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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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verlangt eine Aenderung; denn Murren oder Verlangen wird hier
einer Rebellion gleichgeachtet: aber er hält fortwährend die Augen
auf den Kaiser gerichtet und erharrt von ihm einen Emancipations-
Ukas.

Die so häufig in Europa verbreiteten Gerüchte von Comploten,
welche durch die Journale eine so weite Oeffentlichkeit erhalten, läh-
men hier die Verschwörungen; diese Oeffentlichkeit entschädigt
hier den Kaiser reichlich für alles Böse, das sie ihm schon zugefügt,
und sie ist vielleicht einer der einflußreichsten Umstände, denen er
sein Leben und Rußland die Fortdauer und Negierung eines seiner
ausgezeichnetsten Fürsten verdanken wird. Die Ermordung des Kai¬
sers ist, wenn nicht ganz unmöglich, doch wenigstens überaus schwie¬
rig. Der Kaiser hat sein Auge auf Alles; kein äußerer Einfluß
hat irgend eine Wirkung auf ihn: er hat weder Hofleute noch
Günstlinge, deren Verrath man erkaufen könnte, sondern nur treu¬
ergebene, enthusiastische Diener und Freunde. Er kennt die Einen,
wie die Anderen gründlich. Die sehr geschickt organisirte Geheim¬
polizei, deren Hauptfaden Nikolaus selbst in Händen hat, überwacht
alle Schritte seiner Feinde. Die kaiserliche Familie ist ihrerseits auch
eine sehr wachsame Schildwache in der Nähe seiner Person; sie ist
zahlreich und ihm sehr ergeben; er ist für sie mehr Vater als
Kaiser und Staatsoberhaupt; keine Verschwörung könnte den Kai¬
ser und einen seiner vier Söhne einander verdächtig machen, wie
dies kurz vor Paul's Tode stattfand, dem Pahlen eingeredet hatte,
Alexander gehöre zu den Verschwörern, während er Alexander die
Ueberzeugung beizubringen gesucht, sein Vater Paul traue ihm nicht
und wolle ihm ein ähnliches Loos bereiten, wie Peter der Große
seinem Sohne Alexis, unglückseligen Angedenkens. Der Kaiser ist
der eigentliche Erzieher seiner Kinder; er spielte mit ihnen, da sie
noch klein waren; und später auch hörten sie nie auf, der Gegen¬
stand seiner väterlichen Sorgfalt zu sein. Ihre Erzieher sind nur
seine Gehilfen; nicht allein überwacht er die Erziehung des Gro߬
fürsten, sondern er leitet auch geistig bis in's Einzelne ihren Unter¬
richt. Als Vater und Gatte ist Nikolaus der glücklichste aller russi¬
schen Kaiser.

Auffallend ist jedoch in neuester Zeit, hinsichtlich der Stellung
des Kaisers zu seinem Schwiegersohn, dem Herzog von Leuchten-


verlangt eine Aenderung; denn Murren oder Verlangen wird hier
einer Rebellion gleichgeachtet: aber er hält fortwährend die Augen
auf den Kaiser gerichtet und erharrt von ihm einen Emancipations-
Ukas.

