Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

drohte er Belgien. Philipp konnte unmöglich so rasch die lebendi¬
gen Lehren der Geschichte und die Ueberlieferungen seiner Familie
vergessen. Und die Ehrfurcht, die er dem Andenken feines Vaters
gewidmet, verdoppelte noch den Haß, den er von Natur gegen die
Ketzerei hegte. Er konnte nicht vergessen, daß sich Karl's V. Leben
elendiglich in Bürgerkriegen mit seinen des Protestantismus halber
empörten Unterthanen verzehrt und daß er in diesen kleinen Strei¬
tigkeiten die Kräfte seines weiten Reiches und seines mächtigen
Geistes abgenutzt hatte; er konnte nicht vergessen, daß selbst seines
Vaters Ruhm fast daran zu Grunde gegangen wäre; daß um ein
Geringes der Sieger von Pavia, Tunis, Mühlberg, freilich durch
Krankheit auf ein Schmerzensbett gefesselt, in Folge eines infamen
Hinterhaltes als Gefangener Moritz von Sachsen in die Hände ge¬
fallen wäre, den er mit Wohlthaten überhäuft und auf den er in
Bezug der Ausführung seiner kriegerischen Pläne sich verlassen hatte.
Philipp erinnerte sich an alle Bündnisse der Protestanten Frankreichs
und Deutschlands und kam zu dem Schlüsse, daß kein Vertrag mit
der heuchlerischen, rebellischen, eidbrüchigen Ketzerei möglich sei und
daß man sie erdrücken müsse, wenn man nicht von ihr erdrückt wer¬
den wolle. Wenn Philipp tolerant gewesen wäre nach Art der
Philosophen unseres Jahrhunderts, welche behaupten, man müsse
einem Jeden dle Freiheit lassen, Gott aus seine Weise oder auch
gar nicht anzubeten; wenn er so gehandelt hätte gegenüber der glü¬
henden BekehrungSfucht der Sectirer, welche ihre Lehren durch Wort
und Schwert verbreiteten; -- so wäre der Katholicismus aus seinen
Staaten für immer verschwunden! Philipp war der geborene Ver¬
theidiger der Religion, eben so sehr aus Interesse als aus Ueber¬
zeugung. Indem die Reformation die Einheit der Kirche zerstörte
und das Princip der Autorität in Glaubensangelegenheiten angriff,
traf sie das Christenthum er'ö Herz und durch Anwendung derselben
Regeln auf die bürgerliche Gesellschaft strebte sie nach einer vollstän¬
digen Umwälzung dieser letzteren."

"AIS die Reformation in die Niederlande eindrang, erzeigte
sie daselbst fast ganz dieselben Ercesse, die in einzelnen Theilen
Deutschlands durch Carlstadt, Storck und Münzer erregt wurden.
Man hat gewöhnlich behauptet/ Philipp habe von Anfang an die
Privilegien der Belgier unterdrücken wollen und dieser Plan habe


