. Im Gegentheil aber mußte es seine
größte Sorgen sein, seine eigenen Staaten zu beruhigen und alle Keime
der Zwietracht mit der Wurzel zu vertilgen, nicht aber neue hinein¬
zuwerfen. Zu einer Zeit nun, wo Glaubenssachen auf das Volk
einen so ungeheuren Einfluß hatten, war unstreitig eine Religions¬
verschiedenheit eine Hauptursache aller Unruhen. Ich glaube daher,
daß die Idee, unsre Nationalfreihciten durch Gewalt zu vernichten,
wenn Philipp überhaupt jemals hieran gedacht hat, ihm erst spater
und in Folge des Widerstandes kam, den die Insurgenten der Aus¬
führung seiner Pläne gegen die Ketzer entgegensetzten. Karl V.
hatte sehr strenge Edikte zur Unterdrückung des Protestantismus in
den Niederlanden ergehen lassen; in Deutschland jedoch behandelte
der Kaiser, besonders Anfangs, Luther und die Reichsfürsten, die
dessen Meinung angenommen hatten, mit vieler Mäßigung, weil er
ihres Beistandes bedürfte, um den Türken Widerstand zu leisten.
Philipp's Charakter aber ließ eine solche Mäßigung nicht zu. Ohne
Zaudern machte er sich zum Vertheidiger des von den meisten andern
Fürsten verfolgten oder verlassenen Katholicismus. Er war so über¬
zeugt und begeistert von dieser Sendung, daß, wie fein Biograph
Leti erzählt, da er sich einst in Todesgefahr befand und die Aerzte
seiner außerordentlichen Schwäche halber nicht wagten, ihm zur
Ader zu lassen, er ihnen sagte: „Laßt kühn zur Ader; fürchtet
Nichts; die Lage der Kirche erlaubt mir nicht zu sterben, weder an
dieser Krankheit noch an diesem Aderlaß." .... Wenn Philipp
dem Beispiel Heinrichs VIII. in England gefolgt wäre, so war
ganz Europa protestantisch. Und sicher, wenn er lediglich die Ver¬
größerung seiner Macht im Sinne gehabt hätte, so mußte er Dieses
Beispiel annehmen; denn kein Fürst hat den Despotismus so weit
getrieben, als Heinrich, der zugleich der Pabst und der Alleinherr¬
scher Englands war. . . . Philipp verfolgte die Ketzerei, so weit
sein Arm sie nur zu erreichen vermochte. Es war nicht seine Schuld,
wenn er sie nicht in Uebereinstimmung mit seiner Gemahlin, der
Königin Maria, auch in England vernichtete. Er unterstützte der
Ligue, welche den Katholicismus in Frankreich vertheidigte, und ließ
Heinrich IV. kein andres Mittel, diese zu zerstören, als Abschwö¬
rung des Calvinismus. Bet solchen Grundsätzen kann man wohl
glauben, daß er nicht sehr geneigt war, die Reformation in seinen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266757"/>
            <p xml:id="ID_349" prev="#ID_348" next="#ID_350"> seine ganze Politik beherrscht. Im Gegentheil aber mußte es seine<lb/>
größte Sorgen sein, seine eigenen Staaten zu beruhigen und alle Keime<lb/>
der Zwietracht mit der Wurzel zu vertilgen, nicht aber neue hinein¬<lb/>
zuwerfen. Zu einer Zeit nun, wo Glaubenssachen auf das Volk<lb/>
einen so ungeheuren Einfluß hatten, war unstreitig eine Religions¬<lb/>
verschiedenheit eine Hauptursache aller Unruhen. Ich glaube daher,<lb/>
daß die Idee, unsre Nationalfreihciten durch Gewalt zu vernichten,<lb/>
wenn Philipp überhaupt jemals hieran gedacht hat, ihm erst spater<lb/>
und in Folge des Widerstandes kam, den die Insurgenten der Aus¬<lb/>
führung seiner Pläne gegen die Ketzer entgegensetzten. Karl V.<lb/>
hatte sehr strenge Edikte zur Unterdrückung des Protestantismus in<lb/>
den Niederlanden ergehen lassen; in Deutschland jedoch behandelte<lb/>
der Kaiser, besonders Anfangs, Luther und die Reichsfürsten, die<lb/>
dessen Meinung angenommen hatten, mit vieler Mäßigung, weil er<lb/>
ihres Beistandes bedürfte, um den Türken Widerstand zu leisten.<lb/>
Philipp's Charakter aber ließ eine solche Mäßigung nicht zu. Ohne<lb/>
Zaudern machte er sich zum Vertheidiger des von den meisten andern<lb/>
Fürsten verfolgten oder verlassenen Katholicismus. Er war so über¬<lb/>
zeugt und begeistert von dieser Sendung, daß, wie fein Biograph<lb/>