Die so häufig in Europa verbreiteten Gerüchte von Comploten,
welche durch die Journale eine so weite Oeffentlichkeit erhalten, läh-
men hier die Verschwörungen; diese Oeffentlichkeit entschädigt
hier den Kaiser reichlich für alles Böse, das sie ihm schon zugefügt,
und sie ist vielleicht einer der einflußreichsten Umstände, denen er
sein Leben und Rußland die Fortdauer und Negierung eines seiner
ausgezeichnetsten Fürsten verdanken wird. Die Ermordung des Kai¬
sers ist, wenn nicht ganz unmöglich, doch wenigstens überaus schwie¬
rig. Der Kaiser hat sein Auge auf Alles; kein äußerer Einfluß
hat irgend eine Wirkung auf ihn: er hat weder Hofleute noch
Günstlinge, deren Verrath man erkaufen könnte, sondern nur treu¬
ergebene, enthusiastische Diener und Freunde. Er kennt die Einen,
wie die Anderen gründlich. Die sehr geschickt organisirte Geheim¬
polizei, deren Hauptfaden Nikolaus selbst in Händen hat, überwacht
alle Schritte seiner Feinde. Die kaiserliche Familie ist ihrerseits auch
eine sehr wachsame Schildwache in der Nähe seiner Person; sie ist
zahlreich und ihm sehr ergeben; er ist für sie mehr Vater als
Kaiser und Staatsoberhaupt; keine Verschwörung könnte den Kai¬
ser und einen seiner vier Söhne einander verdächtig machen, wie
dies kurz vor Paul's Tode stattfand, dem Pahlen eingeredet hatte,
Alexander gehöre zu den Verschwörern, während er Alexander die
Ueberzeugung beizubringen gesucht, sein Vater Paul traue ihm nicht
und wolle ihm ein ähnliches Loos bereiten, wie Peter der Große
seinem Sohne Alexis, unglückseligen Angedenkens. Der Kaiser ist
der eigentliche Erzieher seiner Kinder; er spielte mit ihnen, da sie
noch klein waren; und später auch hörten sie nie auf, der Gegen¬
stand seiner väterlichen Sorgfalt zu sein. Ihre Erzieher sind nur
seine Gehilfen; nicht allein überwacht er die Erziehung des Gro߬
fürsten, sondern er leitet auch geistig bis in's Einzelne ihren Unter¬
richt. Als Vater und Gatte ist Nikolaus der glücklichste aller russi¬
schen Kaiser.

Auffallend ist jedoch in neuester Zeit, hinsichtlich der Stellung
des Kaisers zu seinem Schwiegersohn, dem Herzog von Leuchten-


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[0131] verlangt eine Aenderung; denn Murren oder Verlangen wird hier einer Rebellion gleichgeachtet: aber er hält fortwährend die Augen auf den Kaiser gerichtet und erharrt von ihm einen Emancipations- Ukas. Die so häufig in Europa verbreiteten Gerüchte von Comploten, welche durch die Journale eine so weite Oeffentlichkeit erhalten, läh- men hier die Verschwörungen; diese Oeffentlichkeit entschädigt hier den Kaiser reichlich für alles Böse, das sie ihm schon zugefügt, und sie ist vielleicht einer der einflußreichsten Umstände, denen er sein Leben und Rußland die Fortdauer und Negierung eines seiner ausgezeichnetsten Fürsten verdanken wird. Die Ermordung des Kai¬ sers ist, wenn nicht ganz unmöglich, doch wenigstens überaus schwie¬ rig. Der Kaiser hat sein Auge auf Alles; kein äußerer Einfluß hat irgend eine Wirkung auf ihn: er hat weder Hofleute noch Günstlinge, deren Verrath man erkaufen könnte, sondern nur treu¬ ergebene, enthusiastische Diener und Freunde. Er kennt die Einen, wie die Anderen gründlich. Die sehr geschickt organisirte Geheim¬ polizei, deren Hauptfaden Nikolaus selbst in Händen hat, überwacht alle Schritte seiner Feinde. Die kaiserliche Familie ist ihrerseits auch eine sehr wachsame Schildwache in der Nähe seiner Person; sie ist zahlreich und ihm sehr ergeben; er ist für sie mehr Vater als Kaiser und Staatsoberhaupt; keine Verschwörung könnte den Kai¬ ser und einen seiner vier Söhne einander verdächtig machen, wie dies kurz vor Paul's Tode stattfand, dem Pahlen eingeredet hatte, Alexander gehöre zu den Verschwörern, während er Alexander die Ueberzeugung beizubringen gesucht, sein Vater Paul traue ihm nicht und wolle ihm ein ähnliches Loos bereiten, wie Peter der Große seinem Sohne Alexis, unglückseligen Angedenkens. Der Kaiser ist der eigentliche Erzieher seiner Kinder; er spielte mit ihnen, da sie noch klein waren; und später auch hörten sie nie auf, der Gegen¬ stand seiner väterlichen Sorgfalt zu sein. Ihre Erzieher sind nur seine Gehilfen; nicht allein überwacht er die Erziehung des Gro߬ fürsten, sondern er leitet auch geistig bis in's Einzelne ihren Unter¬ richt. Als Vater und Gatte ist Nikolaus der glücklichste aller russi¬ schen Kaiser. Auffallend ist jedoch in neuester Zeit, hinsichtlich der Stellung des Kaisers zu seinem Schwiegersohn, dem Herzog von Leuchten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/131>, abgerufen am 23.07.2024.