9-i-

drohte er Belgien. Philipp konnte unmöglich so rasch die lebendi¬
gen Lehren der Geschichte und die Ueberlieferungen seiner Familie
vergessen. Und die Ehrfurcht, die er dem Andenken feines Vaters
gewidmet, verdoppelte noch den Haß, den er von Natur gegen die
Ketzerei hegte. Er konnte nicht vergessen, daß sich Karl's V. Leben
elendiglich in Bürgerkriegen mit seinen des Protestantismus halber
empörten Unterthanen verzehrt und daß er in diesen kleinen Strei¬
tigkeiten die Kräfte seines weiten Reiches und seines mächtigen
Geistes abgenutzt hatte; er konnte nicht vergessen, daß selbst seines
Vaters Ruhm fast daran zu Grunde gegangen wäre; daß um ein
Geringes der Sieger von Pavia, Tunis, Mühlberg, freilich durch
Krankheit auf ein Schmerzensbett gefesselt, in Folge eines infamen
Hinterhaltes als Gefangener Moritz von Sachsen in die Hände ge¬
fallen wäre, den er mit Wohlthaten überhäuft und auf den er in
Bezug der Ausführung seiner kriegerischen Pläne sich verlassen hatte.
Philipp erinnerte sich an alle Bündnisse der Protestanten Frankreichs
und Deutschlands und kam zu dem Schlüsse, daß kein Vertrag mit
der heuchlerischen, rebellischen, eidbrüchigen Ketzerei möglich sei und
daß man sie erdrücken müsse, wenn man nicht von ihr erdrückt wer¬
den wolle. Wenn Philipp tolerant gewesen wäre nach Art der
Philosophen unseres Jahrhunderts, welche behaupten, man müsse
einem Jeden dle Freiheit lassen, Gott aus seine Weise oder auch
gar nicht anzubeten; wenn er so gehandelt hätte gegenüber der glü¬
henden BekehrungSfucht der Sectirer, welche ihre Lehren durch Wort
und Schwert verbreiteten; — so wäre der Katholicismus aus seinen
Staaten für immer verschwunden! Philipp war der geborene Ver¬
theidiger der Religion, eben so sehr aus Interesse als aus Ueber¬
zeugung. Indem die Reformation die Einheit der Kirche zerstörte
und das Princip der Autorität in Glaubensangelegenheiten angriff,
traf sie das Christenthum er'ö Herz und durch Anwendung derselben
Regeln auf die bürgerliche Gesellschaft strebte sie nach einer vollstän¬
digen Umwälzung dieser letzteren."

„AIS die Reformation in die Niederlande eindrang, erzeigte
sie daselbst fast ganz dieselben Ercesse, die in einzelnen Theilen
Deutschlands durch Carlstadt, Storck und Münzer erregt wurden.
Man hat gewöhnlich behauptet/ Philipp habe von Anfang an die
Privilegien der Belgier unterdrücken wollen und dieser Plan habe