Leti erzählt, da er sich einst in Todesgefahr befand und die Aerzte<lb/>
seiner außerordentlichen Schwäche halber nicht wagten, ihm zur<lb/>
Ader zu lassen, er ihnen sagte: &#x201E;Laßt kühn zur Ader; fürchtet<lb/>
Nichts; die Lage der Kirche erlaubt mir nicht zu sterben, weder an<lb/>
dieser Krankheit noch an diesem Aderlaß." .... Wenn Philipp<lb/>
dem Beispiel Heinrichs VIII. in England gefolgt wäre, so war<lb/>
ganz Europa protestantisch. Und sicher, wenn er lediglich die Ver¬<lb/>
größerung seiner Macht im Sinne gehabt hätte, so mußte er Dieses<lb/>
Beispiel annehmen; denn kein Fürst hat den Despotismus so weit<lb/>
getrieben, als Heinrich, der zugleich der Pabst und der Alleinherr¬<lb/>
scher Englands war. . . . Philipp verfolgte die Ketzerei, so weit<lb/>
sein Arm sie nur zu erreichen vermochte. Es war nicht seine Schuld,<lb/>
wenn er sie nicht in Uebereinstimmung mit seiner Gemahlin, der<lb/>
Königin Maria, auch in England vernichtete. Er unterstützte der<lb/>
Ligue, welche den Katholicismus in Frankreich vertheidigte, und ließ<lb/>
Heinrich IV. kein andres Mittel, diese zu zerstören, als Abschwö¬<lb/>
rung des Calvinismus. Bet solchen Grundsätzen kann man wohl<lb/>
glauben, daß er nicht sehr geneigt war, die Reformation in seinen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0140] seine ganze Politik beherrscht. Im Gegentheil aber mußte es seine größte Sorgen sein, seine eigenen Staaten zu beruhigen und alle Keime der Zwietracht mit der Wurzel zu vertilgen, nicht aber neue hinein¬ zuwerfen. Zu einer Zeit nun, wo Glaubenssachen auf das Volk einen so ungeheuren Einfluß hatten, war unstreitig eine Religions¬ verschiedenheit eine Hauptursache aller Unruhen. Ich glaube daher, daß die Idee, unsre Nationalfreihciten durch Gewalt zu vernichten, wenn Philipp überhaupt jemals hieran gedacht hat, ihm erst spater und in Folge des Widerstandes kam, den die Insurgenten der Aus¬ führung seiner Pläne gegen die Ketzer entgegensetzten. Karl V. hatte sehr strenge Edikte zur Unterdrückung des Protestantismus in den Niederlanden ergehen lassen; in Deutschland jedoch behandelte der Kaiser, besonders Anfangs, Luther und die Reichsfürsten, die dessen Meinung angenommen hatten, mit vieler Mäßigung, weil er ihres Beistandes bedürfte, um den Türken Widerstand zu leisten. Philipp's Charakter aber ließ eine solche Mäßigung nicht zu. Ohne Zaudern machte er sich zum Vertheidiger des von den meisten andern Fürsten verfolgten oder verlassenen Katholicismus. Er war so über¬ zeugt und begeistert von dieser Sendung, daß, wie fein Biograph Leti erzählt, da er sich einst in Todesgefahr befand und die Aerzte seiner außerordentlichen Schwäche halber nicht wagten, ihm zur Ader zu lassen, er ihnen sagte: „Laßt kühn zur Ader; fürchtet Nichts; die Lage der Kirche erlaubt mir nicht zu sterben, weder an dieser Krankheit noch an diesem Aderlaß." .... Wenn Philipp dem Beispiel Heinrichs VIII. in England gefolgt wäre, so war ganz Europa protestantisch. Und sicher, wenn er lediglich die Ver¬ größerung seiner Macht im Sinne gehabt hätte, so mußte er Dieses Beispiel annehmen; denn kein Fürst hat den Despotismus so weit getrieben, als Heinrich, der zugleich der Pabst und der Alleinherr¬ scher Englands war. . . . Philipp verfolgte die Ketzerei, so weit sein Arm sie nur zu erreichen vermochte. Es war nicht seine Schuld, wenn er sie nicht in Uebereinstimmung mit seiner Gemahlin, der Königin Maria, auch in England vernichtete. Er unterstützte der Ligue, welche den Katholicismus in Frankreich vertheidigte, und ließ Heinrich IV. kein andres Mittel, diese zu zerstören, als Abschwö¬ rung des Calvinismus. Bet solchen Grundsätzen kann man wohl glauben, daß er nicht sehr geneigt war, die Reformation in seinen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/140
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/140>, abgerufen am 23.07.2024.