9-i-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0139" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266756"/>
            <p xml:id="ID_347" prev="#ID_346"> drohte er Belgien. Philipp konnte unmöglich so rasch die lebendi¬<lb/>
gen Lehren der Geschichte und die Ueberlieferungen seiner Familie<lb/>
vergessen. Und die Ehrfurcht, die er dem Andenken feines Vaters<lb/>
gewidmet, verdoppelte noch den Haß, den er von Natur gegen die<lb/>
Ketzerei hegte. Er konnte nicht vergessen, daß sich Karl's V. Leben<lb/>
elendiglich in Bürgerkriegen mit seinen des Protestantismus halber<lb/>
empörten Unterthanen verzehrt und daß er in diesen kleinen Strei¬<lb/>
tigkeiten die Kräfte seines weiten Reiches und seines mächtigen<lb/>
Geistes abgenutzt hatte; er konnte nicht vergessen, daß selbst seines<lb/>
Vaters Ruhm fast daran zu Grunde gegangen wäre; daß um ein<lb/>
Geringes der Sieger von Pavia, Tunis, Mühlberg, freilich durch<lb/>
Krankheit auf ein Schmerzensbett gefesselt, in Folge eines infamen<lb/>
Hinterhaltes als Gefangener Moritz von Sachsen in die Hände ge¬<lb/>
fallen wäre, den er mit Wohlthaten überhäuft und auf den er in<lb/>
Bezug der Ausführung seiner kriegerischen Pläne sich verlassen hatte.<lb/>
Philipp erinnerte sich an alle Bündnisse der Protestanten Frankreichs<lb/>
und Deutschlands und kam zu dem Schlüsse, daß kein Vertrag mit<lb/>
der heuchlerischen, rebellischen, eidbrüchigen Ketzerei möglich sei und<lb/>
daß man sie erdrücken müsse, wenn man nicht von ihr erdrückt wer¬<lb/>
den wolle. Wenn Philipp tolerant gewesen wäre nach Art der<lb/>
Philosophen unseres Jahrhunderts, welche behaupten, man müsse<lb/>
einem Jeden dle Freiheit lassen, Gott aus seine Weise oder auch<lb/>
gar nicht anzubeten; wenn er so gehandelt hätte gegenüber der glü¬<lb/>
henden BekehrungSfucht der Sectirer, welche ihre Lehren durch Wort<lb/>
und Schwert verbreiteten; &#x2014; so wäre der Katholicismus aus seinen<lb/>
Staaten für immer verschwunden! Philipp war der geborene Ver¬<lb/>
theidiger der Religion, eben so sehr aus Interesse als aus Ueber¬<lb/>
zeugung. Indem die Reformation die Einheit der Kirche zerstörte<lb/>
und das Princip der Autorität in Glaubensangelegenheiten angriff,<lb/>
traf sie das Christenthum er'ö Herz und durch Anwendung derselben<lb/>
Regeln auf die bürgerliche Gesellschaft strebte sie nach einer vollstän¬<lb/>
digen Umwälzung dieser letzteren."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_348" next="#ID_349"> &#x201E;AIS die Reformation in die Niederlande eindrang, erzeigte<lb/>
sie daselbst fast ganz dieselben Ercesse, die in einzelnen Theilen<lb/>
Deutschlands durch Carlstadt, Storck und Münzer erregt wurden.<lb/>
Man hat gewöhnlich behauptet/ Philipp habe von Anfang an die<lb/>
Privilegien der Belgier unterdrücken wollen und dieser Plan habe</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 9-i-</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0139] drohte er Belgien. Philipp konnte unmöglich so rasch die lebendi¬ gen Lehren der Geschichte und die Ueberlieferungen seiner Familie vergessen. Und die Ehrfurcht, die er dem Andenken feines Vaters gewidmet, verdoppelte noch den Haß, den er von Natur gegen die Ketzerei hegte. Er konnte nicht vergessen, daß sich Karl's V. Leben elendiglich in Bürgerkriegen mit seinen des Protestantismus halber empörten Unterthanen verzehrt und daß er in diesen kleinen Strei¬ tigkeiten die Kräfte seines weiten Reiches und seines mächtigen Geistes abgenutzt hatte; er konnte nicht vergessen, daß selbst seines Vaters Ruhm fast daran zu Grunde gegangen wäre; daß um ein Geringes der Sieger von Pavia, Tunis, Mühlberg, freilich durch Krankheit auf ein Schmerzensbett gefesselt, in Folge eines infamen Hinterhaltes als Gefangener Moritz von Sachsen in die Hände ge¬ fallen wäre, den er mit Wohlthaten überhäuft und auf den er in Bezug der Ausführung seiner kriegerischen Pläne sich verlassen hatte. Philipp erinnerte sich an alle Bündnisse der Protestanten Frankreichs und Deutschlands und kam zu dem Schlüsse, daß kein Vertrag mit der heuchlerischen, rebellischen, eidbrüchigen Ketzerei möglich sei und daß man sie erdrücken müsse, wenn man nicht von ihr erdrückt wer¬ den wolle. Wenn Philipp tolerant gewesen wäre nach Art der Philosophen unseres Jahrhunderts, welche behaupten, man müsse einem Jeden dle Freiheit lassen, Gott aus seine Weise oder auch gar nicht anzubeten; wenn er so gehandelt hätte gegenüber der glü¬ henden BekehrungSfucht der Sectirer, welche ihre Lehren durch Wort und Schwert verbreiteten; — so wäre der Katholicismus aus seinen Staaten für immer verschwunden! Philipp war der geborene Ver¬ theidiger der Religion, eben so sehr aus Interesse als aus Ueber¬ zeugung. Indem die Reformation die Einheit der Kirche zerstörte und das Princip der Autorität in Glaubensangelegenheiten angriff, traf sie das Christenthum er'ö Herz und durch Anwendung derselben Regeln auf die bürgerliche Gesellschaft strebte sie nach einer vollstän¬ digen Umwälzung dieser letzteren." „AIS die Reformation in die Niederlande eindrang, erzeigte sie daselbst fast ganz dieselben Ercesse, die in einzelnen Theilen Deutschlands durch Carlstadt, Storck und Münzer erregt wurden. Man hat gewöhnlich behauptet/ Philipp habe von Anfang an die Privilegien der Belgier unterdrücken wollen und dieser Plan habe 9-i-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/139
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/139>, abgerufen am 23.07.2024.